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Freue dich, Stadt Jerusalem!?

So beginnt der Eröffnungsvers des heutigen Laetare Sonntags – ein Sonntag, der voller Licht und Freude sein sollte. Aber einen Sonntag wie den heutigen hat es in der Kirche Österreichs wohl noch nie gegeben: Es wird kein einziger Gottesdienst öffentlich gefeiert. Die Kirchen werden leer bleiben, offen höchstens für privates Gebet.

Gerade in diesen Tagen wird uns so richtig bewusst, wie verletzlich und verwundbar Menschen sind. Deshalb ist es auch menschlich, Angst und Verunsicherung zu spüren, wenn das gesellschaftliche Leben zu einem fast vollständigen Stillstand kommt, der Kontakt zu Freunden und Verwandten drastisch eingeschränkt wird, unsere Planungen durchkreuzt werden und wir nicht wissen, was in den nächsten Wochen auf uns zukommt.

Gottesdienste werden über (a)soziale Medien übertragen, um zumindest in dieser Form den Menschen Teilhabe zu ermöglichen. Ob mit oder ohne Kamera und Internet – können Priester „stellvertretend“ für ihre Gläubigen eine Eucharistiefeier zelebrieren? Ein renommierter Liturgiewissenschaftler im deutschen Sprachraum kritisiert diese Praxis heftig. Sie passe nicht zum heutigen Verständnis von Liturgie, die die Mitwirkung „aller Getauften“ vorsieht. Die Messe sei kein Besitzstand der Priester. Aber ganz darauf zu verzichten ist auch keine Option, vor allem wenn der gegenwärtige Zustand länger anhält.

Darf die Kirche ihre Türen schließen? Immerhin braucht es eine „spirituelle Daseinsvorsorge“. Diese ist nicht nur für Christen „systemrelevant“, sondern für die Gesellschaft als Ganzes. Nächstenliebe geht auch trotz Sicherheitsabstand, immerhin wollen alte Menschen und Sterbenskranke weiterhin besucht werden, auch Tafeln sind bereits in Not. Nächstenliebe funktionierte nur von Gesicht zu Gesicht, nicht auf Facebook. Ein Christ muss Mut haben zu bleiben, wenn andere gehen. Viele Menschen – vor allem junge – zeigen das auf beeindruckende Weise. Wir sind aufgerufen solidarisch zu handeln und uns nicht voneinander abzugrenzen. In Berlin wird heute ein Gottesdienst aus der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche übertragen, dem eine katholische Pastoralreferentin, eine jüdische Kantorin, ein Imam und eine evangelische Superintendentin vorstehen. „Gerade weil in diesen Tagen viele Grenzen und Barrieren zwischen Menschen errichtet werden müssen, dürfen die Grenzen nicht in den Herzen hochgezogen werden“, haben drei deutsche Bischöfe dazu geschrieben.

Angesichts der aktuellen Situation muss man sich schon rechtfertigen, wenn man nicht in Panik gerät, aber für Christen gibt es dafür keinen Grund. Non abbiate paura! – habt keine Angst! – rief Papst Johannes Paul II den Menschen nach seiner Wahl zu. Bis heute hat diese Schlüsselpassage seiner Ansprache nichts an Aktualität verloren. Die Freude des Laetare Sonntags ist immer berechtigt, weil Glaube ein guter Impfstoff gegen Angst ist.

Norbert Wohlgemuth