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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Wir alle sind gerufen

Bischof Bernhard Johannes Bahlmann im "Sonntags"-Gespräch

Der Nachbarbischof von Erwin Kräutler über lebendige Kirche, Priestermangel und Reifungsprozesse

Bischof Bernhard Johannes Bahlmann im SONNTAG-Gespräch - der brasilianische Nachbarbischof von Erwin Kräutler über lebendige Kirche, Priestermangel und Reifungsprozesse (© Foto: SONNTAG / Georg Haab)
Bischof Bernhard Johannes Bahlmann im SONNTAG-Gespräch - der brasilianische Nachbarbischof von Erwin Kräutler über lebendige Kirche, Priestermangel und Reifungsprozesse (© Foto: SONNTAG / Georg Haab)
 (© Foto: Haab)
(© Foto: Haab)

Als Deutscher, der seit 33 Jahren in Brasilien lebt: Was ist wichtig, um dieses riesige Land zu verstehen?
Bahlmann: Die Kultur ist ganz anders als in meiner Heimat, und in Brasilien selbst gibt es nochmals große Unterschiede, so dass man nicht von einer brasilianischen Kultur sprechen kann, sondern von vielen. Ich war 26 Jahre im Südosten, im Bereich São Paulo und Rio de Janeiro; wenn man dann ins Amazonasgebiet kommt, ist alles ganz anders.

Ihre Diözese ist halb so groß wie Deutschland, sie haben aber nur 29 Priester. Was bedeutet für Sie das Wort „Priestermangel“?
Bahlmann: Wie Kardinal Kasper gesagt hat: Die Zahl der Priester in Europa kommt jetzt so langsam auf das Niveau der Weltkirche. Priestermangel spüren wir in unserer Diözese, wenn 80 bis 90 Prozent unserer Gemeinden sonntags keine Eucharistie feiern können, die ja die Mitte der Kirche ist. Weil es aber immer wenig Priester gab, haben wir mehr Laien eingebunden, Gemeindevorsteher, die Wortgottesdienste feiern. Dennoch halte ich nicht den Priestermangel für das eigentliche Problem, sondern den Mangel von Strategie der Evangelisierung. Wir sehen viel zu sehr die Kirche von den Priestern und nicht von den Gemeinden her. Wir müssen unsere Kirche vom Gemeindeleben her strukturieren.  

Wie gestalten Sie die Seelsorge unter diesen Bedingungen?
Bahlmann: Unsere kleinste Pfarre umfasst 20 Gemeinden, die größte 150. Die Grundfrage ist: Wie können wir so evangelisieren, dass in unseren Gemeinden das kirchliche Leben lebendig bleibt? Dass Liturgie da ist, Katechese, Gemeinschaft, Caritas, dass wir unseren Sendungsauftrag garantieren können? Da ist vieles, das nicht an den Priester gebunden ist. Es braucht also das Engagement der Laien in Zusammenarbeit mit der ganzen Pfarre, dem Pfarrgemeinderat, dem Priester und seinem Team und den verschiedenen Gremien. Ich glaube deshalb nicht, dass das Problem der Kirche der Priestermangel ist, sondern: Wie können wir in der heutigen Zeit Christus verkünden? Die Verkündigung läuft ja nicht nur über den Priester, sondern ebenso durch die Laien, wir sind ja alle gerufen! Aber das ist eine Änderung der Mentalität und auch eine Änderung des eigenen Verhaltens.

Ist das die gleiche Änderung, von der auch Papst Franziskus spricht?
Bahlmann: Papst Franziskus stärkt den Menschen und gibt Impulse, wie wir leben können. Wir sprechen oft von Reform der Kirche und schauen nach Rom, was der Papst macht. Aber die eigentliche Reform der Kirche geschieht nicht in Rom, sondern in den Ortskirchen und den Pfarrgemeinden. Das haben viele noch gar nicht verstanden: Wir sagen: „Da muss sich was ändern!“, aber fangen nicht mit uns selbst an.

„Wird dieser Papst die Kirche verändern?“: Das ist dann wohl die falsche Frage. Geht es nicht vielmehr darum, ob wir selbst uns engagieren?
Bahlmann: Papst Franziskus hat schon einige Dinge „ausgelagert“, also von Rom an die Bischofskonferenzen delegiert. Diese Dezentralisierung ist notwendig: Wie soll man, wenn man in Rom sitzt, verschiedene Probleme lösen? Ich laufe ja auch nicht ständig zu meiner Mutter zurück, damit sie alles für mich richtet. Der Papst fordert uns auf, dass wir gewisse Probleme in den Ortskirchen und auch in unserem eigenen Leben selbst lösen. Es geht um Mitdenken, um Partizipation und Eigeninitiative.

Wir messen Wachstum am wirtschaftlichen und technologischen Prozess, aber nicht am menschlichen. Da müssen wir uns neu orientieren.

Was heißt das konkret?
Bahlmann: Als ich vor sieben Jahren als Bischof an den Amazonas kam, musste ich mich fragen: Was soll ich hier konkret tun? Und dann wieder nicht ich, sondern das Kirchenvolk selbst? Welchen Prozess braucht es, dass die Menschen sagen: Wir machen uns auf zu einer Erneuerung? Und noch ein wichtiger Aspekt: Wir reden oft von Fortschritt und Entwicklung. Aber was meinen wir damit? Wir vergessen gerne, dass es um den Menschen geht. Wir messen Wachstum am wirtschaftlichen und technologischen Prozess, aber nicht am menschlichen. Haben wir einen Blick für das innere Wachstum der Menschen? Da müssen wir uns neu orientieren.

Was bedeutet das für das „Evangelisieren“, von dem Sie vorher gesprochen haben?
Bahlmann: Wir erwarten gerne, dass die Jugendlichen zu uns kommen, und binden das dann noch an den Gottesdienstbesuch an. Aber wir müssen schauen: Wie kann ich zu ihnen kommen? Welche neue Formen der Evangelisierung helfen uns dabei? Evangelisierung ist immer die Verkündigung Jesu Christi. Sie geschieht durch die normale Pfarrseelsorge, das kirchliche Leben. Aber auch durch neue Formen und Projekte, wie Jugendprojekte in einigen unseren Gemeinden, wo wir Informatikkurse anbieten und wo Musik unterrichtet wird. Auch über diese Schiene kann ich Jesus Christus verkündigen. Es geht darum, Beziehungen aufzubauen, Gemeinschaft zu werden. Dann kommen Menschen zu uns, dann können wir auch mit ihnen über Gott und Religion sprechen, über das Menschliche im Allgemeinen und natürlich auch über ihre Aufgabe innerhalb der Gesellschaft, ihre Rechte und Pflichten. Das ist auch ein Ort wo geistliche Berufungen wachsen können. Genauso haben wir andere neue Projekte begonnen wie  Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser, Projekt zur Wiederaufforstung des Regenwaldes, usw.: Wo Menschen in Not sind, eine Unterstützung brauchen, da müssen wir sein. Wichtig ist für mich dabei immer zu schauen, dass das, was wir initiieren, von anderen mitgetragen und dadurch nachhaltig wird, dass eine neue Mentalität, ein neues Verhalten, entsteht.

Olympia: Sehen Sie etwas Positives, das von den Spielen geblieben ist?
Bahlmann: Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich das überhaupt nicht verfolgt habe. Das ist irgendwie an uns vorbeigegangen, es war Zirkus für das Volk. Während der Spiele hat man das Budget für das Bildungswesen um 50 Prozent reduziert. Der Präsident hat ja übrigens bei der Eröffnungszeremonie nur einen Satz sagen können, weil er ausgebuht wurde, und zur Abschlussfeier ist er gar nicht mehr erschienen.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:

Bernhard Johannes Bahlmann OFM, geb. 1960 in Deutschland, Abschluss der Höheren Handelsschule, landwirtschaftliche Ausbildung und Agraringenieur-Studium. Die Begegnungen mit seinem damaligen Heimatpfarrer und jetzigen Bischof von Dresden-Meißen, Heinrich Timmerevers sowie dem Gründer der brasilianischen Anti-Drogen-Initiative Fazenda da Esperança, Franziskanerpater Hans Stapel, bewegten ihn zum Eintritt in die Ordensgemeinschaft der Franziskaner in Brasilien. 1997 zum Priester geweiht, wurde er 2009 zum Bischof von Óbidos im Norden Brasiliens ernannt und ist seit 2015 Vorsitzender der regionalen Bischofskonferenz Norte 2 mit 14 Diözesen.
Anfang September gab Bahlmann im Bildungshaus Sodalitas/Tainach Exerzitien für Priester und Diakone.