Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Zivilcourage aus dem Geist des Evangeliums

Die Leiterin der Katholischen Sozialakademie Österreichs, Magdalena Holztrattner, im SONNTAG-Gespräch zu verantwortungsvollem Führen, demokratischem Engagement und christlicher Verantwortung

Bildunterschrift (Bildrechte sind zwingend anzugeben!)
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Sie haben im Bildungshaus Tainach den Lehrgang „Verantwortlich führen“ angeboten. Was bedeutet für Sie persönlich, verantwortlich zu führen?
HOLZTRATTNER: Verantwortlich führen heißt für mich, mit dem Blick auf drei Ebenen Verantwortung wahrzunehmen und bewusst zu leben. Das Eine ist die Ebene des Du, die Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mir als Führungskraft anvertraut sind. Haben sie die richtigen Rahmenbedingungen, um Leistung zu bringen? Ist das Miteinander im Unternehmen ein gutes? Geht es den Menschen gut beim Erreichen der Ziele?
Das Zweite ist die Ebene des Ich: Ich kann andere nur gut führen, wenn ich mich selbst gut führen kann. Die Frage, welche Rahmenbedingungen ich als Führungskraft selbst brauche, um meine Leistung zu bringen und dabei menschlich und ausgeglichen zu bleiben. Das ist für viele Führungskräfte die größte Herausforderung: die Frage nach den eigenen Kraftquellen, um in sich ruhen zu können, um emotional ausgeglichen zu sein, um bei schwierigen Gesprächen oder Entscheidungen nicht von fehlgeleiteten Emotionen oder Stress gedrängt zu sein. Das ist eine große Herausforderung, vor allem für Frauen, weil die Herausforderung, im Beruf als Führungskraft und oft auch zu Hause als Mutter und Partnerin viel geben zu müssen, eine Mehrfachbelastung bringt, die Männer so oft nicht kennen.

Und die dritte Ebene?
HOLZTRATTNER: Eine dritte Ebene, die für uns im Sinne der Sozialethik wichtig ist, ist die Ebene des Wir alle, die Verantwortung für die Gesellschaft. Über meine Produkte wie über meine Produktionsbedingungen, über die Gehaltsschemata und über meine Mitarbeiter bin ich ein Teil der Gesellschaft und wirke in sie hinein. Konkret: Wie bezahle ich meine Mitarbeiter? Welche Produktionsbedingungen fördere ich? Welche Artikel produziere ich, welche Dienstleistungen stelle ich zur Verfügung? Sind Dimensionen wie Gerechtigkeit und Menschenwürde oder Solidarität relevant, oder geht es hauptsächlich um Gewinnmaximierung?

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie ür Leitung in kirchlichen Zusammenhängen?
HOLZTRATTNER: Anerkennung und Wertschätzung bei klarer Kommunikation, Transparenz und partizipativ gestalteten Entscheidungsprozessen halte ich für besonders wichtig. Und Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut arbeiten können: in Sicherheit, aber auch mit klaren Aufgabengebieten und Zuständigkeiten. Sehr wichtig ist klare Kommunikation nach außen und innen, nach oben und unten.

Im Idealfall sollte sich die christliche Botschaft schon im Führungsklima widerspiegeln?
HOLZTRATTNER: Eine Führungskraft, die Wasser predigt und Wein trinkt, bekommen Mitarbeiter sofort mit, z. B. wenn im Betrieb gespart werden soll, und selbst verschafft man sich Vorteile, die andere nicht bekommen ... Das ist schlimm, weil dadurch Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren gehen, und als Führungskraft führe ich hauptsächlich durch meine Person.

Von der Kirche zur Gesellschaft: Der Zuspruch zur derzeitigen österreichischen Expertenregierung legt nahe, dass Menschen oft das Gefühl haben, politische Entscheidungen würden nicht aufgrund von Sachwissen, sondern von Ideologie gefällt.
HOLZTRATTNER: Eine Expertenregierung ist jetzt wohltuend, weil damit Ruhe eingekehrt ist nach einer Regierungsperiode, die sehr aufregend war. Aber es ist verlockend zu sagen, die Expertinnen und Experten kennen sich aus und wissen, was zu tun ist, die brauchen nicht so viel zu streiten. Dahinter steckt die Haltung, dass es für jedes Problem genau eine Lösung gibt. Nur: So ist es ja nicht. Jedes Thema hat mindestens drei Seiten. Da beginnen im Sinne eines demokratischen Verständnisses die Aushandlungsprozesse: Die verschiedenen Parteien und Interessensvertretungen mit unterschiedlichen Blickwinkeln, Bedürfnissen und ideologischen Hintergründen treten miteinander in Dialog. Sie arbeiten – im besten Fall – auf das Gemeinwohl hin, auf das solidarische Zusammenleben von unterschiedlichen Gruppen in einer Gesellschaft und ihre unterschiedlichen Bedürfnisse. Dazu braucht es Wahlen und Mehrheitsverhältnisse, Kompromissverhandlungen und Konsensfindung. Demokratie lebt von Visionen. Die jetzige Expertenregierung verwaltet aber nur und hält den Staatsbetrieb aufrecht. Das fühlt sich gerade gut an, ist auf Dauer aber zu wenig. Das ist wie beim Führen von Organisationen und Menschen allgemein – auch da ist reine Verwaltung zu wenig.

Auf der ksoe-Seite war neulich zu lesen: Demokratie - Achtung, Einsturzgefahr! Wo sehen Sie Gefahren für unsere Demokratie?
HOLZTRATTNER: Wir hatten diesen Eintrag auf unserem Blog. Uns ist wichtig, Menschen in ihrer Demokratie-Fähigkeit zu bestärken. Deshalb bieten wir ab Jänner 2020 einen Lehrgang an: „Soziale Verantwortung – ein Lehrgang für ZukunftsgestalterInnen“. Es geht darum, unterschiedliche Positionen zu erkennen, in Dialog und Diskussion zu gehen, dabei schnelle und flache Lösungen, wie populistische Antworten sie gerne zur Verfügung stellen, zu entlarven und sie einer Differenzierung auszusetzen. Und vor allem zu wissen, dass Demokratie mehr ist, als alle paar Jahre irgendwo ein Kreuzchen zu machen.

Welches „Mehr“ braucht Demokratie?
HOLZTRATTNER: Demokratisches Zusammenleben braucht eine starke, solidarische Gesellschaft, die dadurch wächst, dass Menschen ihre Fähigkeiten einsetzen, um das gute Zusammenleben zu fördern. Dazu gehören soziale Gerechtigkeit genauso wie Konfliktfähigkeit und die Frage: Was braucht‘s, damit die unterschiedlichen Bedürfnisse so ausgehandelt werden können, dass alle zur Sprache kommen können und eine gemeinsame Lösung gefunden wird, die von allen getragen werden kann? Demokratie hängt auch von Zukunftsgestaltern und -gestalterinnen ab. Für solche „ZukunftsgestalterInnen“ bieten wir ab Jänner 2020 einen Lehrgang an, der zum sozial verantwortlichen Handeln befähigen will.

Gibt es noch etwas, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
HOLZTRATTNER: Vor allem, dass Menschen wissen, dass es auf sie ankommt, ob die Gesellschaft gerechter wird, menschenfreundlicher, demokratischer, solidarischer oder nicht. Wenn ich Unrecht bemerke, ganz konkret, im Büro, in der Straßenbahn, im Wirtshaus: Schaue ich hin? Oder getraue ich mich vielleicht sogar etwas zu sagen, mich friedlich einzumischen? Das hat Wirkung! Bis hin zu: Welche wirtschaftlichen Entscheidungen treffe ich, welche politischen? Was heißt es, enkeltauglich zu leben und die Nachhaltigkeit nicht auf die Reduktion von Plastiksackerl zu reduzieren, sondern genauso auf die eigene Mobilität und das Urlaubsverhalten anzuwenden? Dazu muss ich auch hinterfragen, warum z. B. Flugbenzin bis heute nicht besteuert wird. Aber auch, wieso Subsidiarität heute in der politischen Diskussion so oft einseitig verkürzt wird.
Es braucht Zivilcourage aus dem Geist des Evangeliums heraus, nämlich von den Armen her nach Freiheit, Freude, Liebe und Gerechtigkeit zu suchen. Das kann jede und jeder, egal wie klein man sich fühlt. Jedes kleine Senfkorn unseres Handelns kann große Wirkung zeigen. Auch wenn wir es manchmal nicht bemerken.

  • Dr. Magdalena Holztrattner, 1975 in Salzburg geboren, studierte Theologie und Religionspädagogik. Studienaufenthalt und Lehrtätigkeit in El Salvador mit Schwerpunkt Armutsforschung, Autorin. Holztrattner ist seit 2013 Leiterin der Katholischen Sozialakademie Österreich (ksoe).
  • Die Katholische Sozialakademie Österreichs ksoe wurde vor 60 Jahren ins Leben gerufen, um die Soziallehre der Kirche zu erforschen, zu aktualisieren und sie über Erwachsenenbildung unter die Menschen zu bringen. Ihre Veranstaltungen richten sich an alle Menschen, die von der Frage bewegt sind: Ist die Gesellschaft, in der wir leben, so, wie sie sein soll?


Website: www.ksoe.at
Blog: blog.ksoe.at