Pfarre

Amlach

Angesteckt mit dem Virus der Ewigkeit

Es ist wieder Sonntag geworden, weißer Sonntag, Sonntag der Barmherzigkeit, kleiner Ostersonntag, auf jeden Fall Gedenktag der Auferstehung, so wie damals, am allerersten Ostersonntag in Jerusalem.

Verwirrende Ereignisse hatten diesen Tag bestimmt: seltsame Gerüchte schwirren herum und verunsichern die verängstigten Apostel, die da immer noch unter den schrecklichen Eindrücken des Karfreitags in einer Art Schockstarre verharren. Hinter verschlossenen Türen und dicken Mauern haben sie sich eingesperrt, voller Angst und Ausweglosigkeit, aber wenigsten beisammen geblieben sind sie, außer jenem einen, dem Thomas, der aus unerfindlichen Gründen nicht da ist, und können nicht glauben, was irgendwelche hysterischen Frauen da in die Welt setzen, sie hätten ihn, ihren geliebten und verehrten Meister und Herrn, lebend gesehen.

Doch dann, auf einmal, steht er da, in ihrer Mitte, mitten im Raum, mitten in ihren Gedanken, in ihren Herzen, in ihren Sorgen, mittendrin. Ganz ohne Sicherheitsabstand ihnen auf den Leib gerückt. Was ist der Fall der Beliner Mauer gegen diesen Mauerdurchbruch! Ist es möglich? Kann das sein? Bin ich verrückt?- so werden sie sich wohl fragen. Aber auch: was wird er sagen: Ihr Angsthasen? Ihr Feiglinge? Wo wart ihr unter dem Kreuz? Alle seid ihr davongelaufen! Und du Petrus: da bist du ja! Weißt du noch, wie der Hahn gekräht hat? Nein, nichts von alledem geschieht. Sein erstes Wort ist Friede. Shalom. Und noch einmal und noch einmal. Dreimal Friede, wie drei Mal verleugnen.

Freundliches Anhauchen geschieht: die geistliche Mund zu Mund Beatmung des Auferstandenen. Wenn ich als Jugendlicher oft spät nach Hause gekommen bin, ist es auch oft um dieses Anhauchen gegangen: das war dann eher bedrohlich: hast du schon wieder geraucht? Getrunken? Hauch mich an.

Wie das wohl heute wäre, in Zeiten der Krise: der Auferstandene mit Atemschutzmaske? Sein freundliches Gesicht keimfrei verhüllt? Aber keine Angst: Göttliche Anhauchung ist nicht gefährlich, ist immer lebensspendend: Mitteilung des Geistes, die erste Firmung. Wie damals am ersten Schöpfungsmorgen wird der Welt und dem Menschen das Leben eingehaucht. Nicht in Blitz, Feuer, Erdbeben, Tsunami, sondern in himmlischer Zärtlichkeit beginnt eine neue Schöpfung. Damals, am Morgen der Welterschaffung und auch am Ostermorgen.

Diese göttliche Behutsamkeit, diesen empfangenen Shalom sollen die Apostel weiterschenken, indem sie den Menschen in seinem Auftrag die Sünden vergeben, seine Barmherzigkeit sichtbar machen. Aber er warnt sie auch: wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert. Göttliche Vergebung kann nur geschehen, wenn auch menschliche Vergebungsbereitschaft da ist. Ihr sollt diesen Vergebungsstrom fließen lassen, keine Staudämme bauen, keine Blockaden errichten, sollt Wasserfälle ermöglichen.

Nun aber kommt der Spätankömmling ins Spiel, der Schwerfällige, der Zweifler und Zwiefler, der sich nicht so recht beteiligen will an dieser allgemeinen Begeisterung. Schon einmal hat er trotzig gefragt: Jesus, wir wissen nicht, wohin du gehst, wie sollen wir dann den Weg kennen? Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, hat ihm Jesus damals gesagt. Ein Wort wie ein gutes Stück Brot, von dem wir heute noch zehren. Jetzt will der Thomas wieder eine Sonderbehandlung, im wahrsten Sinne des Wortes: er will am Auferstandenen handgreiflich werden, will den Finger in die Wunden legen, der Augenschmaus und der Ohrenschmaus ist ihm zu wenig, noch dazu aus zweiter Hand.

Auch da zieht sich Jesus nicht beleidigt oder verärgert zurück. Er lässt sich berühren. In Indien gibt es die Kaste der Unberührbaren, die in der Gesellschaftshierarchie ganz unten stehen. Vor Kunstwerken steht oft ein Schild: Achtung Warnanlage, nicht berühren. Oder beim Obst im Supermarkt. „Drück mich erst, wenn ich dir gehöre“. Auch bei unserer schönen Orgel steht das Schild: „Bitte die Pfeifen nicht berühren“. Und in Zeiten wie diesen ist Berührung überhaupt Tabu: kein Händeschütteln, keine Umarmung, kein Wangendrücken, nur mehr Winken und Verneigen. Jeder könnte ein Virenträger sein.

Aber Jesus ist mehr, als ein kostbarer Museumsschatz, eine Mumie, ein Rembrandoriginal, er hätte ein Recht auf Unberührbarkeit. Er entfernt für den Thomas das Verbotsschild, überspringt das Tabu, er gibt sich zur Berührung frei, er bietet sich an. Das hat er ja sein ganzes Leben lang gemacht, von Anfang an schon. Sicherlich ist auch vor der Krippe kein Schild gestanden: Berühren verboten. Mit seinem Leben und Sterben ist Jesus dafür eingestanden, dass unser Gott keine Berührungsängste hat vor uns Menschen, vor unseren Krankheiten, vor unseren Ekelhaftigkeiten, vor unseren seelischen Verletzungen, nicht einmal dann, wenn sie ihn ans Kreuz schlagen.

Auch wir dürfen ihn heute berühren: hoffentlich bald wieder in seinem Brot, das uns auf die Hand und in den Mund gelegt wird, dürfen ihn berühren im Wasser der Taufe, im Salböl der Firmung und der Krankensalbung. Wir dürfen und sollen ihn berühren, wenn wir selber Hand anlegen in den Nöten der Welt, dürfen seine Wundmale immer neu spüren im Hinschauen auf diese aus so vielen Wunden blutende Welt. Wir werden die Kraft und die Geduld dazu nur aufbringen, wenn wir uns dazu auch dieses kürzeste und persönlichste Glaubensbekenntnis des Thomas verinnerlichen: Mein Herr und mein Gott. So hat er gestammelt. Gott ist nicht nur der Herr und Gott seiner Kirche, oder der Hauptamtlichen in ihr, nicht nur der Herr und Gott der ganzen Welt, auf jeden Fall der Gott der anderen, er ist immer auch mein eigener und ganz persönlicher Herr und Gott, der mich annimmt mit meinen ganz speziellen Stärken und Schwächen.

Schließlich dann doch ein leichter Vorwurf, der in die Zukunft weist. Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Aber Glaube ist mehr als Anschauungsunterricht. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Damit meint er die Generationen nach diesen Ereignissen, damit meint er auch uns, auch mich, der oder die ich das lese. Es mag sicherlich hilfreich sein, dass es viele unerklärliche Erscheinungen gibt, die uns das Glauben erleichtern können: Fatima, Lourdes, Medugorje, das Grabtuch von Turin und der Heilige Rock von Trier. Aber das soll nicht die Grundlage unseres Glaubens sein. Wir haben das Wort der Schrift, das Zeugnis der Apostel, das muss immer die erste und die letzte Quelle sein. Aus diesem Wort dürfen wir leben und überleben, wie es ja heute, im Schlusssatz des Johannesevangeliums auch heißt: das alles ist aufgeschrieben, damit ihr durch den Glauben das Leben habt.

Glaube ist nicht Luxusartikel, Beilage, süße Nachspeise zum Gaumenkitzeln, Zuckerguss in aussichtlosen Lebenslagen, sondern unersetzbares Lebensmittel, Sonderangebot des Auferstandenen zu unserem Heil, eine wirklich schöne Bescherung, die uns immer wieder neu nachgereicht wird, bis wir einmal die Hauptspeise des ewigen Lebens genießen dürfen. Diesen Virus der Ewigkeit tragen wir in uns und damit dürfen wir uns immer wieder von Herzen anstecken.

Eine Woche voll Hoffnung und Vertrauen wünscht

Pfr. Ernst Windbichler