Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Chance und Hoffnung erkennen

Der ehemalige Kärntner Ehe- und Familienseelsorger Reinhold Ettel SJ über den Umgang mit der Situation in Kärnten und die Chance, die in Transparenz und Ehrlichkeit liegt.

Fotos: Jesuiten Österreich; Haab
Fotos: Jesuiten Österreich; Haab

Sie waren bis vor wenigen Jahren in der Diözese Gurk und kennen die Kirche in Kärnten. Wie nehmen Sie die schwierige Situation wahr, in der die Diözese jetzt lebt?
Ettel: Zehn Jahre durfte ich in der Diözese Klagenfurt in der Seelsorge und im Bildungsbereich wirken. Ich erlebte dabei Bischof Alois Schwarz, wie er die Anliegen in der Pastoral unterstützte. Ich schätzte, wie er den Menschen zu begegnen suchte, immer wieder die passenden Worte fand und das Wort Gottes verkündete. Mir waren auch manche Schwächen von Bischof Alois bekannt.
Als ich aber durch die Berichte des Domkapitels und in den Medien von den Missständen in den Mensalgütern hörte, war ich entsetzt. Dass die Menschen in Kärnten und darüber hinaus, vor allem auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diözese sehr irritiert und verärgert sind, darf nicht wundern.

Die Diözese ist im Umgang mit der Situation gespalten: Die einen möchten volle Transparenz, die anderen möchten jeden unnötigen Skandal vermeiden. Die einen sehen die mediale Berichterstattung als Chance, die anderen als unnötige Eskalation.
Ettel: Die Ereignisse sind ein Ärgernis, das freilich besser vom Anfang an vermieden gehörte. Ich bin überzeugt, dass die Verantwortlichen und Beteiligten zur Ehrlichkeit und Transparenz verpflichtet sind. Darin, dass Missstände publik geworden sind, liegen Chance und Hoffnung. Es fordert strukturelle Veränderungen in der Leitung und Verwaltung der Diözese, um die Wiederholung ähnlicher Ereignisse zu vermeiden. Dazu gehören verpflichtende Beratungsgremien für die Diözesanleitung mit entsprechender Transparenz und auch externe Kontrolleinrichtungen, vor allem in den finanziellen und wirtschaftlichen Belangen, wie sie auch sonst in der Wirtschaft und im öffentlichen Leben üblich und hilfreich sind.

Die Kirche hat durch ihre Verstrickung in Macht, Geld und Missbrauch ein großes Glaubwürdigkeitsproblem, auch Äußerungen von hohen und höchsten Stellen wird mit Misstrauen begegnet. Welcher Weg führt wieder auf die Spuren Jesu Christi?
Ettel: In den Evangelien wird berichtet, wie Jesus auch im engsten Freundes- und Jüngerkreis Streit um die Macht erlebte. Er sagte ausdrücklich: „Bei euch soll es nicht so sein!“ Wer vorne dran ist, sei der Diener für alle! Macht und Geld sollen als Dienst eingesetzt werden.
Auf die Spuren Jesu führt am ehesten, indem Versagen und Missstände ehrlich eingestanden werden – ohne beschönigende Worte –, klare Zeichen der Kurskorrektur und Wiedergutmachung gesetzt werden – Zeichen der Umkehr – und die Bitte um Vergebung erkennbar und hörbar ist.

Was hilft, dass die Wunden der Vergangenheit heilen? Was braucht es, um sich vom Vergangenen lösen und die Zukunft positiv gestalten zu können?
Ettel: Es gab und gibt in der Kärntner Kirche viele, viele Zeichen, dass Menschen Gutes tun. Mit Selbstverständlichkeit leben sie Werte und ein Verhalten, wie es im Evangelium nahegelegt wird. Es ist wichtig, diese Werte zu sehen und zu schätzen – im Alltäglichen, in den Familien, in Nachbarschaften, in Pfarren – und sie auch anzusprechen. Leider werden diese guten Ereignisse so stark überschattet von den Berichten über Missstände und Versagen. Ich halte viel davon, wenn in Zukunft eine Kultur des wertschätzenden Umgangs miteinander gepflegt wird – vor allem unter den Christinnen und Christen, in allen Ebenen und Bereichen.

Welche kleinen, konkreten Schritte kann jede, jeder Gläubige setzen?
Ettel: Wir leben in einer Aufdeckungsgesellschaft, in der vor allem Missstände, Versagen, Mängel – und zwar „bei den anderen“ – aufgespürt und angeklagt werden. Jeder, jede Gläubige kann sich bemühen, nicht so sehr „die anderen“ zu beschuldigen, sondern im eigenen Haus auf Ordnung zu achten. Jesus mahnt: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet ...“ So wird eine neue Glaubwürdigkeit wachsen. Ein wertvoller Schritt ist das Gebet um einen neuen Bischof als Hirten der Diözese und um ein achtsames Miteinander im Volk Gottes.

Kirche ist kein Selbstzweck, sondern „Sakrament des Heils in der Welt“. Ist sie momentan nicht zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um diesem Grundauftrag gerecht zu werden?
Ettel: Diesen Eindruck kann ich nur bestätigen, auf allen Ebenen. Kirche zeigt sich oft wie ein Großkaufhaus, in dem die Hauptsorge ist, wie Kunden angelockt und in ihren Bedürfnissen befriedigt werden. Mit Genugtuung wird dann der statistische Umsatz berichtet. Dabei ist der Grundauftrag für jeden Getauften und Gefirmten, an die leidenschaftliche Liebe Gottes zu den Menschen zu glauben und sie im Leben zu bezeugen.
Ich würde wünschen, dass wir weniger das Wort „Kirche“ gebrauchen, weil es allgemeinen mit der Institution und der „Obrigkeit“ gleichgesetzt wird. Das ist ein sehr eingeengtes Verständnis von Kirche. Treffend scheint mir, vom „Volk Gottes“ zu sprechen – beide sind hier wichtig, nämlich das „Volk“, die Gemeinschaft der Menschen, und Gott, der den Menschen seine unwiderrufliche Liebe und Treue zusagt.
In diesem Sinn ist das „Volk Gottes“ das „Sakrament der Treue Gottes“ durch die Geschichte. Es müsste immer wieder erschüttern, wenn erkennbar ist, wie die Kirche und einzelne Glieder der Kirche in dieser Sendung zurückbleiben.

Interview: Georg Haab

Zur Person: Reinhold Ettel SJ, 1938 in Wien geboren, trat 1956 in die Gesellschaft Jesu ein. Nach dem Studium der Philosophie, Theologie, Psychologie und Pädagogik wurde er 1968 zum Priester geweiht. 2005 bis 2015 war er Ehe- und Familienseelsorger der Diözese und bis 2012 Leiter des „Hauses der Einkehr“ in St. Andrä im Lavanttal.

Gebet für den neuen Bischof

Herr Jesus Christus,
du hast die Apostel und ihre Nachfolger zu Hirten der Kirche berufen.
Du bist der Hirte, der seine Herde beschützt und durch die Zeiten führt.
Dir vertrauen wir unsere Diözese an und bitten dich um einen guten neuen Bischof,
in dem das Feuer des Heiligen Geistes lebendig
und die Freude des Evangeliums spürbar ist,
der sich der Armen und Schwachen annimmt,
die Zeichen der Zeit aufmerksam wahrnimmt,
den Aufbau der Kirche fördert,
die Gläubigen eint und sie ermahnt, auf Gottes Ruf zu hören,
und unsere Diözese mit Liebe in der Einheit stärkt.
Erleuchte alle,
die unserem Papst Franziskus bei der Auswahl unseres künftigen Bischofs beraten,
und schenke dem Erwählten Mut und Kraft, diese Aufgabe zu übernehmen.
Öffne unsere Herzen, damit wir gemeinsam mit unserem neuen Bischof
die vor uns liegenden Herausforderungen angehen
und auf dem Weg voranschreiten, den DU für die Kirche von Gurk-Klagenfurt bereitet hast.
Du selbst bist der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Dir sei Lob und Dank in Ewigkeit. Amen.
Heilige Hemma: Bitte für uns!
Heiliger Modestus: Bitte für uns!
Heilige Maria: Bitte für uns!

(Anna Hennersperger/Johann Sedlmaier)