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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Tot ist nicht gleich tot – neue Wege der Medizin-Ethik

Der Grazer Medizinethiker Univ.-Prof. Walter Schaupp im SONNTAG-Gespräch

Univ.-Prof. Walter Schaupp: Einer der österreichischen Top-Experten in Sachen Ethik und Medizin (Foto: BKA)
Univ.-Prof. Walter Schaupp: Einer der österreichischen Top-Experten in Sachen Ethik und Medizin (Foto: BKA)

Sie hielten in Klagenfurt-St. Egid einen Vortrag zum Thema „Tot ist nicht gleich tot“. Wie kann man das verstehen?
Schaupp: Der Titel steht im Zusammenhang mit der Transplantationsmedizin. Sie hat ein Interesse an guten Organen und dringt in den Sterbeprozess des Menschen ein. Das führt zur Diskussion, wann der Mensch tot ist. Im Zusammenhang mit der Transplantationsmedizin spielt der Hirntod eine große Rolle. Sie ist aber umstritten.

Inwiefern ist sie umstritten?
Schaupp: Das Problem bei der Idee des menschlichen Todes ist, dass der Organismus ja eine systemische Einheit ist. Welcher Zustand des Menschen berechtigt uns, vom Tod zu sprechen? Der anthropologische Tod ist das Ende der Person. Aber dies ist nicht wirklich feststellbar. Die Diskussion dreht sich nun darum, welche Zeichen uns berechtigen, vom Tod eines Menschen auszugehen. Das Hirntod-Konzept setzt voraus, dass das Gehirn des Menschen eine so zentrale Rolle einnimmt, dass es für den gesamten Menschen steht. Umstritten ist diese Frage, weil Hirntote ja einen warmen Körper haben und durchblutet sind. Es stellt sich daher die Frage, ob der Mensch damit wirklich tot ist.

Gerade am Lebensende ergeben sich oft schwerwiegende Fragen – auch für Angehörige. Oft hört man dann: Der Tod war für ihn/sie eine Erlösung. Wer kann das aber beurteilen? Gibt es Kriterien, was ein Leben lebenswert macht?
Schaupp: Die Moraltheologie und die medizinische Ethik wehren sich dagegen, solche Kriterien aufzustellen. Es ist ohnehin eine subjektive Frage, die nur der Betroffene beantworten kann. Es ist heute in der medizinischen Praxis auch anerkannt, dass sich Außenstehende kein Urteil anmaßen sollten. Man versucht auf allen Linien, über Patientenverfügungen und Vorgespräche möglichst viel in Erfahrung zu bringen, um dem Patientenwunsch gemäß das Lebensende gestalten zu können. Faktum ist auch, dass es relativ viele Situationen gibt, in denen Ärzte vor solchen Entscheidungen stehen, aber nichts über den Patienten wissen, dieser aber nicht beim Bewusstsein ist und auch keine Angehörigen vorhanden sind. Das heißt, es gibt viele Situationen, in denen Ärzte einfach entscheiden müssen, ob sie weiter behandeln oder nicht. Wenn das Gehirn des Menschen irreversibel tot ist, gibt es aber kein Zurück mehr. Das stellt heute niemand infrage. Spätestens dann besteht die Berechtigung, lebenserhaltende Maßnahmen abzustellen. Fragen der sogenannten Behandlungsbegrenzung stellen sich aber auch dann, wenn der Hirntod noch nicht eingetreten ist. Wenn eine so schwere Erkrankung vorliegt, dass der Tod unausweichlich ist und es nur mehr darum geht, wie lange der Tod aufgehalten werden kann.

Univ.-Prof. Walter Schaupp ist Mitglied der Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes (Foto: BKA-Fotoservice)
Univ.-Prof. Walter Schaupp ist Mitglied der Bioethikkommission des Bundeskanzleramtes (Foto: BKA-Fotoservice)

Der Weg in der Palliativmedizin geht weg von der Maschinenmedizin hin zur Schmerztherapie, zur Begleitung.
Schaupp: Das ist richtig. Die Palliativmedizin hat das Verdienst, in den letzten Lebensphasen des Menschen grundlegende Weichenstellungen zu treffen. Die Qualität des Lebens, das noch möglich ist, ist wichtiger als die Quantität, also die reine Lebensverlängerung. Dazu gehört eben Schmerzvermeidung oder auch, dass die Patienten möglichst mobil sind. Darauf wird die ärztliche Energie konzentriert. Es ist ein großes Verdienst der Palliativmedizin, dies erkannt zu haben.

Sie haben ein Buch herausgegeben mit dem markanten Titel: Macht Religion gesund? Darf ich Sie gleich bitten, diese Frage zu beantworten?
Schaupp: Dahinter steht zunächst die begrüßenswerte Entwicklung, dass diese Frage auch in der Medizin wieder stärker erforscht wird. Religion als solche macht natürlich nicht gesund. Aber eine gelungene, eine positive Religiosität beeinflusst auf jeden Fall die Art und Weise, wie Menschen mit ihrer Krankheit umgehen. So kann es die Heilung positiv beeinflussen. Aber nicht als Wunderheilung, sondern in dem Sinne, dass eine positive Einstellung zum Leben einer der Faktoren ist, die Heilung, den Umgang mit Leid und Schmerz zu erleichtern.

Kann man so sagen: Religion stiftet Sinn und wenn man Sinn im Leben findet, hilft das?
Schaupp: Nach meinem Verständnis könnte man sagen: Der Mensch ist ein biologisches, ein psychisches, ein soziales, aber auch ein spirituelles Wesen. Es ist inzwischen anerkannt, dass im Krankheitsgeschehen all diese Dimensionen mit betroffen und beteiligt sind. In diesem Sinn kann man sich vorstellen, dass sich die spirituelle Ebene auf die Ganzheitlichkeit des Menschen auswirkt und einen positiven Effekt hat. Es gehört aber auch zum Christentum, das Sterben anzunehmen.

Gibt es so etwas wie „Gesund-Beten“?
Schaupp: Es gibt Studien, wonach soziale Beziehungen dazu beitragen, dass Menschen weniger krank werden. Da kann man schon sagen, dass das Beten, das einher geht mit einem „Füreinander-Da-Sein“ ein Schub auf einer anderen Ebene ist. Man kann mit Beten alleine sicher nicht die Krankheit beheben. Aber in Verbindung mit anderen Faktoren glaube ich schon, dass es hilft. Nach heutigem Wissen gibt es Effekte des Mentalen, die in gewissem Ausmaß eine positive Auswirkung auf körperliche Prozesse haben. Dazu kann das Gebet, das intensive Denken an den anderen, gehören.

Wie sehen Sie in puncto Medizinethik die Zukunft? Besteht nicht die Gefahr, dass alles, was machbar ist, auch gemacht wird?
Schaupp: Der Bioethik wird oft vorgeworfen, dass sie immer nachhinkt und die Entwicklung nicht steuern kann. Vielleicht ist ein Zugang, dass man sagt: Egal, was in der Medizin geschieht, Prinzipien wie Gerechtigkeit oder Nächstenliebe müssen immer gelten. Die Fragen von Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Leid und Lebensförderung werden immer gültig sein. Das sind Kriterien, nach denen man jede Entwicklung beurteilen kann.