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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Wer sich auf Gott einlässt, beginnt eine Heilsgeschichte

Zisternzienser-Altabt Josef Hehenberger im "Sonntags"-Gespräch

Zisternzienser-Altabt Josef Hehenberger im "Sonntags"-Gespräch

Der Zisterzienser-Altabt Josef Hehenberger im SONNTAG-Gespräch über den Weg Gottes mit jedem Menschen und seinen Heilsweg, der Freiheit und Gerechtigkeit für alle bedeutet. (© Foto: SONNTAG / Georg Haab)
Der Zisterzienser-Altabt Josef Hehenberger im SONNTAG-Gespräch über den Weg Gottes mit jedem Menschen und seinen Heilsweg, der Freiheit und Gerechtigkeit für alle bedeutet. (© Foto: SONNTAG / Georg Haab)
P. Josef Hehenberger OCist bei seinem Besuch in Kärnten, im Hintergrund der Maria Saaler Dom (© Foto: Haab)
P. Josef Hehenberger OCist bei seinem Besuch in Kärnten, im Hintergrund der Maria Saaler Dom (© Foto: Haab)

Zisterzienser zeichnen sich durch die „stabilitas loci“, also die Gebundenheit an ein Kloster, aus. Wie sind Sie als Österreicher nach Brasilien gekommen?
Hehenberger: Das Stift Jequitiba ist das Missionskloster des Stiftes Schlierbach, 1939 ist es von Schlierbach aus aufgebaut worden. Um dafür zu sorgen, dass wir Missionare hatten, wurde das „Herz-Jesu-Kolleg“ eingerichtet und ein Kloster in Spring-Beng in den Vereinigten Staaten gegründet, um von dort Hilfe, auch wirtschaftliche, zu bekommen, damit Schlierbach, das ja ein armes Kloster ist, in der Mission eine Gemeinschaft aufbauen kann. Wir Zisterzienser denken „Mission“ nicht als Einzelne, sondern immer als Gemeinschaft.

„Mission“ und „missionieren“ haben heute oft einen negativen Beigeschmack. Was bedeutet das Wort für Sie als Gemeinschaft?
Hehenberger: Wie schon unser Gründer Benedikt sagte: Bete und arbeite. Das heißt: im Gebet die Wahrheit Gottes zu suchen und im Arbeiten zu zeigen, wie wir die Liebe in die Praxis umsetzen. Das ist missionarisches Leben. Dabei gehen wir sehr stark vom Gedanken der Heilsgeschichte aus.

Von der Heilsgeschichte ausgehen – was bedeutet das?
Hehenberger: Seit der großen Kirchenreform, die Leo XIII. begonnen hat, wo die soziale Frage in der Kirche aktuell wurde, seit der große Sozialenzyklika „Rerum novarum“ im Jahr 1891 spricht man von einer kirchlichen Soziallehre. Christus hat uns die Heilsgeschichte gebracht. Sie beginnt schon im Alten Testament. Für das Volk Israel beginnt sie in Ägypten, dort heißt es: Gott hat den Schrei der Menschen gehört. Er antwortet da-
rauf: Ich hörte und sah das Leiden des Volkes, und deswegen schicke ich euch eine Hilfe. Zuerst ist also das Leid, das Gott sieht: Jede Heilsgeschichte beginnt bei der Unheilsgeschichte, die von Gott erleuchtet wird. Diese Geschichte wiederholt sich dauernd, bis heute.

Sie wollen sagen: Mit jedem Menschen, mit jedem Volk geht Gott seine Heilsgeschichte?
Hehenberger: Ja. Die Heilsgeschichte, aber auch die Unheilsgeschichte wiederholt sich bis heute, weil der Mensch in seiner Freiheit noch nicht die ganze Liebe Gottes erkannt hat und auch diese große Freude nicht verkündet. Immer wieder sind das Leid, der Zank, der Krieg vorherrschend. Gott will uns da herausführen. In der Sprache des Alten Testamentes: Er führt sein Volk von Ägypten in die Wüste. Dort beginnen sie, ein neues Gottes- und Menschenbild zu bekommen: In der Wüste haben sie Gott und den Nächsten; alle anderen Vorteile, die sie in Ägypten hatten, fallen weg. Da beginnt die Neu-Organisation des Volkes Gottes. Das dritte ist die große Erfahrung am Sinai, wo sie die Zehn Gebote bekommen und sagen: Ja, wir werden das machen, wir wollen Gottes Volk sein. Damit beginnt der vierte Punkt: Warum tun wir das? Um das Gelobte Land zu erben. In der Sprache und Kultur der damaligen Nomaden wird das als ein Land mit Milch und Honig beschrieben, aber es bedeutet natürlich viel mehr.

Das Wort „Heilsgeschichte“ weist auch darauf hin, dass es nicht um einen Zustand geht, in dem man sich wohnlich einrichtet, sondern um einen Weg?
Hehenberger: Für den, der sich auf Gott einlässt, beginnt ein Weg, ein Prozess. Auch Jesus hat die genannten vier Punkte gelebt: In Betlehem, unter der Herrschaft der Römer und der Verfolgung des Herodes, hat er die Unterdrückung seiner Familie erlebt. Dann ist er nach Nazareth gegangen, dort ist er eigentlich in der Wüste gewesen, hat unter dem einfachen, kleinen Volk gelebt und all das, was das Volk erlebt, mitgetragen; auch die Gotteserfahrung hat er mit den Menschen geteilt. Dann ist er, mit 30 Jahren, nach Kafarnaum gegangen, wo er sich verpflichtet hat mit den Jüngern, wo Johannes ihn getauft hat. Und dann geht er von Kafarnaum nach Jerusalem, wo er die ganze Liebe zeigt, die er hat. Er verteidigt sich nicht, sondern schenkt sich in Liebe und aufersteht dann: Das ist das Gelobte Land, das wir erwarten.

Ora et labora heißt: im Gebet die Wahrheit Gottes suchen und im Arbeiten zeigen, wie wir die Liebe in die Praxis umsetzen.

Dieses Verständnis von Heilsgeschichte ist es, das auch Ihr Leben als Zisterzienser prägt?
Hehenberger: In diesem Sinne gestalten wir unser Leben. An erster Stelle steht das Hinhören: Wo ist eine Unterdrückung, wo ist der Schrei des Volkes? Als ich in Jequitiba war, habe ich das Volk unterdrückt gesehen und ohne Land, eine Fortsetzung der Sklaverei. Da haben wir begonnen, mit ihnen zu arbeiten. In Piaves z. B. haben wir geholfen, dass die Kleinbauern ihr Land nicht verloren haben, dass sie sich organisieren und aus ihrem Elend herauskommen. Wir haben mit Bibelrunden begonnen, in denen sie Christus mit seiner ganzen Kraft und seiner ganzen Liebe erfahren konnten. Es ging nicht darum, schnell etwas zu machen, sondern um eine prinzipielle Aufarbeitung, darum, dass etwas Dauerhaftes entsteht. Wir sind hinausgefahren zu den Leuten, haben Versammlungen gemacht, und der Großgrundbesitzer ist gekommen und hat uns gedroht, aber es war ein Erlösungsprozess, eine Heilsgeschichte für die Menschen. Und später haben sie das Land dann wirklich behalten können.

Wie nachhaltig sind solche Prozesse?
Hehenberger: Wenn ein unterdrücktes Volk sich langsam organisiert, ist das eine besondere, eine neue Situation, in der die Menschen noch viel Unterstützung brauchen, um nicht neuerlich in Zank und Streit zu fallen. In dieser Hinsicht hat Österreich eine lange Entwicklung hinter sich, in Brasilien aber ist noch sehr viel Macht bei der reichen Oberschicht konzentriert. Jetzt ist ihnen sogar ein Staatsstreich gelungen: Die gewählte Präsidentin, die von der Arbeiterpartei gestellt wurde, wurde abgesetzt. Der Oberschicht wurde die soziale Situation viel zu viel gefördert. Der vorherige Präsident Lula, ebenfalls von der Arbeiterpartei, hat ja 36 Millionen Armen den Aufstieg in den „Mittelstand“ ermöglicht. 1978 bis 1982 gab es eine Trockenheit. Durch diese Trockenheit sind zwischen einer und dreieinhalb Millionen Menschen gestorben, vor allem im armen Nordosten des Landes. 2010 bis 2015 war wieder eine große Trockenheit, vielleicht die größte, die es je gegeben hat. Aber diesmal gab es keine Todesopfer, weil die Regierung schon ein System aufgebaut hatte, den Armen wirklich unter die Arme zu greifen.

Davon hört man in unseren Medien wenig ...
Hehenberger: Dilma Rousseff wurde 2014 wiedergewählt. Die Fernsehorganisationen waren eigentlich gegen sie, sie haben berichtet, wie groß die Korruption sei – deshalb wurde sie abgewählt. Jetzt hat man entdeckt, dass der Präsident der Abgeordnetenkammer, der Rousseff schließlich gestürzt hat, 250 Abgeordneten Geld gezahlt hat, damit er gewählt wird ...

Um mich auf Gottes Heilsweg einzulassen, muss ich erst das Unheil, den „Schrei der Armen“, hören. Wie kann das gelingen? Scheint es nicht so, dass es uns in der „Festung Europa“ recht gut geht und wir die wirkliche Not nicht mehr sehen?
Hehenberger: In diesem Rahmen gibt es eine Situation, wo Gott nicht zum Zug kommt. Dort müssen wir einhaken. Das kann zunächst bei mir selbst beginnen: Was ist die Unheilsgeschichte meiner Familie? Von unserem Ort, unserer Stadt, unserer Diözese? Dass wir dem Kapitalismus verfallen sind, oder dass wir in allem Angst haben? Habt keine Furcht, hat Jesus gesagt. Jede Situation ist verschieden, aber bei uns ist die Situation vielleicht konkreter und dadurch leichter. Und mit Benedikt von Nursia: Bete und arbeite! Das heißt: Wir müssen schauen, dass wir eine gerechte Welt aufbauen mit der Möglichkeit, dass alle arbeiten können, dass die Ungleichheit in der Welt geändert wird. Papst Franziskus geht uns mit gutem Beispiel voran.

Interivew: Georg Haab

 

Zur Person:

P. Josef Hehenberger OCist, geb. 1940 in Strohheim/Oberösterreich, trat 1962 ins Zisterzienserstift Schlierbach ein. 1966 wechselte er ins Missionskloster seines Stiftes in Jequitiba/Brasilien. Wegen seines sozialen Engagements wurde er 1989 auf die Todesliste der Großgrundbesitzer gesetzt. 2004 bis 2014 war er Abt des Zisterzienserklosters Jequitiba. 2007 wurde ihm in Klagenfurt der Oscar-Romero-Preis der Katholischen Männerbewegung Österreichs verliehen. Im Juni 2016 besuchte er anlässlich seines Heimaturlaubes auch „Welthaus Klagenfurt“ und die Brasiliengruppe Maria Saal-Klagenfurt.

Siehe auch: Bericht des "Welthaus" zum Besuch von P. Josef Hehenberger