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Dekanat Villach-Stadt

DEMENZ IST NICHT GLEICH DEMENZ

Vortrag Prof. Mag. Renate Kreutzer – Kommunikation mit alten, an Demenz erkrankten Menschen

 (© Foto: Pixabay.com)
(© Foto: Pixabay.com)

„Ich  bin an Demenz erkrankt, aber ich bin immer noch ein MENSCH“, sagte der Amerikanische Wissenschaftler Dr. Robert Taylor bei einer Veranstaltung vor über 4000 Leuten und gab ihnen Einblicke in sein Leben, seine Gefühle und Gedankenwelt seit der Diagnose, als Dozent und Vortragender einer Universität,  selbst an Demenz erkrankt zu sein.

Frau  Mag.Kreutzer, die Vortragende unserer Veranstaltungsreihe für Ehrenamtliche Mitarbeiter in der Altenheimseelsorge, war unter den Zuhörern, hat Dr. Taylor live erlebt. Sie gab gestern im Pfarrsaal der Pfarre Heiligenkreuz in Villach einen bewegenden Eindruck, was  es heißen kann, an Demenz zu erkranken, dass Demenz nicht gleich Demenz ist, es unterschiedliche Formen gibt, man zwischen der „primären“ und der „sekundären“ Demenz unterscheiden muss. Dies ist enorm wichtig, weil sonst Menschen, die nicht diagnostisch abgeklärt sind, falsch behandelt werden, auch falsch medikamentiert werden. So kann eine sekundäre Demenz, die noch heilbar wäre, die aufgrund anderer Erkrankungen (Stoffwechselstörungen, Niereninsuffizienz, andere Hirnerkrankungen) entsteht und zu Verwirrungszuständen führen kann, in eine primäre, unheilbare Demenz übergehen. Bei der primären Demenz ist das Gehirn von Anfang an angegriffen, der an Demenz erkrankte Mensch kann sein Verhalten nicht mehr steuern, die Gehirnzellen sterben immer weiter ab, zuerst ist das Kurzzeitgedächtnis betroffen, dann geht der Mensch immer weiter in seinem Entwicklungsstand zurück, bis er, nach ca. 8-12 Jahren im Stadium eines 3-4 Jährigen Kindes angelangt ist.  Zu den primären Demenzen gehören die am meisten bekannte und vorkommende – Morbus Alzheimer, (mittlerweile 67 % in Österreich) die Vaskuläre Demenz (oft nach Schlaganfällen, Durchblutungsstörungen), die Fronto-Temporale Demenz (Stirnlappen), die auch schon in jüngeren Jahren auftreten kann und oft mit massiver Persönlichkeitsveränderung einher geht, die Menschen oft sehr aggressiv werden und keine Kontrollschranke mehr besitzen. (ausfällige Sprache, nehmen sich kein Blatt vor den Mund). Auch die Lewi-Body-Demenz ist eine Art der Demenz, die oft (muss aber nicht!) in Verbindung mit einer Parkinson-Erkrankung auftritt) Gekennzeichnet ist diese Form z.B. von auftretenden Halluzinationen der Patienten, sie können auch nicht mehr unterscheiden, ob z.B. ein Film, der im Fernsehen läuft, echt ist, sie fühlen sich live dabei.

Frau Kreutzer schilderte die Entwicklung der Forschung im Laufe der Zeit und dass 2016 in Barcelona bei einer Demenztagung nun die Meinung vorherrscht, dass nicht nur, wie bisher angenommen, Eiweiß-Plaques, die sich um die Zelle ablagert, sodass kein Sauerstoff mehr durchdringen kann und die Zelle abstirbt, schuld sind an Alzheimer, sondern auch sogenannte TAU-Proteine im Spiel sind und in Kombination mit den Plaques zum Demenzsyndrom führt.

Die Wissenschaft der Neurobiologie hat sich in den letzten Jahren auch zunehmend mit dem Thema Demenz beschäftigt und herausgefunden, was der Pathologe Dr. Leopold Auerbach bereits 1896 beim Sezieren eines Dickdarms herausgefunden, aber nicht beweisen konnte. Er sah in der Struktur des Darms viele Nervenzellen, ähnlich dem Aufbau im Gehirn und hatte schon damals die Vermutung, dass der Mensch nicht nur ein Denkhirn besitzt, sondern vieles vom „Bauch-Darm“ bereich gesteuert und abgespeichert wird.

Die Neurobiologen sprechen heutzutage vom sogenannten „Erlebnishirn“ – LIBHIRN (Leibhirn) und meinen damit, dass alle Erlebnisse, Gefühle in dieser Region der Zellen des Dickdarms gespeichert werden, dass es dort mehr als 100 Millionen Nervenzellen gibt. Auch „Unverdautes“, nicht aufgearbeitete Traumen des Lebens, die wir verdrängt haben, weil das Erleben zu stark war und wir vielleicht sonst nicht überlebt hätten, ist in den Zellen abgespeichert und möchte im Laufe des Lebens aufgelöst werden. So ist es zu beobachten und zu verstehen, dass viele Menschen nicht sterben können – ihre Seele scheint massiv zu kämpfen, weil  offensichtlich noch etwas unerledigt  ist. Wenn Menschen, die an Demenz leiden, zu keiner verbalen Ausdrucksmöglichkeit mehr fähig sind, können wir oft massive Aggressionen, wie Schreien, körperliche Abwehrreaktionen,  beobachten. Unsere hochbetagten Menschen stammen zt. noch aus der Kriegsgeneration.  Sie haben nie gelernt, über ihre traumatischen Erlebnisse zu reden, gerade bei Frauen gibt es oft einen Vergewaltigungshintergrund – und es ist dann zu verstehen, warum eine Frau im Altenheim sich nicht von einem männlichen Pfleger waschen lassen will. Ist die Demenz fortgeschritten, sind diese Menschen in ihrem Erleben oft wieder in einer traumatischen Situation der Vergangenheit, sie erleben sie aber JETZT – live. Es reicht ein sogenannter TRIGGER, ein Auslöser der Gegenwart, um die Gefühle von damals wieder hervorzurufen und dementsprechend zu reagieren.  Es nützt hier nichts, diesen Menschen in die Realität orientieren zu wollen, sondern es ist hilfreich, in der Begegnung mit einem aufgebrachten, verzweifelten Menschen, diesem auf Augenhöhe (sonst kann dieser ihn nicht wahrnehmen) zu begegnen, ihn zu beruhigen, indem man auf seine Gefühlsebene geht.

Frau Kreutzer brachte hier ein Beispiel eines alten Mannes, der in einem Altenheim stundenlang mit dem Rollstuhl bei einem großen Fenster stand. Als er einen sehr lauten Blitz und Donner hörte, reagierte er sehr aufgebracht und schrie: „Sie kommen wieder…“ er war offensichtlich in die Situation des Krieges hineinversetzt und reagierte in Panik. Ein Pfleger, in der Kommunikation mit Demenzpatienten geschult, reagierte darauf mit den Worten: „ Kamerad, es ist alles gut, der Krieg ist aus, in einem sehr bestimmenden, aber auch beruhigenden Ton. Darauf beruhigte sich der alte Mann.

Es ist nicht einfach, mit Menschen, denen oft die verbale Ausdrucksfähigkeit schon verloren gegangen ist, zu kommunizieren, besonders schwer wird es, wenn man keinerlei Angaben aus der Biografie dieses Menschen hat. Aber wenn wir diese Menschen besuchen, ist es vor allem wichtig, ihnen  mit dem Herzen von Mensch zu Mensch  zu begegnen, in dem Wissen, dass die Gefühle eines Menschen bis zum Schluss erhalten bleiben, nicht zerstört werden.  Daher ist es auch eine gute Kommunikationsmöglichkeit, diese Menschen über Musik, auch Gebete (sofern vertraut) zu erreichen. Sie ist meist beruhigend und viele Texte sind im Langzeitgedächtnis abgespeichert, also noch lange vorhanden, weil die Menschen der früheren Generationen immer viel gesungen haben.

Abschließend noch ein ermutigender Satz für alle, die Bedenken haben in der Begegnung mit einem an Demenz erkrankten Bewohner :

Es ist gut, einfach als MENSCH zu einem MENSCHEN zu kommen, das allein genügt oft schon.

(zusammengefasst Sabine Kämmerer, 3. 10. 17)