Organisation

Referat für Menschen mit Behinderungen

Weihnachtsengel

Wie Weihnachten für uns zum Fest wurde

 (© Foto: Haab)
(© Foto: Haab)

Als unsere älteste Tochter noch kleiner war – sie sitzt aufgrund ihrer Beeinträchtigung im Rollstuhl –, hatten wir am Heiligen Abend jedes Jahr dieselbe Situation: Wenn die letzten Türchen am Adventkalender geöffnet wurden, waren die Tage immer stärker von den Vorbereitungen auf das große Fest geprägt, Nora und ihre beiden jüngeren Geschwister voller Erwartung. Am Heiligabend stieg die Spannung trotz unserer kreativsten Bemühungen immer weiter. Es knisterte sozusagen beständig wie in einer Trafostation, und da und dort kam es auch zu kleinen Entladungen. Und uns Eltern, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollten, beschlich die Befürchtung, es könnte am Ende wieder so werden wie vergangenes Jahr ... was die Kinder mit ihrem siebten Sinn selbstverständlich erspürten. Dann, endlich: der große Augenblick, wo die Tür zum Wohnzimmer sich öffnet, wo Baum und Krippe stehen. Und Nora begann wieder zu schreien. Jedes Jahr das Gleiche, jedes Jahr gleich schrecklich: Wir träumen vom schönsten Moment des Jahres, und dann …
Das hat den Weihnachtsfrieden sehr schwer gemacht. Bis wir vor ein paar Jahren einen Engel eingeladen haben.
Im Nachbarort gibt es einen schönen Christkindlmarkt, mit Tannenduft, schöner Musik, Maroni und Lebkuchen. So, wie ihn die Kinder lieben. Als wir hinkamen, war da gerade ein Engel, von einer sehr einfühlsamen Schauspielerin verkörpert, und Nora konnte ihre Augen kaum von ihm lösen. Mir kam eine Idee … Gesagt, getan: Die Schauspielerin war einverstanden und kam am Heiligen Abend zu uns in die Küche. Sie war der Engel, der uns, vor allem Nora, die Weihnachtsgeschichte erzählte. Nora hing mit den Augen an dem großen, weißen Engel, las ihm jedes Wort vom Mund ab. Wir sangen und beteten. Zuletzt begleitete uns der Engel zum Wohnzimmer, öffnete die Tür: Da war der Christbaum, darunter die Krippe ... dann war der Engel verschwunden, wie die richtigen Engel damals. Seither ist der Heilige Abend für uns anders geworden. Mir kam vor, dass Nora erst durch den Engel die Weihnachtsgeschichte verstanden hat. Bisher hatte sie offensichtlich nur unsere steigende Aufregung verstanden, die dann in Enttäuschung gekippt ist, weil sie an der schlichten Krippe unter dem Baum nichts Aufregendes fand. Aber seit Nora es durch den Engel verstanden hat, ist Weihnachten für uns alle ein Fest des Friedens geworden.

 

Namen von der Redaktion geändert