Organisation

Referat für Menschen mit Behinderungen

An seine Grenzen gehen und daran wachsen

Mit dem "Team Insieme" des Alpenvereins inklusiv in Schweden

 (© Foto: Team Insieme)
(© Foto: Team Insieme)

Im Kanu über die Seen in Schweden paddeln, jeden Tag an einem anderen Ort die Zelte aufbauen, zusammen kochen und den Abend am Lagerfeuer genießen, eine unvergessliche Zeit. Solche Aktivitäten in der Natur erscheinen vielen Menschen unerreichbar. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmern des „Team Insieme“ (insieme: ital. für „zusammen“) haben sich dieser Herausforderung gestellt, und es wurde ein Riesenerlebnis.

Mit Andrea Szabadi Heine sprach Claudia van Kessenich

 

Sie sind an ihren Aufgaben enorm gewachsen. Sie haben Dinge getan, die unerreichbar schienen, wie eine Höhle erkunden, Klettern gehen, sich von einer Brücke abseilen, paddeln und sich in der freien Natur in einem fremden Land zurechtfinden. In der Gruppe war möglich, was allein nicht geht. Wenn jede/jeder ihre/seine Stärken und Fähigkeiten einbringt, können wir gemeinsam das gesteckte Ziel erreichen.

Die Anfänge

„Mit viel Mut und Engagement haben wir uns auf dieses große Erlebnis eingelassen. Der Österreichische Alpenverein hat die richtigen Rahmenbedingungen geboten, Martin Meusberger und ich haben als Verantwortliche die Abläufe gesteuert und moderiert“, fasst Andrea Szabadi Heine zusammen. „Wir haben nicht gewusst, was auf uns zukommt, manches haben wir sicher unterschätzt. Aber alle haben das Projekt als große Chance wahrgenommen und sind daran gewachsen.“

Es begann mit dem Sichten der Bewerbungen: Teilnehmen sollten Menschen, die „ähnlich ticken“, eine ähnliche Vision haben. Jede/jeder sollte sich mit seinen Stärken einbringen können. „Wir wollten kein „Helfersyndrom“ in der Gruppe. Es war großartig zu erleben, wie eine so heterogene Gruppe, Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, männlich und weiblich, im Alter von 16 bis 50 Jahren, aus verschiedenen Regionen dreier verschiedener Länder, so gut zusammengewachsen ist." Dafür gab es Zeiten, um sich auszutauschen, in Diskussion zu gehen, sich kennenzulernen, Werte und Visionen zu diskutieren und das Ziel zu formulieren – auch wenn das Treffen solcher Gruppenentscheidungen sehr anspruchsvoll ist.

Sich kennenlernen

„Schon beim ersten Kennenlernen, fünf Tage bei ausgesprochenem Schlechtwetter auf der Ferienwiese in Lofer, hat sich die Gruppe zusammengefunden“, so Szabadi Heine. „Alle waren aufgeregt. Es war spannend zu sehen, wie die einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Probleme herangehen. Wir haben eine Höhle erforscht, zwei Rollis 480 Stufen hinauf- und hinuntergetragen, ein Floß gebaut, sind geklettert ...“

In einem zweiten Schritt im Bregenzerwald, bei traumhaften Wetter, ging es darum auszuloten, wie sich die Gruppe am Besten fortbewegen kann. Es wurde vieles ausprobiert, Abseilen in eine Schlucht – für viele absolutes Neuland –, Wandern, Radfahren, Schwimmen, Übernachtung im Freien, Aufteilen des Gepäcks, Ausdauer und Leistungsvermögen ausloten. So wurde das gemeinsame Ziele erarbeitet: Paddeln in Südschweden! „Die Grenzen sollten erweitert werden, wir wollten offen sein, in freier Natur, ein fremdes Land mit einer uns fremden Sprache erkunden.“ Auch der Besuch eines Sozialprojektes wurde geplant. Im Sommer 2016 wurde das selbstgesteckte Ziel erreicht. „Wir alle sind gewachsen und haben erlebt: Ich kann hier mittun!“ Das Erleben dieser Normalität hat vieles, was sonst mit dem Thema Beeinträchtigung verbunden ist, relativiert. Die Eltern waren oft erstaunt zu sehen: „Mein Kind kann das ja!“

Grenzen verschieben sich

Alle in der Gruppe haben ihre Grenzen verschoben: indem sie Aufgaben übernommen haben, sich in die Gruppe eingegliedert haben, beim gemeinsamen Floßbauen bei Schlechtwetter ... „Für Menschen mit Behinderung war es entlastend zu sehen: Ich bin ja gar nicht so stark behindert, ich kann vieles tun und mich einbringen! Und Menschen ohne Beeinträchtigung haben gesehen: Ich hab’ ja so was auch!“, bringt es Szabadi Heine auf den Punkt. Manch einer habe auch mit dem Schicksal gehadert: „Ja, du sitzt zwar im Rollstuhl, aber du kannst gut reden.“ – „Ja, aber dafür hast du zwei gesunde Beine und kannst über die Berge springen.“ Die Gespräche und Diskussionen führten zur Erkenntnis, dass es nicht hilfreich ist, sich mit anderen zu vergleichen, sondern dass jeder Einzelne sich andere persönliche Ziele setzen muss. Auch die, die sich nicht so sehr in organisatorische oder inhaltliche Diskussionen einbringen konnten, haben viel zum positiven Gefühl beigetragen. Zum Beispiel bei der Frage: „Was machen wir morgen?“ mit der spontanen Antwort: „Gehen wir schwimmen!“ – und alle waren happy!

Weil die Bandbreite der verschiedenen Beeinträchtigungen wie auch der persönlichen Kompetenzen sehr groß war, haben wir und      gegenseitig angespornt und konnten die verschiedenen Voraussetzungen nutzen, um etwas zu erreichen. Jeder hat andere Hürden gehabt, um seine persönlichen Grenzen durch das Erlangen von Handlungskompetenz zu erweitern.

Inklusion ist eine Bereicherung

„Im Anschluss an die Tour haben wir auch eine Camphill-Wohngemeinschaft besucht. Es war ausgesprochen bereichernd zu sehen, wie in Schweden mit Behinderung umgegangen wird, wie dort die Menschen mit Beeinträchtigung Teil der Gemeinschaft im Ort sind. Wir haben mit ihnen im Garten gearbeitet und gemeinsam gesungen – bewegende Erlebnisse.“ Der Erfolg des gelungenen inklusiven Projekts „Team Insieme“ zeigt, wie wichtig selbstorganisierte Gruppen sind. „Wir haben bewiesen, dass es machbar ist und es sich lohnt, sich für eine Lebensvision einzusetzen. Mit positiver Grundeinstellung und Energie kann man viel erreichen. Es hat sich gezeigt: Inklusion ist lebbar und eine Bereicherung für alle! Sie hat Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein erweitert. Das nutzt wiederum im Alltag: Wenn ich vor neuen Herausforderungen stehe, weiß ich: Ich war mit „Team Insieme“ im Kanu-Trekking in Schweden, ich traue mir alles zu!“