200 Jahre seit der Wiedererrichtung der Gesellschaft Jesu

Ignatiusfest 2014 in Klagenfurt - P. Andreas Batlogg SJ in seiner Festpredigt

P. Andreas R. Batlogg SJ (© Foto: a.b.)
P. Andreas R. Batlogg SJ (© Foto: a.b.)

P. Andreas R. Batlogg  hielt die Festpredigt beim Festgottesdienst zum Ignatiusfest in Klagenfurt, Domkirche. Dabei brachte er interessante Einblicke in die Geschichte des Jesuitenordens zur Zeit der Aufhebung 1773 und bei der Wiedererrichtung 1814 und charakterisierte die Spiritualität und Sendung der Jesuiten.

P. Andreas Batlogg SJ lebt in München, geboren in Vorarlberg, und ist Chefredakteur der Zeitschrift "Stimmen der Zeit".

Ein Jesuitenfrühstück….

Ein Jesuit! S’ gibt Jesuitenfleisch zu essen!

Es gibt Jesuitenfleisch zu essen: So rufen vor dem Frühstück freudig die Wilden in Voltaires satirischem Roman „Candide“. Sie umtanzen den Titelhelden, der gefesselt neben einem Topf liegt. Das Wasser brodelt schon.

Mit dem Witz vom Jesuitenfrühstück konnte sich der Jesuitenschüler Voltaire des hämischen Gelächters aller Gebildeten und Mächtigen von Lissabon bis Rom sicher sein, ganz egal welcher Weltanschauung sie anhingen. Hundert Jahre vorher wäre er dafür verbrannt worden.

Papst Clemens XIV - 1773

Tatsächlich gefrühstückt, um in diesem Bild zu bleiben, hat die Jesuiten vierzehn Jahre nach Erscheinen dieses Romans kein südamerikanischer Indianerstamm, kein aufgeklärter Atheist oder ein spätreformatorischer Eiferer.

Der Papst selber hat seine Elitetruppe von der Front gegen die Dissidenten und Ungläubigen zurückgepfiffen. In seinem Breve „Dominus ac Redemptor“ vom 21. Juli 1773 löste Clemens XIV. den größten Orden der katholischen Kirche der Neuzeit mit folgender Begründung auf:

„Angehaucht, wie Wir vertrauen, von dem göttlichen Geist, durch die Pflicht getrieben, die Eintracht der Kirche zurückzuführen, überzeugt, daß die Gesellschaft Jesu den Nutzen nicht mehr leisten kann, zu dem sie gestiftet worden, und von anderen Gründen der Klugheit und Regierungsweisheit bewogen, die wir in unserem Gemüte verschlossen halten, heben Wir auf und vertilgen Wir die Gesellschaft Jesu, ihre Ämter, Häuser und Institute.“

Eine eigene Münze wurde gedruckt. Sie zeigt Christus, vor ihm drei Jesuiten in Talaren und mit Birett. Er verscheucht sie mit den Worten: „Hinweg, ich kenne euch nicht!“

Anstößige Maximen, Duldung heidnischer Gebräuche, Handelsgeschäfte und Aneignung großer Reichtümer – das waren die Vorwürfe.

Der Generalobere Lorenzo Ricci wurde in der Engelsburg gefangengesetzt. Zwei Jahre später starb er dort.

Voltaire

Da entdeckte Voltaire plötzlich die guten Seiten des Ordens, indem er das Experiment im heutigen Dreiländereck Brasilien - La Plata - Paraguay als Verwirklichung der Utopia des Thomas Morus anpries und seinen erzwungenen Untergang bedauerte. Es sei erstaunlich, meinte der ehemalige Jesuitenfresser, daß sich die ganze Welt plötzlich gegen den Orden erhoben habe.

Nebenbei: Voltaire hielt sich für den Privatgebrauch selbst einen Jesuitenpater für die Messe.

Jesuitenschelte

Die Jesuiten waren gut für alle politischen und sittlichen Skandale. „Nicht eher“, schrieb etwa Pascal an Helvetius, „wird Friede auf Erden, als bis der letzte Jesuit mit dem Gedärm des letzten Jansenisten erdrosselt ist.

Die Jesuitenschelte wurde Mode, das Wort Jesuit – anders als Franziskaner oder Benediktiner – zum Synonym für Sophist, für Verschlagenheit und Hintertriebenheit, übrigens bis hinein in die jüngsten Ausgaben des Fremdwörter-Duden.

Im 18./19. Jahrhundert überschwemmten den europäischen Buchmarkt Titel wie „Jesuiten und Fürstenmörder“, „Der Jesuiten Geilheit“, „Babylonische Hurenfrucht, oder Mordregister der Jesuiten“.

Der Jesuitenorden wird wieder zugelassen - 1814 

Am 7. August 1814, vor 200 Jahren also, wurde der Orden wiederhergestellt, nach vierzigjährigem Verbot.

In Preußen (protestantisch) und in Weißrußland (orthodox) hatte er überlebt – eine Ironie der Geschichte geradezu.

Es gab dabei das theologischen Problem, dass ein Papst in seinem Breve schreiben könne „Niemals mehr erstehe dieser Orden" und dann einer seiner Nachfolger doch wieder damit beginne.

John Adams, der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, schrieb an seinen Nachfolger Thomas Jefferson: „Mir gefällt die Auferstehung der Jesuiten nicht.“

Was so über die Jesuiten gesprochen wird...

Warum nun dieses lange Feuerwerk geschichtlicher Schnurren? Ich glaube, all das geistert auf die eine oder andere Weise in unseren Köpfen herum, wenn von Jesuiten die Rede ist.

Es ist ja meistens nur von Jesuiten und wenig von Ignatius die Rede.

Zum einen: Der Orden nannte sich ja gerade Gesellschaft Jesu, nicht „Ignatianer“. Jesuiten sind Gefährten Jesu.

Außerdem: Ignatius war kein Volkstribun. Er hat kein Charisma besessen wie ein Franziskus, Don Bosco oder Philipp Neri.

Auch Ignatius ist mit Klischees und Kitsch versehen worden. Er ist der Casanova und der Verführer zu Gott. Aber immer ist er hinter seinem Orden verschwunden.

„Macht und Geheimnis der Jesuiten“, wie ein Bestseller aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hieß, waren immer interessanter.

Und trotzdem ist etwas Faszinierendes an diesem Mann, der auch von vielen Jesuiten erst entdeckt werden mußte.

"Geistliche Übungen" von Ignatius

Manche meinen, Ignatius sei vor Sigmund Freud der erfolgreichste Psychotherapeut gewesen. In den Exerzitien handelt Gott direkt am Menschen. Da können existenzielle Entscheidungen fallen! In den Geistlichen Übungen wird eine Vertrautheit mit Gott eingeübt, die sich im Alltag bewähren soll, wo es eben oft nicht leicht und selbstverständlich ist, ein geistliches Leben zu führen.

Ich habe durch die Spiritualität des Ignatius von Loyola gelernt, damit aufzuhören, Gott Reservate zuzuschreiben, in denen er sich zeigen, offenbaren dürfte.

Gott in allen Dingen suchen und finden“ ist kein phantastisches Programm. Es fordert wirklich dazu auf, Grenzen aufsprengen. Es fordert dazu auf, Gott Gott sein zu lassen, ihm nicht vorzuschreiben, wo und wie und an wem und wodurch er wirken soll. Er fordert dazu auf, die absolute Ferne und Unergründlichkeit Gottes, seine Geheimnishaftigkeit ebenso anzunehmen wie seine Nähe in Jesus Christus, mit dem zusammen, wie Paulus es den Kolossern schrieb, unser Leben verborgen ist in Gott.

Gott hat etwas zu sagen

Diese Grundüberzeugung – Gott als der unendlich ferne und zugleich nahe, mir innerlicher als ich mir selbst sein kann – ist im Grunde eine Maximalüberzeugung, kein Minimalismus.

Ich denke: Angesichts so vieler technischer Machbarkeiten, angesichts so vieler beängstigender apokalyptischer Szenarien ist es schon etwas, gegen allen Trend zu sagen:

  • Ich glaube, daß Gott sich nicht verabschiedet hat aus dem Experiment Erde.
  • Ich glaube, daß er weiterhin wirkt.
  • Ich glaube, daß er mir etwas zu sagen hat.
  • Ich glaube, daß er für mich ein ganz persönliches Wort sagt, ein intimes, zartes Wort, das ich nur weitergeben kann und soll in meinen Worten.

Gewiß, man kann das auch anderswo, mit einer anderen Spiritualität erkennen und leben. Ignatianische Spiritualität ist ein Angebot unter vielen. Es hat sich bewährt. In mehr als 470 Jahren.

Monogramm  IHS

In vielen Kirchen dieses Landes finden wir das Monogramm IHS. (In Tirol vielleicht sagt man dazu lässig: „IHS – I hoas Sepp“.)

Jesuiten deuten das IHS anders aus, die Kirche auch:

  • Iesus Hominum Salvator – Jesus, Erlöser der Menschen;
  • Oder: Jesus – Heilig – Seligmacher.
  • Oder aber: IHS – Iesum Habemus Socium – Wir haben Jesus zum Gefährten.

Das ist ein Hoffnungswort ohne Ablaufdatum.

Jesus zum Gefährten haben, zum Freund, zum Bruder, zum Meister, zum Lehrer, zum Arzt, zum Tröster, zum Helfer, zum Heiland …  Die persönliche Litanei der Attribute kann endlos sein. -  Schreiben Sie Ihre Titel dazu!

Die "kleine" Gesellschaft Jesu und die "größere" Gesellschaft Jesu

Es gibt die kleine Gesellschaft Jesu, die Gemeinschaft derer, die sich diesem Orden angeschlossen haben – bei meinem Eintritt vor 29 Jahren waren wir über 160 Jesuiten in Österreich, heute keine 80 mehr –;

Es gibt aber auch die größere Gesellschaft Jesu: die Gemeinschaft all derer, die das Leben Jesu mit ihrem Leben als Getaufte weiterschreiben, weil ihnen das Leben Jesu zur Norm, zur Richtschnur, zur Orientierung geworden ist.

Als Papst Franziskus am 3. Januar 2014 in der römischen Jesuitenkirche Il Gesù den Gottesdienst feierte - es war das Namensfest der Gesellschaft Jesu - erinnerte er daran, dass den Namen Jesu zu tragen bedeute: seinem Kreuz nachzufolgen.

„Jeder von uns Jesuiten, der Jesus nachfolgt, muss bereit sein, sich leer zu machen. Zu diesem ,Geringerwerden‘ sind wir gerufen: Ganz leer zu sein. Menschen zu sein, die nicht um sich selber kreisend leben, denn die Mitte der Gesellschaft [Jesu] ist Christus und seine Kirche. Und Gott ist immer größer, ,Deus semper maior’, Gott überrascht immer. Und wenn Gott, der überrascht, nicht mehr in der Mitte steht, dann ist die Gesellschaft [Jesu] ohne Orientierung.“

Im Interview mit Antonio Spadaro von der Civiltà Cattolica, im August 2013, schwieg Papst Franziskus zunächst auf die Frage, wer Jorge Mario Bergoglio sei. Er wirkte fast überrumpelt. Und dann, frank und frei: „Ich bin ein Sünder.“  Und um alle Zweifel zu zerstreuen, es handle sich um harmlose Rhetorik, setzte der Papst zum Auftakt des mehrstündigen Interviews nach: „Das ist die richtigste Definition. Und es ist keine Redensart, kein literarisches Genus. Ich bin ein Sünder.“ Und der Papst w iederholte sich: „Ich bin ein Sünder, den der Herr angeschaut hat“: Die Wiederholung ist Eingeständnis und Bekenntnis zugleich.

Eng, engherzig und skrupulös, wie wir auch sein können, böse, falsch, aggressiv: Das hielten wir gar nicht aus. Aber mich trotzdem angeschaut zu wissen und anerkannt fühlen zu dürfen – das tröstet, es richtet auf:

Ich bin in Jesu Blickfeld, darf ihm auf Augenhöhe begegnen, obwohl ich ein immer wieder strauchelnder, sündiger Mensch bin – und bleibe.

Und als solcher ruft Jesus mich: als Mensch, als Christ, als Jesuit, als Priester.

Als solcher ruft er uns alle in seine Gemeinschaft, in die große oder in die kleine Gesellschaft Jesu.

Es gilt, sensibel zu sein für seinen Ruf. Das ist nicht immer leicht.

Unruhe im Herzen - Menschen unter Spannung

In Il Gesù, zu Jahresbeginn, erinnerte der Papst daran: „Als Sünder können wir uns fragen, ob unser Herz diese Unruhe der Suche bewahrt hat, oder ob es im Gegenteil geschrumpft ist. Wir fragen uns, ob unser Herz in Spannung ist: Ein Herz, dass sich nicht schlafen legt, das sich nicht in sich selbst abschließt, sondern das im Rhythmus des mit allen Gläubigen gemeinsam zu gehenden Weges schlägt. Nur diese Unruhe gibt dem Herzen eines Jesuiten Frieden. Es ist diese Unruhe, die uns bereit macht, das Geschenk der seelsorgerischen Wirksamkeit zu empfangen. Ohne Unruhe sind wir steril.

Nur durch eine große Vertrautheit mit Gott können Jesuiten in dieser Spannung leben, die sonst zerreißt. "Wir sind Menschen unter Spannung,“ sagte Papst Franziskus, "und wir bleiben es, lebenslänglich," und weiter: „Wir sind auch widersprüchliche Menschen, inkohärent, Sünder, wir alle. Aber wir sind Menschen, die in Jesu Blick leben wollen. Wir sind klein, wir sind Sünder, wir sind Egoisten, aber trotzdem wollen wir ein Leben der großen Sehnsüchte leben. Erneuern wir unsere Hingabe an den ewigen Herrn des Universums, dass wir mit der Fürsprache Seiner Mutter wollen, wünschen und leben können wie Jesus, der leer wurde.

Ein Leben der großen Sehnsüchte

Wir sind Menschen, die in Jesu Blick leben wollen …

Und: Wir wollen ein Leben der großen Sehnsüchte leben:

All das kann man nicht nur von Jesuiten sagen, sondern von allen, die den Weg Jesu gehen wollen. Das ist Nachfolge, das ist christliche Existenz – im 16. Jahrhundert genauso wie heute. Wir wollen ein Leben der großen Sehnsüchte leben!

Amen.