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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Dem Licht der Welt auf der Spur

Peter Trummer, Grazer Neutestamentler, im Sonntags-Gespräch zur Bildsprache des Johannes-Evangeliums und dessen Botschaft an die Kirche heute

Univ.Doz. Dr. Peter Trummer (© Foto: Georg Haab / SONNTAG)
Univ.Doz. Dr. Peter Trummer (© Foto: Georg Haab / SONNTAG)

Was hat Sie bewegt, dieses neue Buch zu den "Ich-bin"-Worten im Johannes-Evangelium zu schreiben?
Trummer: Das Johannes-Evangelium war mein Lieblings-Evangelium als Kind. Es hat mich fasziniert, aber ich habe mich dann an die wissenschaftlichen Auslegung lange nicht herangetraut. Heute freue ich mich darüber, dass ich doch sehr viel darin entdecken konnte: Es ist eigentlich das schönste und herausforderndste Evangelium. Es war eine Bringschuld: Ich habe zu Johannes nie etwas geschrieben. Das habe ich jetzt eingelöst. Dies zügig zu tun, dazu hat mich auch der Tod meines besten Studienfreundes bewogen. Ich habe die Botschaft gespürt: Lass dir nicht ewig Zeit.

Weshalb beginnen Sie Ihr Buch mit dem Hinweis auf die Grenzen jeder Erkenntnis?
Trummer: Ich möchte eine Botschaft weitergeben, die gleichzeitig das Bewusstsein der Subjetivität aller Erkenntnis widerspiegelt. Sonst wird religiöse Erkenntnis sehr leicht dogmatisch. Weil die gesamte Offenbarung Bildcharakter hat, beziehe ich mich dazu konkret auf Bilder. Die ersten drei Bilder im Buch sind Gedenkzeichen für einen Freund, der in der optischen Forschung tätig war. Es ist fast unglaublich, dass drei so unterschiedliche Bilder dasselbe Objekt abbilden: Das ist für mich der Hinweis darauf, dass ich Gegenstände, aber auch Menschen in völlig anderem Licht sehen kann. Wie viel mehr gilt das für die Frage der Gotteserkenntnis! Denn nach der biblischen Vorstellung ist Gott als Geistwesen absolut nicht sichtbar für die menschlichen Augen. Woher bekomme ich dennoch einen geistigen Durchblick? Das ist die Herausforderung, in der mir auch die Ich-Worte unglaublich geholfen haben.

Möchten Sie das an einem Beispiel veranschaulichen?
Trummer: Bei der Verhaftungsszene im Garten am Ölberg tritt Jesus vor und sagt „Ich bin“. Das hören wir immer nur übersetzt als „ich bin es“, als banales Frage-Antwort-Spiel. Wieso aber fallen dann die Soldatenund ihre Gehilfen zu Boden? Dafür gibt uns Johannes eine Erklärung: Die Häscher ziehen mit Fackeln und Laternen aus, um das Licht der Welt einzufangen. Jesus ist in dieser Szene der Aktive, Judas steht völlig daneben; er ist nicht der, der die Heilsgeschichte in Gang bringen kann, das kann nur Jesus von sich aus. Dieses „Ich bin“ ist so etwas Souveränes, dass es durch Waffengewalt nicht erschüttert werden kann. Das empfinde ich als umwerfend, und das ist es dann auch für die Häscher: In einer tiefsinnigen Symbolsprache wird etwas ungemein Wichtiges mitgeteilt.

Was ist der Schlüssel, um die Ich-Worte in rechter Weise zu verstehen?
Trummer: Die Ich-Worte kann man nicht ohne die Offenbarungsszene im Dornbusch verstehen. Wie entdecken wir Seiten an Gott, die uns durch reine Reflexion gar nicht zugänglich sind? Das ist sehr wichtig, weil wir aus unserer Tradition viel zu viel geneigt sind, auf Schuld abzufahren und das Leiden Jesu von daher zu erklären. Letztendlich geht es um das Sein angesichts unserer begrenzten Existenz: Hat mein Leben einen Sinn, wenn es durch den Tod begrenzt wird? Darauf antwortet das Johannes-Evangelium in wunderbarer Weise z. B. mit dem Wort „Ich bin das Licht der Welt“, indem es uns sehr klar sagt, dass jeder Mensch ohne dieses Licht blind ist, blind geboren, und auch blind bleibt, wenn er von diesem Licht nicht irgendetwas erkennen kann.

Mose geht zum Dornbusch, aber aus dem Hingehen und Schauen wird eine Begegnung. Gott, Religion, Glaube: Das Wesentliche geschieht, sobald Begegnung stattfindet?
Trummer: Ich glaube, man muss den bildhaften Charakter solcher Erzählungen durchschauen lernen. Die Orientalen haben nicht unsere theoretische Argumentationsweise, sie erzählen. Wir meinen dagegen zuerst: Da kommen Schallwellen aus dem Dornbusch. Aber die Gottesbegegnung kann eigentlich nur in einer Weise passieren, die das Menschliche total übersteigt. Im Grunde genommen geht es darum, dieses transzendente Du in mein Leben hineinzulassen. Die Botschaft der Gottesbegegnung ist: Ich bin, der ich bin, du kannst mich nicht manipulieren. Ich zeige dir durch meinen Beistand, mein Anwesenheit, meine Unterstützung, dass da Beziehung ist. Wenn diese Beziehung einmal erlebt und verständlich wird, kann sie durch die Endlichkeit des Lebens nicht mehr bedroht werden.

Haben Sie noch ein Beispiel zu dieser Art des Verstehens?
Trummer: Wenn man beispielsweise das, was wir unter dem Titel Brotvermehrung haben, verstehen lernen möchten, ist es wichtig, den Überstieg zu finden, dass es sich um wunderbare Speisungen handelt, die dadurch möglich werden, dass Menschen im Namen Jesu Brot brechen und teilen, wodurch nicht Not entsteht, sondern Überfluss. Alle Geschichten von diesen wunderbaren Speisungen möchten das beschreiben. Gehen wir von unserer Vorstellung aus, das muss ein geschichtlicher Ablauf sein, so kommen wir zu magischen Vorstellungen von Brotzauber. Aber das hilft uns nicht weiter. Von Vermehrung steht dort nichts, aber vom Überfluss. Und wir vergeben uns die Chance, das zu praktizieren, was Jesus eigentlich damit will: dass wir in seinem Namen miteinander Brot brechen, teilen und essen.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Zusage „Ich bin bei euch alle Tage“?
Trummer: Im Rahmen der wunderbaren Speisungen im Kapitel 6 behandelt Johannes die Frage: Was kann ich mir von Jesus sozusagen abbeißen, was nährt mein Leben? Eine Antwort gibt das Oster-Evangelium, in dem Frieden zugesagt wird und Schuldvergebung. Die Erfahrung des Auferstandenen äußert sich dadurch, dass wir zur Schuldvergebung befähigt werden. Und dann hängt Johannes noch das wunderbare Kapitel 21 an, die johanneische Emmaus-Szene. Es geht wieder um eine wunderbare Speisung: Jesus nährt die Jünger am See Tiberias mit einem warmen Frühstück. Das ist Luxus. Darin ist ein Appell an die heutige Kirche: Das Verständnis der wunderbaren Speisungen hat das frühchristliche Eucharistieverständnis bis ins sechste Jahrhundert geprägt. Wenn wir uns wieder stärker dem annähern, entlasten wir uns vom Zwang, dass die gesamte Eucharistie am Abendmahl gemessen wird, und von der Fixierung auf die priesterliche Vollmacht.

Sie meinen: Für Johannes hat die Gemeinschaft eine ganz he-rausragende Bedeutung?
Trummer: Bei Johannes geht es nicht um die Verwandlung des Brotes, sondern um das unglaublich große Wunder, dass Menschen von ihrem Brotneid ablassen können und merken: Wenn wir miteinander Mahl halten, ist Jesus real erfahrbar in unserer Mitte. Das hat in der frühen Kirche etwas ungemein Überzeugendes gehabt. Und es wäre aus meiner Sicht auch heute eine stärkere Rückbesinnung auf dieses frühchristliche Brotbrechen notwendig. Aus der rein sakramentalen Vorstellung wieder wirklich in die Gemeinschaft hineingehen: Das wäre für die heutige Kirche lebensrettend.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person: Peter Trummer, geb. 1941 in Bruck a. d. Mur, studierte Theologie in Graz, Tübingen und Regensburg. Nach seiner Promotion und Habilitation lehrte er bis zur Emeritierung 2006 als Professor für Neues Testament an der Karl-Franzens-Universität in Graz.

Buchtipp: Peter Trummer, „Ich bin das Licht der Welt“. Meditationen zu biblischen Ich-bin-Worten,
Herder (2018), gebunden mit Schutzumschlag, 168 Seiten, € 24,70.