Organisation

Katholischer Familienverband Kärnten

Sterben – Wunsch und Wirklichkeit

Großer Andrang zur Expertendiskussion am 22. Oktober in Klagenfurt:
Wie möchten wir sterben und wo stoßen wir an die Grenzen der Wirklichkeit?
"Sterben heute" betrachtet aus dem Blickwinkel von Theologie, Medizin, Strafecht und Zivilrecht.

Aus Anlass des am Verfassungsgerichtshof laufenden Verfahrens zum Thema Sterbehilfe lud der Katholische Familienverband Kärnten am 22. Oktober 2020 unter dem Thema: Sterben – Wunsch und Wirklichkeit eine Expertenrunde zum Dialog ins Kärntner Landesarchiv.
Palliativmediziner Rudolf Likar, Strafrichter Christian Liebhauser-Karl, Notar Klaus Schöffmann und Pfarrer Richard Pirker lieferten in einer vielschichtigen Diskussion viele Aspekte zu der Frage
Wie möchten wir sterben und wo stoßen wir an die Grenzen der Wirklichkeit?

„Es gibt Situationen, in denen es der Wunsch von Menschen ist, zu sterben. Unsere Aufgabe ist es, Patienten beizustehen und Hilfestellung zu liefern. Palliativ-Care und Hospiz gehören ausgebaut und regelfinanziert!“, so Primarius Likar. „Sterben an der Hand des Menschen, nicht durch die Hand des Menschen“ ist, nach Kardinal König, sein Credo.

Notar Schöffmann informierte über das aktualisierte Recht auf Selbstbestimmung bis zum Lebensende, umgesetzt durch Vorsorgemaßnahmen wie die Vorsorgevollmacht und das Recht, Behandlungen auch vorweg in einer Patientenverfügung abzulehnen. Solange der Mensch entscheidungsfähig ist und einen Willen zum Ausdruck bringen kann, ist dieser Wille zu beachten und Behandlungsentscheidungen zugrunde zu legen. Dafür hat neben dem Arzt auch ein vom Patienten selbst bestimmter Vertreter zu sorgen.

Richter Liebhauser-Karl erwartet sich eine klare Positionierung des Gesetzgebers, nicht nur der Gerichtsbarkeit. Wir haben ein Recht darauf, die Grenzen der Zulässigkeit von Sterbehilfe vorab zu kennen. Die Sanktionen des Strafrechts sind immer nur Ultima Ratio, letztmögliches Mittel. Ihm ist es wichtig, auch in Ausnahmesituationen die Grund- und Menschenrechte einzuhalten und nicht einzuschränken.

Theologe Richard Pirker betonte, dass Menschen sich in der christlichen Tradition als Ebenbild Gottes sehen. Das Leben sei Geschenk. Lebensende und Sterben haben einen Sinn und seien zum Dasein gehörig.

„Dass Sterbende von Ärzten, die wie Marsmenschen ausschauen, behandelt werden und sich nicht von ihren Angehörigen verabschieden können, darf nicht sein.“ Darüber waren sich die Experten einig.

Thomas Zeloth, Direktor des Landesarchivs und Gastgeber des Abends, verwies auf die im Archiv befindlichen Akten. Sie bergen den Nachweis über den subtilen Druck, der in jüngerer Geschichte auf Menschen ausgeübt wurde. Dies sei im Blick auf Zwangssterilisationen, aber auch im Blick auf „Euthanasie“ belegt. Er erinnerte, dass dieser Begriff in der Zeit des totalitären Nazi-Regimes für ein gewaltvolles, nicht selbstbestimmtes Sterben verwendet wurde! Dass das Wort Euthanasie heute wieder salonfähig werde, sei höchst unverständlich und mit Sorge zu betrachten.

Als Moderatorin führte Gudrun Kattnig durch den Abend. Sie informierte, dass in allen Ländern, die eine Öffnung der Beihilfe zur Selbsttötung/Tötung auf Verlangen zuließen, die diesbezüglichen Todesraten stark anstiegen. In den Niederlanden machten seit 2002 bereits 60.000 Menschen davon Gebrauch. In einigen Gegenden dort liegt die Rate bei 15 Prozent. Zu beobachten sei, dass die Öffnung Anfangs nur schwerkranken Personen am Lebensende zugedacht war. Diesem Schritt folge jedoch rasch die Forderung, dass die Beihilfe zur Selbsttötung oder Tötung auf Verlangen auch anderen Gruppen nicht vorenthalten werden dürfe. So würde sie in Folge psychisch Kranken, Demenzkranken und schwerkranken Häftlingen erlaubt. Schließlich würde argumentiert, man dürfe, um nicht zu diskriminieren, auch gesunden „lebensmüden“ Menschen das „Grundrecht auf Suizid und Suizidbeihilfe“ nicht verwehren. Damit folge der Zwang auf die Institutionen, die Beihilfe oder Tötung auch dort zuzulassen. So wird die Sterbehilfe u.a. auch in Einrichtungen der Brüder der Nächstenliebe (Broeders van Liefde) in Belgien und den Niederlanden durchgeführt.

Der Abend, der gemeinsam mit dem Katholischen Familienwerk veranstaltet wurde, war mit über 100 Gästen sehr gut besucht war, endete nachdenklich:

In was für einer Gesellschaft wollen wir in Zukunft leben? In einer Gesellschaft, die Probleme mit Töten löst, die den Selbstmord als etwas Unbedeutendes hinnimmt? Oder wollen wir eine Kultur der Sorge, der Fürsorge, der Angewiesenheit aufeinander und des Beistands?“
Raimund Klesse, Psychiater

Die Entscheidung des VfGH steht aus. Im November werden die 14 Richter des VfGH weiter beraten. Entschieden wird mit einfacher Mehrheit.

Hier geht es zur Video-Aufzeichnung des Abends:

https://www.youtube.com/watch?v=SoCkxJOu0VI&ab_channel=KatholischerFamilienverband

Informationen zum Thema finden sich unter www.lebensende.at

Wortmeldung aus dem Publikum

„Ich habe den Eindruck, dass Länder wie Holland oder Belgien ein Problem in ihrer Gesellschaft dadurch lösen wollen, dass Menschen getötet werden. Diesen Ansatz empfinde ich als eine Katastrophe für eine Gesellschaft. Ich glaube, dass niemals in der Gesellschaft und in der Geschichte ein Problem gelöst werden konnte, dadurch, dass man andere Menschen getötet hat. Eine Möglichkeit, dies zu tun, öffnet eine Schleuse, die meiner Ansicht nach einen grundsätzlichen Lebensschutz beendet und damit eine Gesellschaft in eine Richtung drängt, die historisch gesehen gar nicht so lange hinter uns liegt.

Wenn wir uns eine christliche Gesellschaft nennen, haben wir vom Glauben her eine Hoffnung, die über den Tod hinausgeht. Wenn diese Perspektive nicht mehr vorhanden ist, wird das Sterben reduziert auf ein Lebensende vom Körper her und nicht seine Fortsetzung in einer neuen Welt berücksichtigt.“
Theo Hippel


Einführende Worte von Vorstizendem Andreas Henckel-Donnersmarck:

"Mit der eingangs erwähnten Feststellung, dass der Schutz des Lebens durch ein Verfassungsgesetz geschützt ist, steht Österreich auf dem Boden der christlichen Tradition aber auch in der Tradition der neuheitlichen Aufklärung, wie sie beispielsweise vom Philosophen Immanuel Kant vertreten wurde. Nach christlicher Auffassung ist Gott ein Gott des Lebens, die Kirche wie der Staat haben darum in ihrer Weise die Aufgabe, dem Leben zu dienen und das Leben zu schützen. Gleichzeitig stellen wir - jede Einzelne, jeder Einzelne von uns – fest, dass in der gegenwärtigen Reflexion von Moral und Ethik die Lösung der umstrittensten und unterschiedlichen menschlichen Probleme mit einem Grundproblem verknüpft ist: der Freiheit des Menschen.

Unsere Zeit ist dabei zu einem besonders lebhaften Gespür für die Freiheit gelangt, gepaart mit einem geschärften Sinn, dem Gewissen gebührende Achtung zu schenken. Allerdings, so scheint es mir, verherrlicht der moderne Denkansatz die Freiheit geradezu, als ob sie selbst die Quelle aller Werte wäre. Die Freiheit wird absolut gestellt und dem Gewissen des Einzelnen werden die Vorrechte einer obersten Instanz des sittlichen Urteils zugeschrieben, die kategorisch und unfehlbar über Gut und Böse entscheidet. Das aber ist eine zutiefst subjektivistische Konzeption. Eine solche Sichtweise gesteht gewissermaßen jedem seine Wahrheit zu, die von der Wahrheit des anderen verschieden ist. Die für die menschliche Vernunft erkennbare, universelle Wahrheit über das Gute wird damit ausgeblendet und die Abhängigkeit der Freiheit von der Wahrheit abgeschwächt, wenn nicht sogar geleugnet.

Im Evangelium des letzten Sonntages haben wir in Matthäus 22,21 gehört, dass wir dem Kaiser geben müssen, was ihm gehört, und Gott, was Gott gehört. Einerseits ein deutlicher Hinweis, dass der Christ den Staat sowie dessen Recht anerkennen und achten soll. Aber andererseits nicht derart, dass wir uns zurückziehen um nur im Kirchengebäude Christen zu sein und keine Verantwortung tragen müssten für Staat und Gesellschaft – nein: Gott hat uns sehr wohl zur Ausgestaltung und Heiligung im Raum der Schöpfung berufen.
Wir glauben aber auch, dass wir nicht alles selbst vollbringen müssen, was uns ausmacht und deshalb die Selbstverfügung des Menschen über sich selbst, nicht einzig im Verhältnis zur Freiheit beurteilt werden kann. Zur sittlichen Bewertung braucht es die Wahrheit, von der Jesus Christus in Johannes 8,32 sagt: „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch befreien“.

Wo wollen wir als Gesellschaft nun die Grenzen sehen, bzw. welche Perspektiven zeigen uns Religion und Ethik, die Medizin, das Zivil- und Strafrecht, wenn zum Recht auf Leben auch ein Recht gehört getötet zu werden oder zu töten?"