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Dekanat Villach-Stadt

Die Liturgiekonstitution und die Erneuerung unseres Gottesdienstes

 (© Foto: mirko hofer)
(© Foto: mirko hofer)

Das am 11. Oktober 1962 durch Papst Johannes XXIII. eröffnete Konzil beschäftigte sich in seiner ersten Sitzungsperiode vor allem mit dem Entwurf der Liturgiekonstitution, der als einziger von allen vorbereiteten Texten vom Konzil akzeptiert wurde. Das lag vor allem daran, dass in den vorausgegangenen Jahrzehnten eine Erneuerung des Gottesdienstes besonders im französischen und deutschen Sprachraum sowohl in theologischer als auch in pastoraler und historischer Hinsicht umfassend behandelt worden war. Es gab seit Anfang des 20. Jahrhunderts
die „Liturgische Bewegung“, die durch Pius XII. in der Enzyklika „Mediator Dei“ Anerkennung gefunden hatte. Durch die Reform der Osternachtfeier und der gesamten Karwochenliturgie waren bereits wichtige Schritte zur Verwirklichung einer umfassenden Erneuerung des Gottesdienstes gesetzt worden. Dementsprechend bestand die Vorbereitungskommission aus den führenden Vertretern der „Liturgischen Bewegung“, wahrend alle anderen Kommissionen nur Vertreter der konservativen römischen Theologie umfassten. Auf seinem Weg in die Konzilsaula hat der Entwurf der Liturgiekonstitution allerdings aufgrund kurialer Machenschaften massive Veränderungen erfahren, insofern die vorgesehene Rechtszuständigkeit der Bischofskonferenzen rückgängig gemacht und dem Konzil nur die Erstellung allgemeiner Grundsatze zugebilligt wurde; die konkrete Reform sollte ausschließliches Recht der römischen Kurie bleiben. Es nutzte nicht viel, dass das Konzil die Rechte der Bischofskonferenzen in Bezug auf die Gestaltung der Liturgie wiederherstellte, nach dem Konzil wurden diese von Rom zuerst scheibchenweise reduziert, um dann durch das neue Kirchenrecht vollständig eliminiert zu werden.

Im Gebet verwirklicht sich der Glaube
Doch zurück zur Liturgiekonstitution. Im Artikel 1 stellt das Konzil die Erneuerung der Liturgie in den großen Zusammenhang einer Erneuerung des gesamten Lebens der Kirche: „Das Heilige Konzil hat sich zum Ziel gesetzt, das christliche Leben unter den Gläubigen mehr und mehr zu vertiefen, die dem Wechsel unterworfenen Einrichtungen den Notwendigkeiten unseres Zeitalters besser anzupassen, zu fordern, was immer zur Einheit aller, die an Christus glauben, beitragen kann und zu starken, was immer helfen kann, alle in den Schoss der Kirche zu rufen. Darum halt es das Konzil auch in besonderer Weise für seine Aufgabe, sich um die Erneuerung und Pflege der Liturgie zu sorgen.“ Hinter dieser Aussage steht das alte kirchliche Prinzip: „Das Gesetz des Gebetes bestimmt auch das Gesetz des Glaubens“, d. h. im Gottesdienst der Kirche verwirklicht sich ihr Glaube. Zwischen dem Glauben der Kirche und der Feier des Gottesdienstes besteht eine Wechselwirkung und damit bedeutet eine Erneuerung des Gottesdienstes auch eine Erneuerung und Vertiefung des Glaubenslebens.
Was das Grundverständnis von Gottesdienst betrifft, so ist er im erneuerten Verständnis, das auch das ursprüngliche ist, nicht in erster Linie ein „Kult“, der vom Menschen Gott gegenüber vollzogen wird, sondern Handeln Gottes am Menschen. Gottesdienst ist nicht in erster Linie „Dienst des Menschen gegenüber Gott“, sondern „Dienst Gottes gegenüber dem Menschen“, der sich in der Verkündigung und Mitteilung der Erlosung in Jesus Christus und dessen menschlichem Schicksal verwirklicht.

Das Heilsangebot Gottes
Das Handeln des Menschen ist immer Antwort auf dieses Heilsangebot Gottes. Im Gottesdienst wird das
Heilsangebot Gottes in Jesus Christus, durch seine Menschwerdung und sein menschliches Schicksal bis hin zum Sieg über den Tod gefeiert und im Gedächtnis gegenwärtig. Zusammengefasst wird das gesamte Schicksal Jesu Christi im Begriff „Paschamysterium“, dem Geheimnis von Tod und Auferstehung Jesu Christi, das in jeder liturgischen Feier in bestimmter Weise gegenwärtig wird; diese Gegenwärtigung geschieht durch das Gedächtnis. Die Worte des Herrn beim Abendmahl: “Tut dies zu meinem Gedachtnis“, gelten nicht nur für die Feier des Herrenmahles, sondern für jede liturgische Feier. Diese Sicht, dass Gottesdienst in erster Linie Handeln Gottes am Menschen und erst in zweiter Linie antwortendes Handeln des Menschen ist, bildet den entscheidenden Unterschied des christlichen wie auch des jüdischen Gottesdienstes gegenüber allen heidnischen Kulten, die in erster Linie eine Gottheit gnädig stimmen wollen. Die Leistung des Menschen, seine Verdienste und Werke zwingen geradezu die Gottheit, diese zu belohnen. Seit dem Mittelalter bis herauf zum Konzil hat diese heidnische Sicht auch das Verständnis des katholischen Gottesdienstes geprägt, man denke nur an die großen Auseinandersetzungen mit den Reformatoren um die Werkgerechtigkeit und den Ablas. Die Liturgiekonstitution hat wieder deutlich gemacht, dass im Gottesdienst in erster Linie Gott durch Jesus Christus handelt und der Mensch immer nur der Antwortende ist. Gott verkündet und schenkt uns sein Heil, wir antworten darauf in Lobpreis, Dank und Bitte. Beide Bewegungen, von Gott zum Menschen und vom Menschen zu Gott, erfolgen durch Jesus Christus.

Priestertum aller Getauften
Damit sind wir bei einer zweiten Grundaussage zum Verständnis des Gottesdienstes, nämlich der Frage nach dem Subjekt der Feier, den handelnden Personen. Die Liturgiekonstitution macht deutlich, dass dies nicht ein „sakraler Kultpriester“ ist, wie im heidnischen, aber auch alttestamentlichen Verständnis, der allein Zugang zur Gottheit hat und so „Mittler“ zwischen dieser und den Gläubigen ist, sondern dass dies allein Jesus Christus ist, der nach dem Hebraerbrief der einzige Priester und so auch der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen ist. An diesem Priestertum haben alle Glieder des Leibes Christi, der die Kirche ist, Anteil; es ist das „gemeinsame Priestertum aller Getauften“.
Dementsprechend heißt es in Art. 7 der Liturgiekonstitution, Liturgie ist „Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist“. Vergleicht man damit das vorkonziliare Verständnis, dann ist diese Sicht geradezu revolutionär, sie entspricht aber dem Verständnis des Neuen Testaments, vor allem dem der Briefe des Apostels Paulus, der von den vielfältigen Charismen und Diensten aller Gemeindeglieder spricht, die auf das gemeinsame Wohl hingeordnet sind. Auch die Formulierungen der sogenannten „Amtsgebete" des Priesters bei der Eucharistiefeier, vor allem des Eucharistischen Hochgebetes, tragen dem Rechnung, insofern sie der Priester nicht in seinem persönlichen Namen spricht, sondern im Namen der gesamten Gemeinde durch Jesus Christus an den Vater richtet.

In der Sprache des Volkes
Eine dritte wesentliche Grundaussage der Liturgiekonstitution betrifft den Zeichencharakter. Alles sinnenhaft Wahrnehmbare an der Liturgie, ihr gesamter äußerer Vollzug, soll zum tieferen Verständnis des Glaubens und zum bewussten Vollzug desselben hinfuhren. Damit dies erreicht werden kann, müssen die Zeichen auch als Zeichen verstanden werden können. Dies gilt sowohl für die Sprache im Gottesdienst wie auch fur die einzelnen Vollzuge und Riten. Bis in die Zeit der Germanenmission war es selbstverständlich, dass die jeweilige Volkssprache auch Sprache der Liturgie war. Zuerst war es die aramäische Sprache, die Umgangssprache der Juden zur Zeit der Apostel, dann im römischen Reich die griechische Sprache als die allgemein gebräuchliche Volkssprache, die schließlich im weströmischen Reich durch die lateinische Sprache abgelost wurde. Aus verschiedenen Gründen blieb es nach der Missionierung der Germanen bei dieser Sprache, die immerhin im ganzen Mittelalter die Sprache der Gebildeten war. Erst mit der Reformation kamen Bestrebungen zur Verwendung der inzwischen entstandenen Volkssprachen im Gottesdienst auf, die von der katholischen Hierarchie aufgrund der Opposition zu den Reformatoren vehement zurückgewiesen wurden. Es war das große Verdienst des Konzils, gegen heftigen Widerstand der römischen Kurie und einer kleinen Minderheit konservativer Konzilsteilnehmer die Zulassung der Volkssprache bewirkt zu haben. Sprache dient immer der Verständigung, eine Sprache, die nicht mehr verstanden wird, hat ihren Sinn und ihre Berechtigung verloren. Verständlich sollen aber auch alle Zeichen und Vollzuge im Gottesdienst sein. Viele Riten und Handlungen stammten aus langst vergangenen Zeiten und Kulturen, die dem heutigen Verständnis nicht mehr zugänglich waren. Die Erneuerung sollte ihnen ihre ursprüngliche Aussagekraft wieder geben bzw. wo dies nicht moglich war, sie durch andere, dem heutigen Verständnis entsprechende Handlungen ersetzen. Das Mysterium des Glaubens besteht nicht in der Unverständlichkeit von Sprache und Riten, sondern im Unbegreifbaren und Unfassbaren dessen, was Inhalt unseres Glaubens ist.
Zu den einzelnen Feiern des Gottesdienstes wäre auf viele Änderungen zu verweisen, die vor allem in Bezug auf die Eucharistiefeier eine große Bedeutung für die Beziehungen zu den anderen christlichen Kirchen besitzen, wie etwa die Betonung der Wortverkündigung durch eine Vervielfachung der Schriftlesungen, die Betonung des Mahlcharakters als notwendiger Ergänzung zum Opfercharakter. Geht man alle Reformbestimmungen durch, dann heißt es immer wieder, dass der ursprüngliche Sinn und der eigentliche Inhalt wieder bewusst gemacht werden soll, insofern durch eine Rückbesinnung auf die gesamte geschichtliche Entwicklung dies aufgezeigt wird, andererseits aber daraus die Konsequenzen für die heutige Welt und das heutige Denken gezogen werden. Liturgieerneuerung ist nicht Rückkehr zum Alten, sondern aus der Ruckbesinnung auf das Ursprüngliche den Erfordernissen der Gegenwart und Zukunft zu entsprechen. Liturgie als Lebensvollzug der Kirche darf daher nie erstarren, sondern muss immer für Veränderung und Erneuerung offen sein.

Dr. Franz Nikolasch, von 1962 bis 1965 Seelsorger in Villach, em. O. Univ.-Prof. am Institut für Liturgiewissenschaft und praktische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Salzburg
 

(Diesen Text können Sie auch in der Villacher Brücke,  7. Jahrgang - Nr. 9. November 2012  nachlesen)