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Referat für Weltanschauungsfragen

Verschwörungstheorien und Corona-Krise

Eine Handreichung

Bild: Arbeitsgemeinschaft der katholischen Weltanschauungsreferate Österreichs
Bild: Arbeitsgemeinschaft der katholischen Weltanschauungsreferate Österreichs

Verschwörungstheorien und ihre Verbreitung

Gegenwärtig werden im Internet, in sozialen Netzwerken, bei Demonstrationen etc. angebliche „Wahrheiten“ über das SARS-CoV-2-Virus und die COVID-19-Pandemie verbreitet, die ExpertInnenmeinungen widersprechen und angeblich von den „Mainstream-Medien“ bzw. der „Lügenpresse“ verschwiegen werden. Begleitet werden sie von Slogans wie „Masken sind unwürdig!“, „Es reicht!!! Wir sind gegen Corona-Impfung!“, „Gib Gates keine Chance“, „Die WHO ist korrupt!“, „Gegen 5G-Ausbau“ oder lediglich einem großen „Q“ mit der einen oder anderen Beifügung.

Häufig handelt es sich dabei um Verschwörungsideologien (auch: Verschwörungserzählungen, -mythen oder - umgangssprachlich und ungenau - Verschwörungstheorien). Unter einer Verschwörung versteht man die geheime Absprache mehrerer Personen, mit bestimmten Mitteln Macht zu gewinnen. Eine Verschwörungsideologie hält den Verdacht einer Verschwörung auch dann aufrecht, wenn er sich als äußerst unwahrscheinlich erweist oder sogar durch Indizien oder Beweise widerlegt wird.

Verschwörungstheorien (kurz: VTn – Im Folgenden wird diese verbreitete Bezeichnung verwendet.) hatten stets in Zeiten gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Krisen und Umbrüche Hochkonjunktur. Neu sind die effizienteren Verbreitungswege. An die Stelle von Druckschriften und realen Treffen ist vielfach das Internet getreten, was „Echokammern“ und „Filterblasen“ und damit die (Selbst-) Isolation von VT-AnhängerInnen noch verstärkt: Suchmaschinen reihen verschwörungstheoretische Inhalte vor, wenn sie „merken“, dass man hauptsächlich danach sucht. Und auch im virtuellen Raum wie im realen Leben „unterhält“ man sich (chattet, besucht Foren …) am liebsten mit Gleichgesinnten. Auffällig ist auch, dass die Sachkompetenz der UrheberInnen bzw. VerbreiterInnen von VTn kaum eine Rolle spielt und fachlichen Laien oder wissenschaftlichen „Sondermeinungen“ mehr Glauben geschenkt wird als ausgewiesenen ExpertInnen.

Aktuelle COVID-Verschwörungstheorien

Im Folgenden seien einige aktuelle Beispiele genannt:

Das Virus – manche sprechen von einem militärischen Kampfstoff – sei aus einem Labor in Wuhan entwichen oder eine Schöpfung der Pharmaindustrie, um Impfstoffe teuer verkaufen zu können. Dahinter stünde – so eine weitere Variante – die „Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung“, die u.a. Virenforschung und Impstoffentwicklung finanziert und zudem Großspenderin der WHO ist. Manche wittern hinter Impfungen den Versuch, mittels Genmanipulation oder heimlich eingepflanzter Mikrochips Menschen zu kontrollieren oder gar zu töten. Oder: Das Virus sei eigentlich harmlos oder eine bloße Erfindung, um die Einschränkung bürgerlicher Grundrechte und Freiheiten zu rechtfertigen oder die Erkrankungs- und Todesfälle zu erklären, die in Wahrheit auf den Ausbau der 5G-Mobilfunktechnologie zurückzuführen seien. Oder noch extremer: Der Lockdown im Frühjahr 2020 sollte eine groß angelegte Befreiungsaktion von entführten Kindern ermöglichen, die angeblich in unterirdischen Lagern gefangen gehalten, gefoltert und getötet würden, um aus ihrem Blut ein Verjüngungsmittel namens „Adrenochrom“ zu gewinnen. Die dazugehörige „Rahmenerzählung“ nennt sich wegen des unbekannten Urhebers „Q“ (s.o., vgl. die „Qs“ auf T-Shirts und Transparenten etc.) „QAnon“ und hat den „heldenhaften Kampf“ Donald Trumps und seiner Getreuen gegen eine satanische Elite von KinderhändlerInnen und den „Deep State“, eine angebliche geheime Schattenregierung der USA aus Politikern, Bankiers, Hollywoodstars etc., zum Inhalt.

Diese neuen Elemente werden häufig in eine alte „Super-VT“ integriert, in der angeblich Juden, Freimaurer, Illuminaten, Jesuiten und der Vatikan, reptilienähnliche Außerirdische u.a. unter der Führung einer anonymen „Elite“ eine allumfassenden „Neue Weltordnung“ („New World Order“, NWO) schaffen wollen.

Wie funktionieren Verschwörungstheorien?

VTn führen gesellschaftliche, politische, ökonomische etc. Vorgänge und Ereignisse auf eine oder mehrere Verschwörungen zurück. Dazu werden Fakten mit ungenau wiedergegebenen oder aus dem Kontext gerissenen Halbwahrheiten und frei erfundenen „Fake News“ kombiniert. So werden Zusammenhänge geschaffen und Muster sichtbar, die es eigentlich nicht gibt. Weitere Ereignisse lassen sich nachträglich leicht in dieses Konstrukt integrieren. Es entsteht der Eindruck, die vermeintlichen „VerschwörerInnen“ würden überall Hinweise hinterlassen, obwohl reale Verschwörungen geheim sind und sich deshalb auf einen kleinen, überschaubaren Personenkreis beschränken. Deshalb sollte auch die große Zahl an angeblichen Verschwörungen mit ihren unzähligen MittäterInnen und –wisserInnen zu denken geben.

Wem nützen Verschwörungstheorien?

VTn sind ein Wirtschaftsfaktor: Nicht nur einschlägige AutorInnen und Verlage verdienen daran, sie bieten auch Stoff für Romane, Filme und Serien, Dokumentationen etc. Mittlerweile haben auch OrganisatorInnen von Corona-Demos die lukrative Seite der dort verbreiteten VTn entdeckt: T-Shirts und Merchandising-Artikel, organisierte Busreisen zu den Kundgebungen und Spenden bringen nicht wenig Geld ein.

VTn erfüllen vor allem für ihre AnhängerInnen wichtige Funktionen:

Sie stiften Sinn, indem sie in die vielschichtigen und unüberschaubaren gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Ereignisse eine – zwar trügerische und falsche, aber dennoch – Ordnung bringen und so unsere komplexe Welt einfach erscheinen lassen (Komplexitätsreduktion). Das stärkt auch die eigene Identität, denn jemand, der meint, diese Zusammenhänge zu kennen, gehört zu den „Wissenden“, „Erwachten“ oder „Truthern“, die sich von den unwissenden und folgsamen „Schlafenden“ abheben. Zudem wähnt man sich auf der Seite der „Guten“, die den angeblichen VerschwörerInnen, den „Handlangern des Bösen“ o.ä. gegenüberstehen.

Gefahren von Verschwörungstheorien

Seit jeher machen sich PopulistInnen die genannten Mechanismen zunutze, um der Bevölkerung einfache Erklärungen für Missstände zu bieten, sie gegen die angeblich „Schuldigen“ aufzuwiegeln und Hass und Gewalt gegen diese Feindbilder zu schüren. So sind VTn ein wichtiger Bestandteil politischer Extremismen und totalitärer Systeme. ChristInnen sollte schmerzlich bewusst sein, dass auch im Namen des Glaubens über Jahrhunderte Menschen als UrherberInnen von Unheil und Katastrophen diffamiert, verfolgt und ermordet wurden, wie Judenhass und Hexenwahn zeigen. Gerade antisemitische VTn, die seit dem Mittelalter in Pogromen und vor allem in den NS-Gräueln gipfelten, konnten nie ausgerottet werden. So ist „personalisierender Antikapitalismus“ (im Unterschied zu sachlicher Kritik an wirtschaftlichen Missständen) häufig mit Antisemitismus verknüpft, etwa nach der Formel: Schuld an allem ist die „Hochfinanz“ = Banken (besonders die „FED“) = Fam. Rothschild u.a. = „die Juden“.

Dass VTn im Widerspruch zu einer pluralen demokratischen Gesellschaftsordnung stehen, zeigt sich auch daran, dass VT-AnhängerInnen gerne „Wir sind das Volk!“ rufen, abweichende Meinungen anderer „Volksangehöriger“ aber prinzipiell ablehnen bzw. als „Kollaboration mit den VerschwörerInnen“ werten.

Wenn wegen des „Widerstands“ gegen Pharmakonzerne, „Impflobby“ o.ä. notwendige Therapien abgelehnt, bedenkliche Mittel und Methoden angewendet oder Corona-Schutzmaßnahmen (Masken, Abstand, Hygiene etc.) unterlassen werden, weil ja das Virus harmlos sei, gar nicht existiere oder Masken gefährlich seien, entstehen – u.U. tödliche – Gefahren für die Gesundheit.

Anmerkungen aus christlicher Sicht

Gerade aus christlicher Sicht ist der Einsatz aller „Menschen guten Willens“ für eine lebenswerte Welt gefordert. VTn sind hingegen in hohem Maß gemeinschaftsschädigend, weil sie Misstrauen säen und die Gesellschaft spalten. Zudem gebieten Solidarität und Nächstenliebe den Schutz der Mitmenschen (vor allem der schwächeren), z.B. durch Einhalten der COVID-Hygienemaßnahmen. So kann es auch keine absolute persönliche Freiheit geben, weil meine an der des/der Nächsten endet und durch das Gemeinwohl begrenzt ist. Das sei vor allem denen gesagt, die beim Protest gegen Anti-Corona-Maßnahmen inakzeptable Vergleiche mit wirklichen Diktaturen (bis hin zum NS-Regime) ziehen und damit deren Opfer tief verletzen und beleidigen. Im Bewusstsein der eigenen Fehlerhaftigkeit sollte man sich vor einer dualistischen, schwarz-weißen Einteilung der Welt in Gut und Böse hüten. Das populistische Schüren von Hass und Gewalt sowie Antisemitismus haben in der Kirche keinen Platz. Gerade im Umgang mit der gegenwärtigen Informationsflut ist die Vernunft als Gabe Gottes zur „Unterscheidung der Geister“ hoch einzuschätzen. VTn tendieren dazu, Verantwortung für negative Ereignisse auf angebliche „VerschwörerInnen“ abzuschieben und scheinbar rationale Erklärungen für nicht fassbares Unheil zu bieten. Das kann Anstoß dazu sein, sich aus einer Vertrauensbeziehung zu Gott mit Fragen nach Unrecht und persönlicher Schuld und mit der menschlichen Beschränktheit in einer, von Gott gut gewollten, aber noch unvollkommenen Welt auseinanderzusetzen.

Was tun? Vermeidung von und Umgang mit Verschwörungstheorien

Viele von uns werden mit VTn konfrontiert: im privaten und beruflichen Umfeld, aber auch im Bereich der Pfarrgemeinde. Manchmal erscheint uns auch die eine oder andere VT als faszinierend oder plausibel. Dabei sind stets Besorgnis und Verunsicherung durch belastende Ereignisse wahr- und ernst zu nehmen, die hinter der Akzeptanz von VTn stehen. Langfristigen Erfolg gegen VTn werden nur Maßnahmen zeitigen, die das Selbstvertrauen von Menschen stärken und ihnen das Gefühl der Kontrolle über das eigene Leben und der aktiven Teilhabe an einer Gemeinschaft zurückgeben. Dabei sind alle gesellschaftlichen Kräfte, aber auch das persönlichen Umfeld gefordert.

Niemand ist gegen VTen „immun“. Vorbeugend ist es deshalb wichtig, die eigenen Meinungen und Überzeugungen zu hinterfragen: Lasse ich mich – Wer tut das nicht manchmal? - von Vorurteilen und Verallgemeinerungen leiten? Welchen Informationsquellen schenke ich Glauben? „Alternative WissensanbieterInnen“ verdienen mindestens die gleiche Skepsis wie etablierte Medien. „Im Internet steht …“ ist kein Qualitätsbeweis, denn da steht alles - auch, dass die Erde eine Scheibe sei.

Bei allem Respekt vor der Person eines/einer VTn-AnhängerIn sollte man menschen- und demokratiefeindlichen Positionen (s.o.) stets entschieden entgegentreten.

Selbst wenn man - was selten der Fall ist - das nötige Fachwissen hat, um VTn lückenlos mit Fakten zu widerlegen (sog. „Debunking“), kommt man kaum gegen ein verfestigtes verschwörungsideologisches Weltbild an. Meist wird man auch von einer Vielzahl an Behauptungen überrumpelt und weiß nicht, wie man darauf antworten soll. Grundsätzlich liegt die Beweislast bei der Person, die etwas behauptet. Man kann versuchen, Zweifel zu wecken, indem man die „Flut“ in einzelne Aussagen zerlegt und gezielt nachfragt: Woher hast du diese Information? Warum glaubst du das? Wie wahrscheinlich ist es, dass das stimmt? (Ein „eingeimpfter“ Chip z.B. ließe sich leicht nachweisen.) Besonders wenn der/die GesprächspartnerIn einen Teil ihrer Identität bzw. ihres Selbstwertes aus VTn bezieht, ist es wichtig, alternative Erklärungsmöglichkeiten anbieten zu können. In der gegenwärtigen Pandemie kann es etwa hilfreich sein, zwischen legitimer (auch in der angeblichen „Lügenpresse“ geäußerter) Kritik an politischen Fehlern und angeblich verschwörerischem, böswilligem Vorsatz zu unterscheiden.

Beim Vorgehen gegen VTn empfiehlt es sich, Verbündete zu suchen und auf seriöse Recherchen („Faktenchecks“) - z.B. zu einzelne Corona-Mythen - zurückzugreifen. Solche werden z.B. angeboten von: Mimikama (Verein zur Aufklärung über Internetbetrug und Falschmeldungen, für Computersicherheit und zur Förderung von Medienkompetenz und Beobachtungsstelle für Desinformation und Social Media Analysen), dem Hoax-Info-Service der TU Berlin (angebliche Computerviren und andere Falschmeldungen und Gerüchte; um Corona-Fake News geht es hier) u.a.m.

Dieser Text kann in leicht gekürzter Form im PDF-Format heruntergeladen werden. Weitere Informationen zum Thema finden sich auch auf www.weltanschauungsfragen.at (Aktuelle Texte zu COVID-19, Verschwörungstheorien - allgemein und COVID-19, Lexikon-Artikel "Verschwörungstheorien" von L. Jaschke). Für weitere Informationen steht das Referat für Weltanschauungsfragen gerne zur Verfügung.

Lambert Jaschke, Mai 2021