Palmsonntag
Gedanken zum Palmsonntag von Dechant Dr. Gerfried Sitar
Diese Bilder sind uns nicht fremd: Jubelnde Menschen säumen die Straßen, begeisterte Sprechchöre sind zu hören und die Menge ist "aus dem Häuschen“. Die Massen feiern einen Star! Ähnlich wird es wohl damals gewesen sein, als Jesus in Jerusalem einzog. Wir wissen aber aus unzähligen eigenen Erfahrungen, auch im christlichen Bereich, wie schnell Euphorie in eine andere Richtung umschlägt, wie schmal der Grat zwischen Jubel und Spott ist und wie schnell „Freunde“ zu Feinden werden können. Jesus musste das bitter miterleben. Obwohl er als Reittier einen Esel wählte und damit unmissverständlich zum Ausdruck brachte, dass er nicht militant den Frieden bringen würde und auch nicht auf Herrschaft reflektierte, waren die Erwartungen des Volkes andere gewesen. Vielleicht war es die Enttäuschung dieser Vorstellungen, die schließlich zum Verrat führte. Oder Eifersucht? Neid? Und dieser Verrat lag bei allem Triumph in der Luft. Vielleicht entdecken wir uns selbst in einem der Gesichter in der Menge.
Unsere Erwartungen vom Leben sind häufig sehr hoch angesetzt und jeder von uns kennt die Enttäuschungen, die auf Nichterfülltes folgen. Sind wir trotzdem verlässlich, oder kehren wir uns ab, wenn uns ein rauer Wind entgegenschlägt? Und gerade darum geht es auf der Brücke vom Palmsonntag zur Karwoche:
Um die Verlässlichkeit. Jubeln, wenn alle jubeln, das ist leicht, weil es keine Konsequenzen fordert. Über anderen den Stab brechen, wenn alle es tun, das ist leicht, weil man sich dem Gegenüber nicht persönlich stellen muss.
Gegen den Strom zu schwimmen allerdings, das ist sehr anstrengend und kann bisweilen bis an die Belastungsgrenze gehen. Hier trennte sich auch bei den Jüngern Jesu die „Spreu vom Weizen“.
Seine Nachfolge wurde plötzlich ernst und konkret, fordernd. Wer zu ihm gehören will, entscheidet sich für den Weg über den Palmsonntag hinaus und erahnt bei aller Jubelstimmung den Karfreitag, der sich am Horizont abzeichnet. Aber seine Liebe, die sich symbolisch durch den Eselsritt ausdrückte, wirkt über den Tod hinaus und erlebt das Verzeihen am Ostermorgen – auch wenn dieses wider alle Logik ist.