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Institut für kirchliche Ämter und Dienste

Gott vermissen

Theologische Anmerkungen zum VfGH-Urteil "Begleiteter Suizid"

Gott vermissen (M. Kapeller)
Gott vermissen (M. Kapeller)

Mitten in diesem Advent mit seinen Ausgangsbeschränkungen, Massentests und düsteren Corona-Aussichten für die Weihnachtszeit ist es förmlich hereingeplatzt, das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes mit seiner Aufhebung des Strafbestandes der „Hilfeleistung zum Selbstmord“. Der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, Erzbischof Franz Lackner, spricht in diesem Zusammenhang von einem Kultur- und Dammbruch durch den „die selbstverständliche Solidarität mit Hilfesuchenden in unserer Gesellschaft“ grundlegend verändert wird. Der Anwalt der die vier Personen, die dieses Urteil angestrengt haben, Dr. Wolfram Proksch, wiederum sieht nun endlich gewährleistet, dass totkranke Menschen selbstbestimmt und in Würde sterben können. Franz-Josef Huainigg hingegen befürchtet, dass nun der Druck auf kranke, alte und besonders auch auf Menschen mit Behinderung steigen wird, sich für einen begleiteten Suizid zu entscheiden, um den Angehörigen nicht weiter zur Last zu fallen. In diesem Beitrag möchte ich mich nun nicht mit der ethischen Dimension dieses Urteils auseinandersetzen, sondern einige grundsätzliche theologische Beobachtungen anstellen und am Ende eine Brücke zur Weihnachtsbotschaft schlagen.

Die Grundlage dieses Urteils

In seiner Begründung für die Aufhebung des Strafbestandes der „Hilfeleistung zum Selbstmord“ stützt sich der Verfassungsgerichtshof auf das Recht des Einzelnen auf Selbstbestimmung, das er wiederum von den Grundrechten „Recht auf Privatleben“, „Recht auf Leben“ und dem „Gleichheitsgrundsatz“ ableitet. Es komme nun zu einem besonders intensiven Eingriff in diese Selbstbestimmung, wenn die Hilfe Dritter bei der Selbsttötung unter Strafe gestellt ist. In der weiteren Argumentation wird jedoch festgehalten, dass eine Tötung auf Verlangen auch weiterhin strafbar bleibt und der Gesetzgeber zu beachten habe, dass die freie Selbstbestimmung durch soziale und ökonomische Umstände beeinflusst wird.

Die Bildung von Normen

Bei den Reaktionen der Befürworter und der Gegner dieses Erkenntnisses fällt auf, dass beide Seiten mit dem „Recht auf Leben“ und mit „Selbstbestimmung“ argumentieren, daraus jedoch gänzlich unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen. Auf dieses Konfliktpotenzial einer säkularen Demokratie weist Jürgen Habermas am Ende seines zweibändigen Werkes „Auch eine Geschichte der Philosophie“ hin. Der Grund liege für ihn darin, dass ein moderner Staat seine Normen nicht mit dem Verweis auf eine menschliche oder göttliche Autorität vorgibt, sondern dass sich diese durch einen Diskurs möglichst aller Beteiligten entwickeln. Dabei handle es sich zudem um einen dynamischen Vorgang, indem ein erzielter Konsens sich ständig bewähren muss und möglicherweise Veränderungen bzw. Entwicklungen unterworfen ist. Ob bei der Frage des assistierten Suizides bereits ein tragfähiger Konsens gegeben ist, wage ich nicht zu beurteilen. Die Diskussionen in Österreich und in Deutschland machen aber deutlich, wie sehr dieses Thema polarisiert und wie schwer es dem Gesetzgeber fällt, so ein Verfassungsurteil in geltendes Recht überzuführen.

Gott zum Thema machen

Den Kirchen und Religionsgemeinschaften kommt nun – so wiederum Jürgen Habermas – die Aufgabe zu, die Vernunftargumentation, die in einer säkularen Demokratie leitend ist, durch Transzendenzbezüge und mehr noch -erfahrungen zu bereichern und wo nötig zu ergänzen. Dazu möchte ich nun einige Überlegungen anbieten. Als Christ/innen kommen wir bei der Frage nach „assistiertem Suizid“ nicht umhin, den Ursprung und das Ziel menschlichen Lebens zu thematisieren. Dabei werden wir von unserer Überzeugung sprechen, dass der Mensch kein zeitlich befristetes Zufallsprodukt, sondern Geschöpf Gottes ist. Diese Geschöpflichkeit jedes Menschen wiederum stellt seine unveräußerliche und unverhandelbare Würde dar. Von daher gilt es auch immer wieder mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass menschliches Lebens unverfügbar und von jeglicher Kosten-Nutzen-Rechnung zu entkoppeln ist.

Gott vermissen

Das Urteil des VfGH hat nicht nur zur Folge, dass von christlicher Seite – teils gut begründet und zu recht – Kritik geäußert und auf negative Folgen hingewiesen wird. In diesem Urteil verbirgt sich meines Erachtens auch eine Anfrage wenn nicht gar eine Kritik am Zentrum christlicher Verkündigung und damit letztlich an Gott selbst. Denn, was sagt es über Gott aus, wenn Menschen, die unheilbar krank sind, es vorziehen, durch die eigene Hand und unterstützt durch Dritte aus dem Leben zu scheiden, anstatt sich in die Hand Gottes zu begeben? Hier ist zwar mit Bischof Marketz darauf hinzuweisen, dass ein diesbezüglicher Wunsch „oft auch ein verdeckter Hilfeschrei nach Zuwendung, Nähe und Mitgefühl ist“. Die Frage nach Gott im Leid jedoch bleibt und mit ihr, welche Gottesvorstellung Christ/innen als Grundlage dient, um unheilbar Kranken auf ihrem letzten Weg nahe zu sein. Es wird wohl der Gott sein, der in Jesus mitleidet mit seinen Geschöpfen und – wie Hans Urs von Balthasar einschärft – da bleibt in einer „absoluten Ohnmacht seiner Liebe“ auch wenn diese sich in ihrem Leid abwenden. Auf dem Hintergrund dieses Gottesbildes werden Christen ihre theologische Beurteilung dieses VfGH Urteils im Anschluss an Johann Baptist Metz vom „Leiden des Anderen“ her entwickeln und zwar von denen, die sich selbstbestimmt den Tod wünschen und denen, die ohne Rechtfertigungsdruck leben möchten.

Gott Herberge schenken

Damit bin ich bei der Weihnachtsbotschaft angelangt. Seit dem Mittelalter gibt es vor Weihnachten den Brauch der Herbergssuche. Dabei werden Menschen in ihren Häusern besucht und mit Liedern auf das Kommen des Erlösers vorbereitet. So wird im wohl bekanntesten Herbergslied „Wer klopfet an“ die Aussage des Weihnachtsevangeliums, dass Maria ihren Sohn in eine Krippe legen musste, weil in der Herberge kein Platz für sie war (Lk 1, 7) eindrucksvoll entfaltet. Zu Weihnachten klopft Gott an unsere Türe und es liegt an uns, ob wir der Zusage des Herbergsliedes trauen:

Lasst heut´ bei Euch uns wohnen, Gott wird Euch schon alles lohnen!

Doch damals wie heute lässt er sich nur schwer erkennen. Denn Gott begegnet uns nicht als starker Herrscher, sondern als schutzloses Kind. In dieser Ohnmacht liefert er sich uns Menschen aus. So beklagt Maria in dem Lied die Hartherzigkeit des Wirtes:

O mein Kind, nach Gottes Willen musst du schon die Armut fühlen.

Von Beginn an teilt Jesus die Armut und Not menschlichen Lebens. Im Zugehen auf den Tod ist Leben am verletzlichsten. Sterbende Menschen begleiten und ihnen Herberge schenken, ist demnach der Dienst, der uns in ganz besonderer Weise Jesus näher bringt. Der Umgang mit schwachem, krankem und verwundetem Leben ist für mich Gratmesser dafür, wie human unsere Gesellschaft ist und wie sehr unser Miteinander von Respekt, Verständnis und Wärme geprägt ist.