Schöner neuer Mann…
Mag. Bernhard Wappis über das neu entdeckte Körperbewusstsein von Männern.

„Alles was ein Mann schöner ist als ein Aff´ ist ein Luxus.“ Von wegen! Die seligen Zeiten einer Tante Jolesch (Friedrich Torberg) sind längst vorbei, seit Kosmetik, Bekleidungs- und Fitnessindustrie den Mann als lukrative Zielgruppe entdeckt haben.
In schöner Regelmäßigkeit klären uns Studien darüber auf, dass jetzt der metro-, retro- oder transsexuell orientierte Mann angesagt sei und sich die Männerwelt auf dem Weg zum „sanften Macho“ befinde. Wer aber meint, dass die Beschäftigung mit männlicher Schönheit eine Errungenschaft der modernen Konsumgesellschaft ist, irrt. Schon in der griechischen Antike waren schöne Männer ein wichtiges und viel diskutiertes Thema. Auf privater Ebene spielte die männliche Schönheit dabei v.a. im Rahmen homoerotischer Beziehungen eine wichtige Rolle. Ein athletisch gestählter, wohl proportionierter jugendlicher Körper galt als besonders anziehend und bewundernswert und wurde im Rahmen männlicher Schönheitswettbewerbe zur Schau gestellt.
Dass „Mister Universum“-Wahlen und männliche Modelbewerbe keinesfalls ein Phänomen der Neuzeit sind, beweisen die oben angeführten Darstellungen. Und doch hat es noch nie in der Geschichte eine Zeit gegeben, in der der männliche Körper so freiwillig und freizügig massenmedial zur Schau gestellt wurde wie heute. Zeugnis dafür liefern z.B. TV-Formate wie „Das Model und der Freak“ (PRO7 – O-Ton: „Vom hässlichen Frosch zum schönen Prinzen“). Dazu gesellen sich seit einigen Jahren diverse Männermagazine. Den Anfang machte das Lifestyle-Magazin „Men’s Health“, welches in seinen monatlichen Beiträgen den „gestählten Männerkörper“ als Männlichkeitsideal schlechthin darstellt und das meistgelesene Männermagazin weltweit ist. Innerhalb weniger Jahre etablierten sich weitere Journale, die mit Untertiteln wie: „Das Magazin für Männer“ oder „Männer in den besten Jahren“, die Leser ausdrücklich in ihrer Geschlechtsidentität ansprechen. Mit ihrem thematischen Querschnittsangebot erreichen sie monatlich über 2 Mio. (!) Leser. Tendenz steigend!
Der steigende Marktwert von Männerkörpern, welcher den Autoren des Buches „Der Adonis Komplex“ zufolge verstärkt seit dem Einsetzen der Emanzipationsbewegung in den 1970er Jahren zu verzeichnen ist, wurde auch sehr schnell für kommerzielle Werbung entdeckt und genutzt. So gesehen erlebte das Ausmaß männlicher Nacktheit in Werbung und Medien in den letzten Jahren einen rasanten Aufschwung.
Dies führt unweigerlich zu der Tatsache, dass die Zielgruppe „Mann“ v.a. für die Kosmetikindustrie zu einer der interessantesten Wachstumsbranchen der letzten Jahre geworden ist. Aktuellen Zahlen von Kosmetik-Transparent zufolge gaben Österreichs Männer im Jahr 2011 7,6 Mio. EUR für Gesichtspflege aus und haben mittlerweile die Wahl zwischen mehr als 5.000 (!) Pflege-Produkten sowie ca. 290 (!) Herrenserien.
Dass "Männer-Kosmetik“ jedoch nicht erst seit ein paar Jahren ein Thema ist, zeigen historische Entwicklungen. Der Weltmarktführer Nivea war der erste Hersteller von Massenkonsumgütern, der Männer als Zielgruppe ins Visier nahm. Bereits in den 1930er Jahren nahm die Nivea-Werbung die nationalsozialistische Körperästhetik zurückhaltend auf und orientierte sich am tradierten männlichen Schönheitsideal. Im Jahr 1986 brachte der Hamburger Beiersdorf-Konzern mit Nivea for Men eine eigene Pflegeserie für die gestresste Gesichtshaut der Männer in die Supermarktregale.
Ähnliche Entwicklungen wie im Kosmetikbereich erlebt auch die Fitness- und Sportindustrie in den letzten Jahren. Einer Studie zufolge gab es in Österreich im Jahr 2006 etwa 480 Fitnessstudios mit rund 510.000 Mitgliedern (ca. 60% Männer), entsprechend einer Mitgliedersteigerung von rund 60 (!) % seit dem Jahr 2002. Auch Extremsportbewerbe verzeichnen immer höhere Teilnehmerzahlen, wobei speziell beim Ironman die Männerdichte mit rund 90% besonders frappierend ist.
Warum aber nimmt gerade jetzt die mediale Thematisierung männlicher Körperlichkeit so rasant zu?
Ein mögliches Erklärungsmodell, das v.a. Soziologen und Psychologen gerne heranziehen, hat mit der Entwicklung der weiblichen Rolle in der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten zu tun. Seit der Emanzipationsbewegung der 1970er Jahre ist viel Bewegung in die Geschlechterrollen geraten. Frauen sind immer häufiger in der Erwerbsarbeit vorzufinden und so sind klassische, über Jahrhunderte hinweg tradierte Männerrollen wie der „Ernährer“ und „(Familien-)Beschützer“ immer brüchiger und seltener geworden. D.h., dass auch ein männlicher Identitätswandel von statten geht und bei vielen Männern Unsicherheit hinterläßt. Beobachtern zufolge ist seit dieser Zeit auch eine verstärkte Zurschaustellung männlicher Körperlichkeit und Körperkraft zu verzeichnen, welche primär im sportlichen und medialen Bereich inszeniert wird. Die Vermutung liegt nahe, dass dies auch damit zu tun haben könnte, dass diese Art von gezeigter Körperlichkeit beruflich gesehen in unserer heutigen Wissens- und Informationsgesellschaft nur mehr sehr spärlich gebraucht wird. Ein steigender körperbezogener Narzissmus, welcher v.a. sportlich ausgelebt wird, ist ein mögliches Resultat daraus.
Womit Frauen seit vielen Jahrzehnten medial konfrontiert und „gequält“ werden, ist für Männer relativ neu. Die medial suggerierten Bilder (z.B. der „super-durchtrainierte“ Fußballer Christiano Ronaldo) und Botschaften erzeugen bei einer stetig wachsenden Anzahl von Männern, v.a. aber auch bei heranwachsenden Burschen, denen es häufig an realen männlichen Vorbildern fehlt, Druck, der mit unterschiedlichsten Formen des Ausagierens kompensiert wird. Zahlen von Schönheits-OP’s bspw. belegen dies eindrucksvoll. Wurde im Jahr 1985 noch jede 20igste Schönheitsoperation (5%) an einem Mann durchgeführt, sind es heute bereits 20%. Leider sind in diesem Zusammenhang auch psychosomatische Erkrankungen wie Essstörungen bei Männern und der „Adonis-Komplex“ zu erwähnen, die in den letzten Jahren immer häufiger diagnostiziert werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in der medialen Darstellung des aktiven, sportlichen Mannes ein Trend gesetzt wird, der schon im alten Griechenland bekannt war. Nur schade, dass die heutigen Trendsetter in den Werbeagenturen und Redaktionen einschlägiger Lifestyle-Magazine meist keine Philosophen sind, sondern die Männlichkeit mit platten Slogans beglücken. Für viele dieser Äußerungen hätte Sokrates wohl nur einen seiner gefürchtet bissigen Kommentare übrig gehabt: „Wie viel es doch gibt, was ich nicht brauche!“
Dies v.a. jungen, heranwachsenden Männer zu vermitteln, die gerade erst dabei sind, ihre männliche Identität zu entwickeln, scheint ein vordringliches Anliegen zu sein. Denn nur wer über einen ausgeprägten Selbstwert, der sich aus unterschiedlichsten Bereichen zusammensetzt, verfügt, ist nicht so anfällig für die tagtäglich vermittelten Botschaften, wie man(n) denn nun zu sein hat.
Autor: Mag. Bernhard Wappis, verfasst im Auftrag des Katholischen Familienwerks, erschienen im Männermagazin „ypsilon“ 4/2013, S. 18 f.
Der Autor ist Klinischer- und Gesundheitspsychologe. Mehr unter http://www.mann-sein.at
Quellangabe:
Der Adonis-Komplex. Schönheitswahn und Körperkult bei Männern, Pope/Phillips/Olivardia, 2001
Diplomarbeit "Männlichkeit, Körperkult und Schönheitsideale. Die Leiden des schönen neuen Mannes", Bernhard Wappis, Alpe-Adria-Universität Klagenfurt, 2006
„Schöner neuer Mann und griechische Antike“, Mario Rausch, 2006
„Kosmetik-Transparent“ (www.kosmetik-transparent.at/presse/presseaussendungen 14.05.2013)