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Katholisches Bildungswerk

AD(H)S - eine wahre Kindersorge

Weg mit den vielen Vorurteilen! ein Beitrag von Anna Maria Bergmann-Müller

 (© Foto: C.Sablatnig )
(© Foto: C.Sablatnig )

Der Vogel, der draußen so schön zwitschert, ist im Moment einfach interessanter als die Lehrerin an der Tafel. Das Stillsitzen, auch nur für kurze Zeit, fällt äußerst schwer. Ein Spiel, eine Aufgabe zu Ende bringen – nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Es gab eine Zeit, da wurden alle hyperaktiven, zornigen, zappeligen und lauten Kinder in eine einzige Schublade gesteckt: AD(H)S. Heute gehen Experten differenzierter mit diesem Syndrom vor. Es gibt nämlich viele Störungen, die dem AD(H)S ähnlich sind. Wie auch immer – verhaltensauffällige Kinder sind in unserer Gesellschaft ein Störfaktor. Für Eltern, Erzieher und Pädagogen sind sie echte „Sorgenkinder“.

Der renommierte Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort dreht den Spieß einfach um. Aus „Sorgenkindern“ macht er „Kindersorgen“. Und so lautet auch der Titel seines neuen Buches. Auf Einladung des Katholischen Bildungswerkes Kärnten war er unlängst Gastreferent im Diözesanhaus in Klagenfurt. Schulte- Markwort hat Einblick in die Kinderseelen und begegnet ihnen mit Respekt und vor allem auf Augenhöhe.

Er spricht von Beziehung und meint damit Erziehung. In seinem Buch hat er ein Kapitel dem Thema „AD(H)S“ gewidmet. Täuscht der Eindruck, dass es immer mehr Kinder mit dieser Diagnose gibt? Von wegen! Das Phänomen wurde vor 170 Jahren schon von Heinrich Hoffmann beschrieben. Und zwar im Weltbestseller „Struwwelpeter“, den der Autor und Psychiater für seinen Sohn geschrieben hat. Wer kennt ihn nicht, den „Zappelphillipp“, der bei Tisch nicht still sitzen konnte. AD(H)S – Was verbirgt sich hinter diesen Buchstaben?

Schulte- Markwort: „Es handelt sich dabei um eine Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitäts-Störung.“ Das „H“ in Klammer bedeutet, dass Hyperaktivität nicht immer als Symptom in Erscheinung treten muss. „Man weiß heute, dass es sich um eine Störung des Hirnstoffwechsels handelt. Durch eine Fehlregulierung chemischer Botenstoffe werden Informationen zwischen bestimmten Gehirnbereichen nicht richtig weitergeleitet. Betroffen sind vor allem Regionen, die beim Ordnen der Gedankenflut und der Aktivitätssteuerung eine Rolle spielen.“

Für Kinder mit AD(H)S bedeutet dies: Ständig prasselt eine Fülle unsortierter Eindrücke auf sie ein, die sie weder filtern noch in ihrer Wichtigkeit erkennen können. Darauf reagieren sie mit den typischen Symptomen. Viele Ärzte verschreiben deshalb das Medikament „Ritalin“ oder vergleichbare Psychosubstanzen. So auch Schulte-Markwort. Er weiß aus seiner Praxis, dass Eltern das sehr schwer akzeptieren können und nimmt sich deshalb auch viel Zeit für Gespräche. Neben der medikamentösen Behandlung bietet er natürlich auch Psychotherapie an.

„Mir ist wichtig, dass die AD(H)S-Kinder ihrer Intelligenz entsprechend geschult werden können. Ich weiß, wie sie sich anstrengen und trotzdem nie wirklich das erreichen, was sie könnten. Das untergräbt ihr Selbstwertgefühl. Das ist fatal.“

Wenn Eltern sich partout nicht überzeugen lassen, dass Psychopharmaka in manchen Fällen einfach notwendig sind, dann kann der Psychiater sehr deutlich werden. „Für mich ist das unterlassene Hilfeleistung!“ Wenn Kinder nämlich nicht rechtzeitig adäquat behandelt werden, muss man mit weiteren Folgeerscheinungen rechnen. Bei frühzeitiger Diagnose und Behandlung haben sie die Chance, ihren Alltag gut in den Griff zu bekommen.

ADS/ADHS ist jedenfalls ein Krankheitsbild, das nach wie vor dazu führt, dass betroffene Kinder ausgegrenzt und gemobbt werden. Sie sind nicht böse, sondern meist sehr sensible Zeitgenossen, die darunter leiden, im psychosozialen Bereich immer wieder zu versagen. Dementsprechend lassen auch die Schulleistungen zu wünschen übrig. „Zwillingsstudien haben eindeutig gezeigt, dass ADHS einen genetischen Hintergrund hat“, betont Schulte-Markwort.

In Kärnten hat Katrin Winter die bislang erste und einzige Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen.

Sie weiß aus eigener Erfahrung, wie Kinder aber auch Eltern, an Vorurteilen und Ausgrenzung leiden, ist sie doch selbst Mutter von zwei Buben mit AD(H)S und Asperger-Autismus- Diagnose. „Laut und bunt“ nennt sich die Gruppe, die über das Katholische Bildungswerk organisiert wird. Wie überhaupt das Thema „AD(H)S“ in der Bildungsplattform der Katholischen Kirche Einzug gehalten hat. Die pädagogische Mitarbeiterin Cindy Sablatnig ist dafür zuständig.

„Unser Ziel ist ein verstärkter Austausch zwischen Eltern und Lehrern. Oft liegt es nur an Kleinigkeiten.“

Die Lebensbedingungen eines Kindes sind für die Ausprägung von AD(H)S nämlich ganz entscheidend. Permanenter Stress, Über- oder Unterforderung und inkonsequente Erziehung erhöhen das Risiko, dass Kinder mit einer Veranlagung Symptome entwickeln. In der Selbsthilfegruppe „Laut und bunt“ können Erfahrungen ausgetauscht, alltägliche Probleme unter Gleichgesinnten besprochen werden. Durch die Gespräche kommt es zur gegenseitigen Stärkung, neue Sichtweisen eröffnen sich. Auf dem Programm stehen Workshops, die es auch den Eltern einmal erlauben, zu entspannen und loszulassen.