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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Wenn die Quelle in Gefahr ist auszutrocknen

Weihbischof Helmut Krätzl im Gespräch mit Hans Baumgartner über Messe, Liturgiereform und "Eucharistiemangel"

Früher habe er oft für sich alleine die Messe "gelesen", erzählt Weihbischof Helmut Krätzl. Dann kam die Liturgiereform. Und mit ihr wurde die Eucharistie zur Feier der ganzen Gemeinde. Heute warnt Krätzl vor einem wachsenden "Eucharistiemangel".

Der Wiener Weihbischof Helmut Krätzl im SONNTAG-Gespräch mit Hans Baumgartner über Messe, Liturgiereform und “Eucharistiemangel“ (© Foto: kathpress / Rupprecht)
Der Wiener Weihbischof Helmut Krätzl im SONNTAG-Gespräch mit Hans Baumgartner über Messe, Liturgiereform und “Eucharistiemangel“ (© Foto: kathpress / Rupprecht)
 (© Foto: kathpress/Rupprecht)
(© Foto: kathpress/Rupprecht)

In wenigen Tagen feiern Sie Ihr 60-jähriges Priesterjubiläum. Und als „Jubiläumsgabe“ schrieben Sie ein Buch über die Eucharistie – in dem Sie noch dazu kein „heißes Eisen“ auslassen. Warum?

Krätzl: Weil die Eucharistie mich seit meiner Frühkommunion immer bewegt, berührt und fasziniert hat. Sie war ein wesentliches Motiv, Priester zu werden, und mit ihr habe ich nach dem Konzil die Kirche neu sehen gelernt. Heute stehe ich mehr denn je staunend vor dieser innersten Begegnung mit Jesus, von der er selber sagt: „Wer von diesem Brot isst …, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm.“ Im Mahl ist er uns ganz nahe. Deshalb ist es mir so wichtig, die im katholischen Bereich zu wenig beachtete wirkliche Teilhabe am Mahl immer wieder herauszuheben.

In Ihrem Buch schildern Sie berührend, wie Sie in Ihrer Gemeinde das erste Mal – mit dem Gesicht zum Volk – die erneuerte Messe gefeiert haben. Was war daran so bedeutend?

Krätzl: Weil es hier nicht bloß um eine neue Form geht, sondern im erneuerten Messritus drückt sich ein neues Kirchenbild aus – nicht irgendeines, sondern das vom II. Vatikanischen Konzil aus vielen Möglichkeiten, Kirche zu beschreiben, ganz bewusst gewählte Bild vom „Volk Gottes“. Die Gemeinschaft aller Getauften – das ist Kirche. Und deshalb ist die Eucharistie nicht mehr wie früher eine reine „Priesterliturgie“, die man auch ohne Volk feiern konnte, ganz im Sinne einer fast ausschließlich hierarchisch gesehenen Kirche; Eucharistie im Sinne des Konzils, das ist die Versammlung des Gottesvolkes um den Tisch des Herrn, Quelle und Höhepunkt des Lebens der Gemeinde, die ihre Nöte, Sorgen, Hoffnungen und Freuden teilt. Die Erneuerung der Kirche und die Erneuerung der Liturgie sind untrennbar miteinander verbunden.

Sie sagen, Eucharistie ist das Zentrum der christlichen Gemeinde. Aber was ist, wenn Gemeinden immer seltener Eucharistie feiern können, weil kein Priester da ist?

Krätzl: Eucharistie ist von Anfang an der Ort, wo Christus seine Jüngerinnen und Jünger zur Kirche versammelt, im Teilen seines Wortes und seines Brotes und in der konkreten Sorge füreinander – siehe Apostelgeschichte. Und deshalb sollte in der Regel der Ort der Eucharistie auch der Ort sein, wo die Menschen das Leben miteinander teilen. Ich halte daher nichts davon, wenn Bischöfe ihren Gläubigen nahelegen, die Eucharistie am Sonntag sollte ihnen schon einige Kilometer Anfahrt wert sein. Wenn in Gemeinden nur mehr ab und zu Eucharistie gefeiert wird, so erzählte mir Bischof Kräutler eindrücklich, trocknet entweder das Bewusstsein für die Eucharistie aus – oder die Menschen gehen woanders hin, etwa zu den verschiedenen Pfingstkirchen. Früher sagte man: Die Evangelischen hätten das Wort und wir die Eucharistie; heute erlebe ich, dass in vielen evangelischen Kirchen am Sonntag das wieder entdeckte Abendmahl gefeiert wird, während wir Wortgottesdienste halten.

Was müsste also geschehen?

Krätzl: Mir fehlt in vielen Diskussionen um die Zukunft der Kirche der zentrale Aspekt, dass es keine Erneuerung der Kirche und keine Neuevangelisierung geben kann ohne Eucharistie. Wir können uns im Hinblick auf diözesane Reformprozesse einen ganzen Tag toll über neue Gemeindeentwicklungen unterhalten, ohne dass dabei ein Wort über die Eucharistie gesprochen wird. Und auf die Nachfrage, warum das so ist, höre ich, „weil diese Frage derzeit nicht lösbar ist“. Wir nehmen einen – zum Teil schon bedrohlichen – Eucharistiemangel hin, weil wir nicht bereit sind, die Zugänge zum Priesteramt zu verändern. Ich halte das für unverantwortlich. Wenn selbst der Papst sagt, der Zölibat sei veränderbar und die Bischöfe sollten ihm mutige Vorschläge machen, dann sollten wir endlich damit beginnen. Es gibt verschiedene gute Vorschläge für neue Zugänge zum Priesteramt, und ich bin überzeugt, wir werden viele neue Berufungen haben. Um der Eucharistie willen, die Quelle und Höhepunkt jeder kirchlichen Gemeinde ist, müssen wir neue Türen öffen – auch die des Zölibates!

Neue Türen öffnen: Das fordern sie auch im Hinblick auf die „ökumenische Gastfreundschaft“. Widersprechen Sie damit nicht der bisherigen Regel, zuerst die Einheit, dann das gemeinsame Mahl?

Krätzl: Ich habe erlebt, wie auf dem Konzil die ökumenischen Prinzipien, die Art, wie man einander sieht und einander begegnet, tiefgreifend erneuert wurden. Ich frage mich daher: Könnte man jetzt, nach 50 Jahren der Annährung, nicht umgekehrt sagen: Wenn wir den Tisch einander öffnen, würde uns das nicht in vielen anderen Fragen näherbringen? Noch dazu, wo doch eigentlich der Herr der Gastgeber ist, auf dessen Namen und in dessen Leib hinein wir alle getauft sind. Ich weiß, da gibt es eine Reihe theologischer Einwände, etwa in der Amtsfrage oder dem Verständnis, was bei der Wandlung geschieht. Aber können wir wirklich sagen, dass das evangelische Amt nicht doch mehr ist als eine bloße „Funktion“, oder dass im evangelischen Abendmahl nicht doch auch der Geist Gottes heilsam wirksam ist? Vielleicht wären wir anderen gegenüber großzügiger, wenn wir uns selber mehr öffnen würden für das unbegreiflliche Wunder, das uns Christus in der Eucharistie schenkt.

Ein Wunder, von dem wiederverheiratete Geschiedene offiziell nur träumen können …

Krätzl: Gerade weil ich seit früher Kinderheit die Eucharistie oftmals als einen besonderen Schatz erleben durfte, war es für mich immer wieder ein tiefer Schmerz, dass Gläubige trotz ernsten Bemühens auf Dauer von der engsten Gemeinschaft mit Christus ausgeschlossen sein sollen. Ich war daher froh, als Anfang der 70er-Jahre Theologen wie Joseph Ratzinger u. a. gute pastorale Lösungen für den Einzelfall aufzeigten, ohne die Unauflöslichkeit der Ehe prinzipiell in Frage zu stellen. 

Nun steht diese Frage bei den Bischofssynoden 2014 und 2015 erneut zur Debatte. Wird es eine Änderung geben?

Krätzl: Ich bin da eher skeptisch. Zwar hat der Papst Kardinal Kasper eingeladen, sein Konzept für eine Sakramentenzulassung im Einzelfall dem Kardinalskollegium zu präsentieren. Aber es hat sich um den Chef der Glaubenskongregation, Kardinal Müller, auch ein harter Kern der Gegner gebildet. Zwar hat der Papst in Evangelii gaudium ausdrücklich betont, die Sakramente sind keine Disziplinierungsmittel, sondern Mittel des Heils, und die Kirche keine Zollstation – aber die Frage ist: Wer setzt sich durch? Bisher waren die Bischofssynoden wenig erfolgreich. Das gilt auch für die Familiensynode von 1980 und ihr Anliegen, die Sakramentenfrage für Geschiedene unter dem Aspekt der Barmherzigkeit und der Praxis der Ostkirchen weiter zu behandeln. Im Papstschreiben (Familiaris consortio) wird das Verbot bekräftigt. 

Was wünschen Sie sich zu Ihrem 60-jährigen Priesterjubiläum?

Krätzl: Dass die Kirche im Geist und in den Vorgaben des II. Vatikanischen Konzils weiter- und vorangeht. Und meine Hoffnung ist der neue Papst Franziskus; er ist für mich nach Johannes XXIII. und Paul VI. der dritte „Konzilspapst“, der offenbar willens ist, viele liegen gelasse Reformansätze des Konzils wieder aufzugreifen, wie die Stärkung der Kollegialität, die Aufwertung der Bischofssynoden und der Bischofskonferenzen oder eine Konzentration der Verkündigung auf die zentrale Glaubensbotschaft anstatt randständiger Sexualfragen. Ich freue mich, dass ich diesen Papst noch erleben durfte und wünsche mir, dass viele ihn dabei unterstützen.


Buchtipp:

Helmut Krätzl. Brot des Lebens.
Mein Weg mit der Eucharistie. Tyrolia 2014, 176 Seiten, € 19,95. Ein Buch, das neben viel Information vor allem eines kann: Sehnsucht zu wecken nach der Christusbegegnung.

Zur Person:

Dr. Helmut Krätzl wurde am 29. Juni vor 60 Jahren zum Priester geweiht. Als das II. Vatikanische Konzil über die Erneuerung der Liturgie verhandelte (1962/63), war er in Rom als Konzilsstenograf tätig. 1977 wurde er Weihbischof in Wien. Der Erneuerung der Kirche im Geist und in den Vorgaben des Konzils gilt sein besonderes Engagement – auch nach seiner Emeritierung als Weihbischof.