Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Wir müssen unsere Sozialsysteme völlig neu überdenken

Iris Strasser im Gespräch mit Gerald Heschl über nachhaltiges Unternehmertum

Die aktuelle Papst-Leo-Preisträgerin über ihr Projekt "Verantwortung zeigen" und wie man mit kleinen Schritten die Welt verändert

Die aktuelle Papst-Leo-Preisträgerin Iris Straßer im SONNTAG-Interview über ihr Projekt “Verantwortung zeigen“ und wie man mit kleinen Schritten die Welt verändert (© Foto: SONNTAG / Georg Haab)
Die aktuelle Papst-Leo-Preisträgerin Iris Straßer im SONNTAG-Interview über ihr Projekt “Verantwortung zeigen“ und wie man mit kleinen Schritten die Welt verändert (© Foto: SONNTAG / Georg Haab)
Iris Straßer (3. v. li.) bei einem adventlichen Engagement-Tag mit Philips beim SOS-Jugendwohnen in Klagenfurt (© Foto: Netzwerk “Verantwortung zeigen!“)
Iris Straßer (3. v. li.) bei einem adventlichen Engagement-Tag mit Philips beim SOS-Jugendwohnen in Klagenfurt (© Foto: Netzwerk “Verantwortung zeigen!“)

Am 12. Mai wird der Papst-Leo-Preis an Sie verliehen für die Initiative „Verantwortung zeigen“ (VZ). Können Sie kurz schildern, um was es dabei geht?
Strasser: VZ ist aus einem EU-Projekt entstanden, das dem gesellschaftlichen Engagement Kärntner Unternehmen nachging. Als es auslief, bestand das Bedürfnis, Wirtschaft und Gesellschaft weiterhin in Verbindung zu bringen, im entstandenen Netzwerk weiterzuarbeiten. Das ist „Verantwortung zeigen“.  Man kann dieses Netzwerk auch als „Cluster“ für gesellschaftliche Verantwortung und Nachhaltigkeit bezeichnen. Aktuell sind 75 Unternehmen und Organisationen im Süden Österreichs daran beteiligt.

Wie sieht das konkret aus?
Strasser: Einmal gibt es einen Erfahrungsaustausch. Wir treffen uns regelmäßig zu „Impulsnachmittagen“, die aktuellen Themen gewidmet sind. Etwa Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gesundheit am Arbeitsplatz, Lehrlingsausbildung etc. Einmal im Sommer gibt es den „Thementag“, wo es um große wirtschafts- und gesellschaftspolitische Themen, um den Blick auf langfristige Perspektiven geht.

Sie haben aber neben diesen Veranstaltungen Projekte, die konkretes Handeln verlangen ...
Strasser: Seit acht Jahren gibt es im Juni in Kärnten landesweite Engagement-Tage, wo sich Firmengruppen in den Dienst der guten Sache stellen und in Sozialeinrichtungen Hand anlegen. Es fördert die Kultur der Unternehmen, wenn man sich für etwas einsetzt, das wirklich Sinn macht – wie ein Hochbeet oder ein Gartenhaus für eine Behinderteneinrichtung bauen, ein Spielenachmittag mit Kinderdorf-Kindern, Ausflüge mit alten Menschen und vieles mehr.

Sind das einmalige Aktionen?
Strasser: Nein. 95 Prozent der Unternehmen machen regelmäßig mit. Viele davon sogar zwei Mal im Jahr, denn wir bieten diese Form der Zusammenarbeit auch im Advent in Form des VZ-Adventkalenders an.  

Wie sehen die Erfahrungen der Unternehmen aus?
Strasser: Es gibt viele Rückmeldungen, dass dadurch das Unternehmen verändert wird: Als Beispiel kann ich die Firma Mahle nennen, die immer mit Lehrlingen dabei ist. Da geschieht Persönlichkeitsentwicklung. Ein Ausbildner hat mir gesagt, dass es die Qualität der Lehrlingsausbildung massiv verbessert hat. Generell wird die Sicht auf das Thema Wirtschaftlichkeit verändert, auch auf einzelne Probleme, die sich dadurch oft relativieren.  

Diese geschilderten Veränderungen der Kultur und der Arbeit in Unternehmen gehen ja ganz konform mit der Enzy-klika von Papst Leo XIII., „Rerum Novarum“.
Strasser: Ganz genau. Wir bemühen uns um eine ganz niederschwellige Form, die Intentionen der Katholischen Soziallehre in den Unternehmen spürbar zu machen.

Wie weit wird das auch für die Unternehmenswerbung genutzt?
Strasser: Es ist ganz interessant, dass diese Dinge intern viel stärker publiziert und kommuniziert werden wie nach außen. Kein Unternehmen macht mit, damit es in der Zeitung steht. Es geht wirklich um die Unternehmenskultur. Das ist auch der Grund, warum VZ nicht so schnell wächst, wie manch anderes Projekt, das als Luftballon sehr schnell in die Höhe schießt, aber genauso schnell platzt.

Welche sozialen Innovationen sind in letzter Zeit entstanden?
Strasser: Da möchte ich vor allem zwei Mentoring-Programme nennen. In einem begleiten Führungskräfte junge Menschen, die schwierige Rahmenbedingungen haben. Ihnen wird beim Berufseinstieg geholfen. Diese jungen Menschen spüren, dass jemand an sie glaubt. Das kann dazu führen, dass sie sich um 180 Grad verändern. Das Projekt ist aus einem Engagementtag entstanden, wo Führungskräfte in einer Jugendeinrichtung Bewerbungstrainings gemacht haben. Ähnlich war es beim anderen Mentoring-Projekt: Als Führungskräfte aus Netzwerk-Unternehmen in Pension gingen, fragten sie mich, was sie Sinnvolles machen könnten. Gemeinsam mit dem Gründerzentrum „build“ haben wir dann diese Führungskräfte mit Start-Ups zusammengespannt. Das sind hochkarätige Leute, die viel Spaß daran haben, junge, innovative Menschen mit enormem Potenzial zu begleiten.

Dann gibt es noch das Projekt „Brückenschlag“ ...
Strasser: Das ist ein Weiterbildungsprogramm für Führungskräfte. Für Leute, die sonst ein Survival-Training machen oder den Jakobsweg gehen. Beim „Brückenschlag“ absolvieren sie eine Woche lang ein Praktikum in einer Sozialeinrichtung. Es geht darum, sich als Mensch einmal in einem ganz anderen Kontext wahrzunehmen. Zu fragen: Wer bin ich, wenn ich nicht in meiner gewohnten Rolle bin? Wie komme ich mit Neuem zurecht? Diese Woche wird gut vor- und nachbereitet. Umgekehrt können Führungskräfte von Sozialeinrichtungen in Unternehmen, in einer Bank, einem Produktionsbetrieb etc. eine Woche lang als „Praktikanten“ intensiv von den dortigen Managern lernen.

Leo XIII. hat die Gesellschaft verändert und aufgezeigt, was falsch läuft. Sie sehen beide Seiten: Unternehmen und Sozialorganisationen. Wo orten Sie heute die größten Aufgaben?
Strasser: Wir müssen uns die Frage stellen, wie unsere Sozialsysteme für die Zukunft gestaltet werden können. Ein Fortschreiben der bestehenden Situation ist weder leistbar, noch personell machbar. Für die großen Themen – Armut, Alter, Pflegebedarf, Integration – haben wir immer noch keine Lösungen. Papst Leo hat damals gesagt: Wir müssen alles ganz anders machen. Ich kenne viele Menschen, die bereit sind, ihre Rolle zu verlassen und ganz Neues anzugehen. So einen Anstoß braucht es auch. Ich denke, im Kleinen muss man anfangen – anstatt auf die großen Lösungen zu warten. Denn dann geht gar nichts weiter.

 

Zur Person:

Dr. Iris Straßer wurde 1967 geboren. Nach der Matura studierte sie in Graz Betriebswirtschaftslehre und war in der Folge als Unternehmensberaterin tätig. Im Jahr 2000 gründete sie gemeinsam mit ihrem Mann die „Straßer & Straßer Consulting GmbH“. Sie ist Initiatorin des Unternehmensnetzwerkes „Verantwortung zeigen“. Ehrenamtlich ist Straßer Präsidentin der Katholischen Aktion Kärnten. Sie ist verheiratet und Mutter dreier Kinder.

Papst-Leo-Preis: Mit dem Papst-Leo-Preis werden alle zwei Jahre Personen oder Institutionen geehrt, die sich um die Katholische Soziallehre durch Lehre und Publizistik, durch Umsetzung in Gesetzgebung, Projekten und Modellen sowie durch Akte sozialer Gerechtigkeit innerhalb Österreichs besonders verdient gemacht haben.