Organisation

Priesterseminar der Diözese Gurk in Graz

Bin ich berufen? Und wozu?

Mit der Sehnsucht beginnt alles, die Sehnsucht ist der Anfang aller Dinge.

(Nelly Sachs)

Glasfenster der Kapelle des Grazer Priesterseminars (Priesterseminar / Schöck)
Glasfenster der Kapelle des Grazer Priesterseminars (Priesterseminar / Schöck)

„Nach christlichem Glaubensverständnis hat Gott die Schöpfung ins Werk gesetzt, um den Menschen am Glück seines ewigen, seligen Lebens teilhaben zu lassen. … Als Freunde, ja als Brüder und Schwestern des einzigen Sohnes und damit als Söhne und Töchter des gemeinsamen Vaters sind wir gerufen, an der Sohnschaft und Herrlichkeit Jesu Christi, kurz: am Leben Gottes teilzuhaben, indem wir in die engste Beziehung der Liebe eingehen dürfen, die in Gott selbst zwischen Vater und Sohn besteht. So zielt unser Leben auf die Communio, auf die Gemeinschaft mit Gott.“ – so der Theologe Gisbert Greshake

Dazu also sind wir gerufen, die Wege zu diesem Ziel aber sind unterschiedlich. Darum stellen sich uns Menschen immer wieder Fragen wie: Was ist mein Weg, meine Berufung? Oder möglicherweise noch konkreter: Ruft Gott mich zu einem Leben als Priester, als Ordensfrau oder Ordensmann? Wie ist es möglich, eine Antwort auf Fragen wie diese zu finden?

Der Jesuit P. Josef Maureder spricht im Blick auf Berufung immer wieder von drei Stimmen, auf die es dabei zu achten gilt.

1. Meine persönliche Natur als tragender Klang der Stimme Gottes

Eine echte Berufung kommt der jeweiligen Natur gleichsam entgegen, sie klingt mit dem zusammen, wie ich (als Geschöpf) bin bzw. mit meinem Potenzial (was ich werden könnte).

Denn Gott überfordert nicht und quält nicht. Was eine Frau oder ein Mann einfach nicht kann, was dermaßen gegen ihre/seine Natur ist, dass sie/er dabei halb oder ganz unglücklich wird, kann nicht Wille Gottes sein. Was dermaßen gegen Talente, Anlagen, Charakter, Temperament ist, dass es nur mit zusammengepressten Zähnen oder mit ständiger Furcht gelebt werden kann, wird nicht Wille Gottes sein.

Dies heißt auch: eine Berufung meint nicht Entfremdung, meint nicht: ich werde mir selbst genommen, sondern im Gegenteil: ein Ruf Gottes führt in die Weite, zur Entfaltung meiner Anlagen und Talente.

2. Meine Sehnsucht als bewegender Klang der Stimme Gottes

Im Evangelium fragt Jesus immer wieder nach der Sehnsucht: „Was sucht ihr?“ (Joh 1,38). „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ (Mk 10,51). In uns leben Sehnsüchte, die sich auf Verschiedenes richten können. Darum ist es wichtig, unsere wesentlichen und tragenden Sehnsüchte wahrzunehmen, weil sie unsere Entscheidungen bewusst und unbewusst motivieren.

„Was möchtest Du tatsächlich gelebt haben, wenn Dein Ende naht? Was möchtest Du, dass andere einmal von Dir sagen, wenn Du gestorben bist?“ Mit solchen Fragen kann die tieferliegende Sehnsucht entdeckt werden, die gewöhnlich wichtige Hinweise für meine Lebenswahl oder das Abwägen von Alternativen gibt. Wenn Gott mein Leben in Fülle will, so gilt das nicht nur für später, es gilt auch für das Heute. Gott selbst fragt nach der Sehnsucht. Deshalb darf und soll auch der Mensch danach fragen, wenn er gemäß dem „Willen Gottes“ wählen will.

3. Das objektive Gegenüber als lockender Klang der Stimme Gottes

Alles, was uns begegnet, löst in uns einen Klang, ein Echo aus. Manches davon berührt in besonderer Weise unser Herz, beunruhigt uns möglicherweise, ist wie ein Locken, ein Werben, das wir nicht vergessen und verdrängen können. Dieses Gegenüber ist sehr vielgestaltig: es kann die Erfahrung mit einem armen Menschen, mit Bildern der Not sein; es kann ein Wort des Herrn in der Schrift sein; oder die Bemerkung eines Freundes/ einer Freundin, oder etwas anderes. Von außen her vernehmen wir so das Werben Gottes.

Als hilfreich hat sich in diesem Zusammenhang erwiesen, ein Berufungstagebuch führen, in dem all das kurz notiert wird, was mich für die Frage der Lebenswahl angesprochen, irgendwie berührt hat: ein Text, ein Wort, eine Begegnung mit einem Menschen u. a. m.

Wenn der dreifache Klang der Stimme Gottes zum Einklang kommt

Wenn stimmig wird, „was einer will“ mit dem, „was er meint zu sollen“ und „dies auch gut leben und tun kann“, dann wird Friede spürbar, Kraft und ruhige Bereitschaft. In aller (bleibenden) Unvollkommenheit ist damit ein Klang in mir, der dem Leben Farbe und Leichtigkeit verleiht, eine Art von Fülle selbst in der Bedrängnis, wie es der Herr verheißen hat. Die Spannung, die zwischen der Natur des Menschen, seiner Sehnsucht und dem Werben Gottes in der Wirklichkeit, die ihm begegnet, bestehen mag und bestehen bleibt, klingt jetzt dennoch grundsätzlich in einer neuen Harmonie zusammen, die mit Friede und Freude verbunden ist, in der die Beziehung zu Jesus stärker wird und wächst, in der mein Weg mit der Zeit immer deutlichere Konturen erhält.

P. Thomas Neulinger SJ, Spiritual