Organisation

Referat für Menschen mit Behinderungen

Aufbrechen aus dem, was uns lähmt

 (© Foto: Haab)
(© Foto: Haab)

Es gibt Bilder, die sich ein Leben lang einprägen. „Blinde sehen wieder, Lahme gehen, und Aussätzige werden wieder rein" – ein Text, der in der Adventzeit gelesen wird – ist für mich ein solches Bild. Ein Bild des Alten Testaments dafür, wie die erlöste Welt einmal aussehen wird.

Die „Lahmen“ sind es, auf die wir in dieser Ausgabe von „Schatten & Licht“ ein besonderes Augenmerk haben möchten, oder, besser gesagt: Auf das, was in uns selbst lahm ist, lahm geworden, gelähmt.

Wem wurde nicht als Kind einmal „lahme Ente“ oder etwas ähnliches gesagt? Das ist kein Kompliment, es verletzt. Und vielleicht kämpfen wir bis heute dagegen, vor uns selbst und vor anderen als „lahm“ oder gelähmt dazustehen.

 

Ein harter Schritt kann es sein, mir einzugestehen, dass ich da oder dort tatsächlich wie gelähmt bin. Ein Schritt, der nicht immer freiwillig geschieht, sondern oft mit der Erfahrung von Leid verbunden ist. Aber es ist wie bei Suchtkranken: Erst wenn ein Mensch sich seine Sucht eingesteht und Hilfe sucht, kann er aufbrechen zu Neuem, kann Heilung erfahren. Aufbrechen aus dem, was ihn bisher gelähmt hat; aufbrechen aus dem, was ihn bisher unfrei gemacht hat; kann Mauern aufbrechen und freier werden.

Manchmal braucht es ein Scheitern auf der einen Ebene, um auf einer anderen einen Aufbruch

zu erleben. Wie bei Nüssen, die erst aufbrechen müssen, damit der genießbare Inhalt zum Vorschein kommt. Und es braucht Zeit: Jetzt im Herbst bilden sich die Knospen, die im Frühling aufbrechen werden.

Wir haben für Sie einige solcher Heilserfahrungen zusammengetragen. Sie zeigen, auf welchen manchmal erstaunlichen Wegen der Mensch geführt wird. Auch heute noch werden Lahme geheilt, Blinde werden sehend, und Aussätzige – aus der Gesellschaft Verstoßene – werden wieder rein. Wer gläubig ist, sieht darin das Wirken Gottes.

 

Menschen werden auch durch ihr Umfeld gelähmt und behindert. Lebhaft ist mir Frau H. in Erinnerung, eine ehemalige Verkäuferin, schlagfertig und voller Humor, bis ein Schlaganfall ihr Leben veränderte. Wenn sie – nun im Rollstuhl – an ihren Schlaganfall erinnert wurde, verkrampfte sich ihr ganzer Körper, und es brach aus ihr heraus: „Jetzt bin ich nur noch ein Krüppel!“ – Auch die neue Einheitsübersetzung der Bibel spricht davon, dass die Apostel „Verkrüppelte“ heilten. Das ist, leider, eine abwertende Übersetzung für das griechische Wort „Gelähmte“, die seit Martin Luthers Bibelübersetzung im deutschen Sprachraum immer wieder „blind“ übernommen wurde und viel über die gesellschaftliche Sicht von Behinderung sagt.

Brechen wir auf!

 

Mehr zu Gewohnheiten, Abhängigkeiten und Sucht und zum Aufbrechen daraus finden Sie in der gedruckten Ausgabe von "Schatten & Licht".