Organisation

Fest der Barmherzigkeit

Mehr als ein Bild

Impuls zum Barmherzigkeitssonntag 2020

Keine esoterische Lichterscheinung?

„Wer als junger Theologe ein solches Christusbild verinnerlicht und verbreitet, ist als Seelsorger nicht geeignet“ – Erschrocken hat mich vor ein paar Jahren die Aussage von Peter B. Steiner, des Autors des Buches „Glaubensästhetik“ (Regensburg 2008), welches ich mit großem Interesse im Priesterseminar (ermutigt durch Wilhelm Krautwaschl, dem jetzigen Grazer Bischof) gelesen habe. Ja, so erschrocken, dass ich Jahre gebraucht habe, um mich wieder zu diesem Bild zu bekennen, was ich in diesem Text tun möchte. Ich bin kein Künstler, auch kein großer Theologe. Die beiden hätten behaupten können, Gott richtig und einzig korrekt präsentieren zu können. Ja, ihn sogar zu besitzen. Ist aber nicht jedes Wort und jeder Pinselstrich eine subjektive Interpretation von dem, der einerseits als der Unausgesprochene bleibt, andererseits aber durch seine Menschwerdung unsere Begrenztheit angenommen und den unvollkommenen Vorstellungen der Menschen angewiesen wurde?

Lange habe ich gebraucht, um meine mit dem Bild des „Barmherzigen Jesus“ verbundenen Gefühle zu ordnen und neu zu definieren. Was macht dieses Bild so gefährlich? – habe ich suchend gefragt. Sind das seine formalen Schwächen, die man auch – ohne Kunstexperte zu sein – gleich erkennt? Oder ist es nicht vielmehr – wie der schon oben zitierte Steiner meint – „die Verengung des Bildes von Jesus von Nazareth, dem Christus unseres Glaubens, auf eine gefällige Lichtgestalt“? Verleugnet dieses Bild tatsächlich den historischen Jesus und verkündet stattdessen eine esoterische Geistererscheinung von sinnlicher Glut? Noch vor ein paar Jahren hätte ich dieser Interpretationen sogar zugestimmt, die neueste Version des Auferstandenen lobend, die mein Leipziger Freund und großartiger Künstler, Michael Triegel, kurz nach seiner „Neugeburt“ im Sakrament der Taufe gemalt hat. Dieses sein Bild hat auch einen Ehrenplatz in meiner Wohnung. Es war aber nur eine von mehreren Stationen auf diesem meinen Weg zum Erkennen, was die Botschaft dieses Bildes mit mir macht – nicht die letzte.

Das Erschrecken einer Visionärin

Die direkte bildliche Umsetzung von Visionen führt oft zum Kitsch. Kitsch aber gefährdet das spirituelle Leben, wie der Münchener Theologe Richard Egenter gezeigt hat. Dies gilt für Herz-Jesu-Bilder, die man mit der hl. Margarethe Maria Alacoque (17. Jahrhundert) verbindet. Genauso gilt es für die Marienvisionen des 19. und 20. Jahrhunderts. Wichtig ist es aber zu erkennen, dass nicht die Vision Kitsch ist. Sie ist ein inneres Geschehen, welches sich schwer interpretieren lässt. Und genau deshalb ist die Umsetzung der Vision als ein Bild, als ein Kunstwerk, oft schwach, manchmal einfach kitschig. Wenn man aber das Bild des barmherzigen Jesus betrachtet, soll man nicht vergessen, in welchem Kontext es zu seiner Entstehung kam. Nicht der Wunsch der Visionärin, der im Jahr 2000 heiliggesprochenen Ordensschwester Faustina Kowalska (1905–1938), war es, sondern der Wunsch dessen, den sie in ihren privaten Offenbarungen gesehen und mit dem sie gesprochen habe. Am 22. Februar 1931 schrieb sie in ihrem Tagebuch:

„Am Abend, als ich in der Zelle war, erblickte ich Jesus, den Herrn, in einem weißen Gewand. Eine Hand war zum Segen erhoben, die andere berührte das Gewand auf der Brust. Von der Öffnung des Gewandes an der Brust gingen zwei große Strahlen aus, ein roter und ein blasser. Schweigend betrachtete ich den Herrn; meine Seele war von Furcht aber auch von großer Freude durchdrungen. Nach einer Weile sagte Jesus zu mir: Male ein Bild, nach dem, was du siehst, mit der Unterschrift: Jesus, ich vertraue auf dich. Ich wünsche, dass dieses Bild verehrt wird“ (Tagebuch Nr. 47).

Am 2. Jänner 1934, also erst nach zwei Jahren, traf sich die hl. Faustina mit dem Maler Eugeniusz Kazimirowski in Wilno, dem sie ihre Vision und den von Jesus gehörten Wunsch anvertraute. Das aber, was sie erwartete, wurde zu ihrer größten Enttäuschung. Als der Künstler ihr die erste Version des Bildes zeigte, begann sie zu weinen und betete: „O, Herr, wer vermag dich so schön zu malen, wie du bist?“ Die einfache Köchin und Pförtnerin, wie ihre Notizen im Tagebuch berichten, hätte damals erfahren, was vielleicht der Schlüssel zum Verstehen dieser ganzen Geschichte sein kann:

„Nicht in der Schönheit der Farben oder des Pinselstriches liegt die Größe dieses Bildes, sondern in meiner Gnade“.

Das damals entstandene Bild steht heute in der Heilig-Geist-Kirche in Wilno und ist wenig bekannt. Populär geworden ist jedoch eine zweite, im Jahr 1943 gemalte Version, die die hl. Faustina nie gesehen hat (!) und die sich im Kloster in Krakau befindet (diese weltweit bekannte Darstellung stammt von Adolf Hyla, einem Maler, der sie als Dank für die Verschonung seiner Familie vor den Wirren des Krieges malte).

Die Botschaft des Vertrauens

Wen sehe ich heute auf dem der hl. Faustina nicht bekannten und doch weltweit berühmten Bild des barmherzigen Jesus? Gute Frage. Geht es hier überhaupt um ein Bild, oder vielmehr um seine Botschaft? Obwohl ich schon seit vier Jahren den Sonntag der Barmherzigkeit in der Stadtpfarre Wolfsberg mit einem etwas größerem Programm organisiere, habe ich mich heuer das erste Mal dazu entschieden, dieses Bild in den Altarraum zu stellen.

Ich sehe eine Männergestalt, die durch ihre beruhigende Kraft mir entgegenkommt und volle Aufmerksamkeit schenkt. Durch seine Wunden ist mir diese Person erkennbar – das ist Jesus, der Auferstandene, der mich (wie es diese Wunden zeigen) nicht aus Spaß liebt. Durch dieses sein Auftreten merke ich, dass er mit mir unterwegs ist; mich ganz persönlich einlädt, zu einem neuen Leben aufzuerstehen und von mir die Atmosphäre des Schmerzes und der Unsicherheit nimmt. Sich in ihm gespiegelt zu sehen bedeutet, als einer nicht für den Tod, sondern für das Leben Gesalbter zu sein. Seine Barmherzigkeit wird hier als die Kraft vorgestellt, die alles besiegt und er selbst zur Quelle der Freude und Hoffnung wird, die mein Handeln verwandeln. Dieses Bild zeigt mir aber auch deutlich, dass der Wendepunkt im menschlichen Herzen liegt. Er selbst ist Licht und Sanftheit zugleich. Er selbst ist „Sich-Hin-Geben“, ohne auf Konsequenzen zu schauen. Er selbst ist der, der den wahren, unverwechselbaren Frieden schenkt. Unvollkommen, aber doch kraftvoll wirkt auf dem Bild sein für mich immer offenes Herz – noch mehr, seine Liebe, die aus dem Herzen entspringt. Ja, sein Herz schlägt für mich, sodass ich von einem unerschütterlichen Vertrauen beflügelt werden kann. Dieses offene und strahlende Herz, das voll Erbarmen ist, zeigt, dass die göttliche Barmherzigkeit eine Leidenshaft ist, Leben entstehen zu lassen, wo der Tod herrscht. Neu belebt, neu geschaffen, neu mit seinem Geist erfüllt zu sein, egal, was passiert, egal, welche Lebensgeschichte man hinter sich hat – ja, das ist diese Botschaft, die ich heute als Betrachter dieses Bildes erkenne. Der Auferstandene wirkt so, als ob für ihn keine Barriere unüberwindlich wäre. Er selbst, von der Liebe verwundet, kommt meinen Wunden entgegen.

Als Pfarrer denke ich aber auch, auf dieses Bild schauend, an alle anderen Menschen, für die dieses Bild ein wichtiger Kraftort, ja, ein besonderer Ort der Gottesbegegnung ist. An alle, die erzählen, wie viel Trost und Hoffnung sie schon erfahren haben, als sie vor diesem Bild beteten. Ich denke aber auch an die, die sich durch die Verehrung Jesu (in diesem Bild) verletzt oder ausgegrenzt fühlen – in der eigenen Familie, in der eigenen Pfarre. Ich denke an die Menschen, denen diese Malerei statt Einengung eine Weite und statt formeller Frömmigkeit eine tiefe Gotteserfahrung schenkt und ermöglicht. Ich denke an alle, die – wie die Jünger nach der Auferstehung – aus Angst hinter den verschlossenen Türen ihrer eigenen Vorstellungen versteckt waren und die lebensspendende Kraft Jesu erfuhren.

Von Herz zu Herz

Mehrmals schon stand eine Kopie des „Barmherzigen Jesus“ auf dem Petersplatz in Rom bei den Papstmessen. Nicht zuletzt beim letzten Sonntag der Barmherzigkeit (welchen wir heuer schon das 20. Mal in der gesamten katholischen Kirche feiern dürfen). Beim letzten Fest der Barmherzigkeit in Rom predigte Papst Franziskus:

„Das Evangelium nennt Thomas »Didymus«, das heißt Zwilling, und darin ist er wirklich unser Zwillingsbruder. Denn auch uns genügt es nicht zu wissen, dass es Gott gibt: Ein auferstandener, aber ferner Gott erfüllt unser Leben nicht; ein ferner Gott, mag er noch so gerecht und heilig sein, zieht uns nicht an. Nein, auch wir haben es nötig, Gott zu sehen und mit Händen zu greifen, dass er für uns auferstanden ist. (...) In seine Wunden eintreten bedeutet, seine unermessliche Liebe betrachten, die aus seinem Herzen entspringt.“

Jedes Christusbild bleibt nur ein Bild. Dem Auferstandenen zu begegnen heißt: sich bedingungslos von ihm lieben und berühren zu lassen. Von Herz zu Herz. Ohne Erwartungen. Mit Vertrauen.

„Friede sei mit Euch!“ (Joh 20,19)

Ch. Kranicki