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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Wenn Glaube berauschend wird

Die Grazer Religionswissenschaftlerin im Sonntag-Gespräch zu Glaube und Ekstase

Die Grazer Religionswissenschaftlerin zur Unterscheidung von Ekstase und Rausch, von lebensfördernder und lebensbedrohlicher Entrückung und der Versuchung, das Böse mit Gewalt auszurotten

Die Grazer Religionswissenschaftlerin Theresia Heimerl im SONNTAG-Gespräch über Glaube und Ekstase (© Foto: Universität Graz)
Die Grazer Religionswissenschaftlerin Theresia Heimerl im SONNTAG-Gespräch über Glaube und Ekstase (© Foto: Universität Graz)
 (© Foto: Universität Graz)
(© Foto: Universität Graz)

Beim „Forum Junge Theologie“ haben Sie zum Thema Ekstase gesprochen. Was bedeutet für Sie Ekstase?

Heimerl: „Ekstase“ meint wörtlich Herausstehen oder Heraustreten. Das provoziert natürlich die Frage: Wer tritt aus was he-
raus? Da ist ganz interessant, dass wir schon in der Antike recht unterschiedliche Deutungen dieses alten Begriffes haben. In einem ganz profanen Kontext meint das Wort, dass jemand einfach das Alltägliche überschreitet, beim Hören von Musik oder von Dichtung; das kann aber auch negativ sein durch plötzliches Erschrecken, Angst oder Ekel. Was uns nähersteht, ist die Verwendung des Wortes im Zusammenhang mit der Begegnung mit Gott bzw. des zeitweiligen Eintritts Gottes in einen Menschen.

Suchen nicht auch Extremsportler eine Ekstase, die durch den Adrenalinkick ausgelöst wird? Was unterscheidet diese oder einen Heroinrausch von einer religiös verstandenen Ekstase?

Heimerl: Keine Frage, wir sprechen auch im sportlichen Bereich, bei musikalischen Events oder im Zusammenhang mit Suchtmitteln von Ekstase – aber ist das das Gleiche wie eine genuin religiöse Ekstase, wie wir sie im Christentum kennen? Um von religiöser Ekstase zu sprechen, muss gegeben sein, dass der- oder diejenige, der oder die diese Ekstase hat, dies selbst in einen religiösen Kontext einbettet: „Ich habe in diesem Zustand des Außer-mir-Seins eine Erfahrung Gottes oder des Göttlichen gemacht.“ 

Wenn ich es mit dem hl. Ignatius betrachte, von der Frucht her: Kann man da Unterscheidungen treffen?

Heimerl: Früchte erkennen bedeutet, dass man eine Lebensänderung infolge dieser religiösen Erfahrung erkennen könnte. Die Idealvorstellung im Christentum ist ja, und die Kirchengeschichte kennt genügend solcher Beispiele, dass Personen, die eine Erfahrung Gottes gemacht haben, wirklich sehr oft ihr Leben ganz radikal ändern und in den Dienst Gottes treten. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das für alle gilt. Wie man bei den Seherinnen und Sehern von Medjugorje sieht, treten nicht alle ins Kloster ein, sondern sie führen ein ganz bürgerliches Leben, sind verheiratet, so dass manche sagen: Das kann keine echte Ekstase gewesen sein, die leben ja so weltlich! Da bin ich eher vorsichtig.

Wenn heute jemand von Erscheinungen und Ekstasen spricht ... Kann man das glauben?

Heimerl: Das ist schwer zu beurteilen. Man kann die Werkzeuge anwenden, wie sie üblicherweise zum Einsatz kommen: neurologische Messungen, um zu prüfen, ob sich neurobiologisch etwas verändert. Wenn das nicht gegeben ist, ist es zumindest nur eine sehr moderate Ekstase, oder es wird wirklich nur etwas vorgespielt. Das ist schnell zu entlarven. Schwieriger wird es, wenn ich am Monitor sehen kann, dass sich wirklich etwas tut. Die Frage, ob da jemand jetzt wirklich Gott sieht oder ihn erlebt, ist damit nicht beantwortet. Wenn ich zum Alten Testament schaue: Dort ist die Möglichkeit der religiösen Ekstase als selbstverständlich vorausgesetzt, man gesteht sie auch Anhängern anderer Götter zu. Nur die Wirksamkeit spricht man ihnen ab. Lesen Sie einmal die Geschichte von Elija und den Baalspriestern, wie sie um ihren Altar tanzen. Sie tanzen sich in die Ekstase, sie ritzen sich, bis das Blut fließt, und geraten in Raserei. Sie sind klar in einer religiösen Ekstase. Elija erkennt das an, aber verspottet sie gleichzeitig, indem er sinngemäß sagt: Eure Götter gibt es offensichtlich nicht, denn es tut sich ja sonst nichts. Die Stelle lehrt uns, zwischen subjektiv erfahrener Ekstase und der Anerkennung dieser Erfahrung durch die religiöse Autorität zu unterscheiden.

Das große Happy-End wird es nach christlicher Vorstellung erst ganz am Ende der Zeiten geben.

Spannend ist auch die Fortsetzung der Geschichte: Elija bringt wie in religiöser Raserei die Baalspriester um – was wir schwerlich als Wirken Gottes verstehen – und erleidet daraufhin eine Existenzkrise, die erst mit der gänzlich sanften Gottesbegegnung am Horeb endet.

Heimerl: Das ist eine Frage von Religion und Gewalt. Das denken wir nicht so gerne, aber auch im Alten Testament und auch im Christentum gibt es diese religiösen Gewaltexzesse, dass jemand sich von Gott getragen fühlt im Abschlachten der Feinde. Das war schon auch eine Form religiöser Ekstase.

... die wir momentan eher dem IS zuschreiben.

Heimerl: Das Christentum hat sich davon seit einigen Jahrhunderten verabschiedet. Es wäre sicher interessant anzuschauen, was gerade junge Menschen an diesen radikalen muslimischen Gruppen so fasziniert: ob das vielleicht auch diese Möglichkeit einer sehr prärationalen ekstatischen Erfahrung im Zusammenhang mit Gewalt ist. Wir tun uns sehr schwer damit, religiöse Erfahrung und Gewalt zusammen zu denken, aber das gab es, und das gibt es nach wie vor.

In dem Maß, wie die Krisen in der Ukraine, in Syrien und im Irak Europa nahe kommen, ziehen sie die Menschen in ihren Bann. Das Böse hat eine Faszination, und auch die Bekämpfung des Bösen übt eine Faszination aus.

Heimerl: Die Versuchung ist ja nicht so sehr, dem Bösen zu erliegen, das man als solches deklariert. Die Versuchung ist eher, im Kampf für das Gute das Maß zu verlieren. Ich finde es ganz schwierig, das im konkreten zeitgeschichtlichen Kontext zu beantwortet. Außer natürlich, den Hilfsbedürftigen Hilfe zukommen zu lassen, das gilt immer, und ihnen Asyl gewähren. Meines Erachtens sind die, die dazu reden müssen, die religiösen Autoritäten in der eigenen Religion. Eine Gefahr ist, wenn Bischöfe und Theologen aus dem Christentum aufstehen und anderen sagen, was im Namen der Religion sein darf und was nicht. Das kann sehr schnell als Kolonialismus verstanden werden.

Wie verhält sich ein Christ gegenüber der Erfahrung des Bösen?

Heimerl: Wir leben nach dem Sündenfall: Wir können das Böse nicht abschaffen, wir müssen damit leben. Die Sündenfall-Geschichte in der Bibel sagt uns: Wenn ich die Freiheit zum Bösen habe, kann es passieren, dass ich diese Freiheit auch wahrnehme. Das ist sehr abstrakt, aber ich sehe nicht wirklich viele andere Erklärungsmodelle. Wir tun uns im Moment vielleicht auch so schwer mit dem rundherum wahrnehmbaren Bösen, weil wir uns seit Jahrzehnten eingeredet haben, es sei nach 1945 verschwunden, und die Menschen würden einfach immer besser werden. Dass das nicht so ist, dass selbst unter sehr guten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen, die wir ja in Österreich haben, die Versuchung zum Bösen da ist, macht uns hilflos.

Bleibt also wie im Film der ewige Kampf des Guten gegen das Böse?

Heimerl: Das wäre dualistisch, das ist das Christentum nicht. Der Dualismus wäre ein viel kohärenteres Welterklärungsmodell als unser strikter Monotheismus. Wir haben immer das Problem der Theodizee: Wenn Gott gut ist und nur Gutes schafft, woher kommt dann das Böse? Der Dualismus ist da viel einfacher, und es wundert mich immer wieder, dass sich der Monotheismus durchgesetzt hat. Das große Happy-End, wenn alles Böse besiegt ist, wird es nach christlicher Vorstellung erst ganz am Ende der Zeiten geben, und wir sollten nicht der Versuchung erliegen, es jetzt gleich herbeiführen zu wollen.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:

DDr. Theresia Heimerl, geb. 1971, studierte Deutsche und Klassische Philologie und Katholische Theologie in Graz und Würzburg. Seit 2003 ist sie außerordentliche Professorin für Religionswissenschaft an der Universität Graz; Forschungsschwerpunkte: Körper – Gender – Religion, Europäische Religionsgeschichte, Religion – Literatur – Film/TV.

Beim „Forum Junge Theologie“ der KPHE Kärnten im September 2014 zum Thema „Ekstase – religiöse Grenz- und Entgrenzungserfahrungen“ hielt Heimerl den Eröffnungsvortrag.