Pfarre

Pölling

Aus der Alltäglichkeit des Alltags

Gedanken zum zweiten Sonntag der Osterzeit von Dechant P. Gerfried Sitar

Heuer fällt mir während der Ostertage besonders auf, dass die Anfänge der Kirche eine Geschichte der Schwachheit sind. Im Osterevangelium wurde mit klar, dass Jesus bewusst den schwachen Petrus ausgewählt hat, seine Kirche zu leiten, weil er eben nicht perfekt war. Er war nicht der beste Redner, war nicht der Schnellste und wohl auch nicht der Klügste der Apostel – trotzdem hat Jesus Simon zum „Chef“ bestellt, zum Petrus, ausgerechnet ihn, der sich in den schwierigsten Stunden verkrochen hatte und ihn sogar drei Mal verleugnete. Aus der Sicht des modernen Personalmanagements war das wohl eine Fehlbesetzung, oder?

Petrus war zweifelsohne nicht perfekt. Aber vielleicht ist es gerade diese Schwäche, die ihn zum Verständnisvollen macht, zu dem, der nicht – aufgrund seiner Perfektion – im kleinsten „Defekt“ schlecht wird, sondern das Menschliche gut versteht, weil er es an sich selbst erlebte. Vielleicht lassen eben gerade diese vermeintlichen Defizite am meisten Raum für die Liebe, weil er auch von den anderen nicht erwartete, perfekt zu sein. Zumindest ist Petrus im weiteren Verlauf seines Lebens in seiner Aufgabe gewachsen und hat sich am Ende hingestellt und sein Leben für seine Überzeugung hingegeben. Ähnlich ist es bei Thomas. Es machte keinen Hehl aus seinen Zweifeln und sprach sie offen aus. Mutig! Lief er dabei nicht Gefahr, von den anderen Aposteln ausgegrenzt zu werden? Ich bin überzeugt davon, dass diese den Kopf über Thomas geschüttelt haben und mit ihrer Kritik nicht sparten, obwohl sie genau die gleichen Zweifel plagten. Jesus aber nahm Thomas´ Zweifeln ernst.

„Hier sind die Wunden der Nägel! Hier ist meine Seite!“

Das „Noli me tangere“, das noch am Ostermorgen bei Maria Magdalena gegolten hatte, wird nun zur Aufforderung des Berührens, um begreifbar zu werden. Thomas ist sprachlos. Insgeheim sehnen wir uns nach dieser Erfahrung des Thomas, weil auch wir am liebsten mit eigenen Augen sehen, um zu glauben. Jesus weist Thomas nicht zurecht. Er hat Verständnis für seinen Zweifel. Dieser ist ebenso für unser Glaubensleben notwendig, weil wir uns im Zweifeln intensiv mit uns selber auseinandersetzen und uns in unserer Lebenspositionierung hinterfragen. Wer sich mit dem eigenen Glaubensleben auseinandersetz, lernt sich selbst auch immer besser kennen, muss dabei auch dunkle Seiten ausleuchten, die mitunter nicht angenehm sind – eben jene, wo die eigenen Defizite und Mängel sind. Aber nur im Hinhalten der ganzen Persönlichkeit kann auch die Heilung geschehen, die wir uns vom Heiland erwarten.

Heil zu sein heißt keineswegs, perfekt zu werden, sondern es heißt, mit Narben leben zu lernen, sie nicht zu verstecken, sondern zu den Verwundungen so zu stehen, dass aus dem Erfahren der Verletzung Reife wachsen kann.

Das haben sowohl Petrus als auch Thomas gelernt. Sie erlebten die entwaffnende Liebe und Barmherzigkeit Jesu als ganzheitliche Zuwendung, die nicht idealisiert, sondern gerade die Defizite annimmt und sie zu einem wesentlichen Teil einer guten Persönlichkeit macht. Das ist das Geheimnis von Ostern!

Gott lässt sich berühren und berührt uns dadurch dort, wo wir es am wenigsten zulassen möchten – in den Verwundungen und Schwächen unseres Alltags. Er nimmt diesem damit aber auch die Alltäglichkeit und lässt uns durch das Bewusstsein des bedingungslosen Geliebtwerdens neu aufleben.

Deshalb vielleicht ist uns Thomas auch so sympathisch, weil er das anspricht, was viele von uns beschäftigt. „Ich kann nicht (mehr) glauben!“ oder „Ich glaube das nicht, wenn ich es nicht sehe!“ Vermutlich geht es jedem öfter so … Glaubenskrisen haben nichts mit Ungläubigkeit zu tun, sondern sind notwendig, um die Suche nicht aufzugeben. Oft dauert es lange, bis wir in unserem Leben fündig werden. Nicht selten erwarten wir die großen Wunder, die nicht geschehen, weil Gott uns in den Kleinigkeiten unserer Existenz begegnet, um unserem Alltag die Alltäglichkeit zu nehmen und uns zu berühren: im Lächeln eines Kindes, in der tröstenden Hand eines Menschen, im guten Wort eines Zuhörers, im Sonnenstrahl, der die Natur zu neuem Leben erweckt, im verständnisvollen Blick guter Begegnungen …. „Weil du mich gesehen hast, glaubst du …“ sagt Jesus zu Thomas. „Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben!“ Gott lässt sich erspüren, wenn wir offen dafür sind und das Auge des Herzens sehend wird.

Ich wünsche Ihnen allen einen „sehenden“ Sonntag der Barmherzigkeit.

Herzlich, Ihr P. Gerfried Sitar