Pfarre

Katholische Hochschulgemeinde

Die Macht des Geldes durchkreuzen

Ansprache von Dr.in Marianne Schallhas bei der Thomasmesse in der Don-Bosco-Kirche in Klagenfurt am 24. April 2016

Marianne Schallhas (© Foto: privat)
Marianne Schallhas (© Foto: privat)

Liebe Geschwister in Christus!

Wenn es um’s Geld geht, führt derzeit in Österreich kein Weg an der HETA vorbei, ganz besonders hier in Kärnten. Vier Linzer Künstlerinnen haben nun sogar eine künstlerische Installation gemacht. Sie heißt „aufdecken“ und zeigt auf 300 handbeschriebenen Holztafeln Fakten und Zahlen, Meinungen und Kommentare zum Fall Hypo Alpe Adria. Da kommen einem ernste Fragen zum Zustand der österreichischen Demokratie und ihrer Institutionen – und auch zu unseren viel beschworenen Werten. Wie konnten relativ wenige Leute so viel Macht bekommen, dass sie quasi das Wohl einer ganzen Generation von Kärntnern für ihren Größenwahn verpfänden konnten?

Doch die HETA ist ja nur ein kleines Rädchen in der europäischen und globalen Finanzmaschinerie, die den einen immer schwerere Schuldenlasten aufbürdet und anderen fette Spekulationsgewinne ermöglicht. In gewisser Weise ist schon die ganze Welt verpfändet. Man könnte unsere Zeit auch als Schuldenzeitalter bezeichnen.
Dieser Wahnsinn hat Methode. Der 1940 verstorbene jüdische Philosoph Walter Benjamin sah im Kapitalismus eine Art Religion. Er sei ein verschuldender Kultus, der die ganze Welt in den Zustand der Verschuldung treibt.

Vor diesem Hintergrund erhält das Jubeljahr, das wir heuer in der Katholischen Kirche feiern, eine besondere Brisanz, hat es doch ein biblisches Vorbild, in dem es um regelmäßige Entschuldung und um Besitzausgleich geht. Wir lesen davon im Alten Testament, im 3. Buch Mose. Da werden die Israeliten aufgefordert, alle 7 Jahre ein Sabbatjahr zu feiern und einen allgemeinen Schuldenerlass durchzuführen. Damit nicht genug, sollten sie nach 7 mal 7 Jahren ein Jubeljahr feiern und allen, die ihren Besitz verloren hatten, ermöglichen, wieder auf ihren Grund und Boden zurückzukehren. Niemand sollte sich auf Dauer verschulden müssen, keine Familie über Generationen hinweg zu Besitzlosigkeit verurteilt sein. Dem biblischen Gesetzgeber war klar, dass ein dauerhafter Friede nur mit wirtschaftlicher Gerechtigkeit und Solidarität möglich ist.

Unsere heutige kapitalistische Logik steht dieser biblischen diametral gegenüber: Schulden müssen bedient werden, solange es etwas zu holen gibt. Da wird unerbittlich Druck ausgeübt und sogar das Wohlergehen von Menschen geopfert, die die Schulden weder selbst aufgenommen, noch von ihnen profitiert haben. Die biblische Sichtweise dagegen nimmt die Gläubiger viel stärker in die Verantwortung. Neben den Vorschriften zum Erlass von Schulden gab es bei den Israeliten auch ein Zinsverbot.

Ja, gut, sagen manche, das waren andere Zeiten und funktioniert hat es damals auch nicht recht. Doch so einfach lässt sich der Kern dieser biblischen Weisheit nicht vom Tisch wischen, insbesondere auch von uns Christinnen und Christen nicht. Sie ist eine hoch aktuelle Provokation für unser real gelebtes Wertesystem. Umso mehr als sich auch Jesus bei Antritt seiner Mission auf das Jubeljahr bezog.

Wie steht es also um die Leitwerte unserer Gesellschaft? Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank, sagte in einem Interview mit dem Wallstreet Journal 2013 ganz unmissverständlich, dass unser Sozialsystem in Europa ausgedient habe. Oberstes Ziel sei die Wiederherstellung des Vertrauens in die Finanzmärkte. Er ist also der Meinung, der oberste Wert sei das Vertrauen in die Finanzmärkte. Im Klartext: die Aufrechterhaltung der Illusion unendlicher Geldvermehrung. Ein zweiter Wert ist diesem offensichtlich gleich: das Wirtschaftswachstum. Ohne Wirtschaftswachstum geht gar nichts, hören wir fast täglich in den Medien. Dazu gesellt sich als dritter im Bunde der Wettbewerb. Diese drei-einige Wertegottheit hat die Reichen seit der Finanzkrise von 2008 noch reicher gemacht und die Schuldenlast für die Armen noch drückender. Friedlicher ist die Welt dadurch allerdings nicht geworden.

Darum machen wir jetzt ernst mit dem Bau der Festung Europa. Schon 2009 konnte man in einer Veröffentlichung des einflussreichen Europäischen Instituts für Sicherheitsstudien Folgendes lesen: „Sollte es bis 2020 nicht gelingen, die Ursachen der sozialen Spaltung zwischen Armen und Reichen zu beheben, dann ist die weltweite militärische Abschirmung der Reichen vom Ansturm der Armen unabdingbar.“ – Glauben wir wirklich, dass ein solches Sicherheitskonzept im Nuklearzeitalter funktionieren kann?
Nein, nicht die Wiederherstellung des Vertrauens in die Finanzmärkte haben wir bitter nötig, sondern die Wiederherstellung und Festigung des Vertrauens in die Kraft der gewaltfreien Liebe, wie sie uns in der Bergpredigt anvertraut wurde. Es ist der Weg zur Überwindung des Bösen aus der Kraft des Guten. Wenn die Einen wieder verstärkt für den Krieg rüsten, brauchen wir umso mehr die Anderen, jene Menschen, die aus der befreienden Kraft der Gewaltfreiheit Jesu leben. Mir geht ein Rat des heiligen Paulus nicht aus dem Sinn, den er seinen Mitchristen und -christinnen gerne gegeben hat, die ja auch nicht gerade in einfachen Zeiten lebten. Er riet ihnen, die Rüstung Gottes anzulegen. Dieses Bild entlehnte er der Waffenrüstung eines römischen Legionärs und deutete es im Sinne der Gewaltfreiheit der frühen Christinnen und Christen.

So schreibt er im ersten Brief an die Thessalonicher (5,8): „Wir … wollen uns rüsten mit dem Panzer des Glaubens und der Liebe und mit dem Helm der Hoffnung auf das Heil.“ Im Brief an die Epheser (6,13-18) malt er ein noch detaillierteres Bild und fügt weitere Kraftquellen hinzu, wie die Gerechtigkeit, die Wahrheit oder die Bereitschaft für das Evangelium vom Frieden einzutreten. Das war also die Rüstung der Urchristen, die bis zur Hingabe ihres Lebens bereit waren, das Böse durch das Gute zu besiegen.

Ich nehme an, die Psychologie gibt Paulus recht, dass diese Tugend-Kräfte eine sehr brauchbare Ausrüstung für Krisenzeiten sind, für individuelle wie für gesellschaftliche. Die Hoffnung schützt uns vor Mutlosigkeit und lässt uns noch ein Apfelbäumchen pflanzen, selbst wenn der Weltuntergang für morgen prophezeit ist. Der Glaube an das Gute hilft uns, all das Gute, das schon da ist, zu sehen und darauf weiter zu bauen. Die Bereitschaft, uns für den Frieden einzusetzen, bringt uns in Bewegung und auf neue Ideen. Die Liebe schützt unser Herz vor Verhärtung, macht es stark und ist Quelle tiefer Freude…

Dass dieser Weg der Bergpredigt auch große gesellschaftspolitische Kraft hat, zeigt das Lebenswerk von Hildegard Goss-Mayr und Jean Goss. Ihnen wurde mitten in den Schrecken des Nationalsozialismus und des 2. Weltkriegs eine tiefe Erfahrung der Liebe Gottes für alle Menschen geschenkt, ob Freund oder Feind. Aus dieser Erfahrung der befreienden, gewaltfreien Liebe Gottes heraus verschrieben sie sich wie Gandhi und Martin Luther King ganz dem gewaltfreien Kampf für Gerechtigkeit und Frieden. In vielen Ländern schulten sie Menschen in Spiritualität und Methoden der aktiven Gewaltfreiheit. Sie unterstützten sie in ihrem Widerstand gegen Unterdrückung und Ausbeutung und halfen beim Erarbeiten von Alternativen. Das ist der Befreiungsweg Jesu: der Weg zur Überwindung des Bösen aus der Kraft des Guten.

Man kann dieses Prinzip nicht oft genug in Erinnerung rufen. In diesem Sinne würde ich mir wünschen, dass eine Regierung, die sich veranlasst sieht, die Militärausgaben zu erhöhen, gleichzeitig die Anstrengungen für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit um ein Vielfaches verstärkt, um eine Hoffnungsperspektive offen zu halten. Längst überfällig wäre zum Beispiel die Gründung einer wissenschaftlichen Einrichtung, die an Bausteinen für eine friedensfähige Geldordnung arbeitet.

Leider ist der politische Wille für grundlegende Änderungen noch viel zu schwach, obwohl sich mehrere krisenhafte Entwicklungen zuspitzen. Viele Leute fühlen sich ohnmächtig und haben Angst. Da ist es ratsam, auf ermutigende Stimmen zu hören wie auf jene von Hildegard Goss-Mayr.

Sie schreibt in ihrem Buch „Wie Feinde Freunde werden“: „In einer Zeit, in der Gewalt aufbricht…, in einer Zeit, die neue…Projekte der Vermenschlichung und weltweiter Solidarität fordert, ist es wichtig, an das Wirken der befreienden, schöpferischen, friedensschaffenden Kraft der Gewaltlosigkeit Gottes in uns und durch uns Menschen, unserer Schwäche und Begrenztheit zum Trotz, zu erinnern.“

Und sie fügt aus eigener Erfahrung hinzu: „Gerade in Zeiten des Unheils lässt Gott seine Kraft … in besonderer Weise spürbar werden und beruft Menschen dazu, ‚Hebammen‘ dieser Kraft unter den Völkern zu sein. “Vertrauen wir auf diese Kraft! Wir gestalten damit auch eine politische Atmosphäre mit, in der positive Veränderungen möglich werden, vielleicht größere als wir zu erträumen wagen. [Schallhas Marianne]

 

Marianne Schallhas ist Mitarbeiterin der Arbeitsgemeinschaft Gerecht Wirtschaften (www.arge-gerecht-wirtschaften.at) und der Friedensbewegung Pax Christi Österreich (www.paxchristi.at)

Literatur zur aktiven Gewaltfreiheit beim Österreichischen Versöhnungsbund (www.versoehnungsbund.at) erhältlich, unter anderem:

  • Hildegard Goss-Mayr: Wie Freunde Feinde werden (186 Seiten)
  • Die Gewaltlosigkeit Jesu – eine Kraft, die Frieden schafft (76 Seiten)

Literaturtipps zur Geldfrage:

  • Ausstellungsführer zur Ausstellung „Segen und Fluch des Geldes“ der Arbeitsgemeinschaft Gerecht Wirtschaften (zum Herunterladen auf www.arge-gerecht-wirtschaften.at)
  • Christian Felber: Geld. Die neuen Spielregeln. Eine alternative Geldordnung für eine faire Wirtschaft, Wien 2014