Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Weihnachten als Flüchtling

Syrische Christen im Gespräch mit Georg Haab

Zwischen alter und neuer Heimat, zwischen Hoffnung und Verzweiflung berichten aus Syrien geflüchtete Christen, wie Advent und Weihnachten bei ihnen gefeiert werden.

Zwischen alter und neuer Heimat, zwischen Hoffnung und Verzweiflung berichten aus Syrien geflüchtete Christen im SONNTAG-Interview, wie Advent und Weihnachten bei ihnen gefeiert werden. (© Foto: SONNTAG / Georg Haab / privat)
Zwischen alter und neuer Heimat, zwischen Hoffnung und Verzweiflung berichten aus Syrien geflüchtete Christen im SONNTAG-Interview, wie Advent und Weihnachten bei ihnen gefeiert werden. (© Foto: SONNTAG / Georg Haab / privat)
 (© Foto: Haab; privat)
(© Foto: Haab; privat)

Aus welcher Region Syriens kommen Sie?
Fadel: Unser Dorf liegt im nördlichen Syrien. Es ist das schönste Dorf der Welt, bei uns wachsen Weintrauben, Oliven und Mandeln. Im Winter kann es kalt sein, auch unter dem Gefrierpunkt, aber Schnee haben wir nicht jedes Jahr. Nebel haben wir dagegen oft, ein oder zwei Monate lang, und es kann auch sehr windig sein. Es gibt drei alte Kirchen, zwei katholische und eine orthodoxe. Das Dorf hat sechs- oder siebentausend Einwohner, die Mehrheit davon sind Christen, es gibt nur fünf bis zehn Prozent Moslems. Die Frauen tragen keine Schleier, sondern sind westlich gekleidet.

Weshalb haben Sie die gefährliche Flucht auf sich genommen?
Ibrahim: Mark und ich wollten nicht zur Armee gehen, um nicht Menschen töten zu müssen. Deshalb konnten wir nicht bleiben. Besonders als Christen sind wir in ständiger Gefahr, vom IS gekidnappt zu werden. Viele Menschen aus unserem Dorf sind schon vor Jahren nach Nord- oder Südamerika ausgewandert und haben sich dort ein gutes Leben aufgebaut: Das macht Kidnappern Hoffnung, viel Lösegeld erpressen zu können.
Fadel: Es ist Krieg. Ich habe fünf Jahre darauf gewartet, dass der Krieg zu Ende geht, aber er wurde immer stärker. Fünf Jahre hörten wir Schüsse und Bomben, jeden Tag, zu jeder Tageszeit, mal näher, mal weiter weg. Kein Strom, kein Wasser, kein Kraftstoff. In der Schule gibt es Waffen, im Krankenhaus gibt es Waffen. Die Menschen bedrohen einander damit. Der Dümmste weiß, wie er jetzt schnell reich werden kann: mit einer Waffe in der Hand.

Wir stehen mitten in der Vorbereitung auf Weihnachten. Wie sieht das in Ihrer Heimat aus?
Mark: Weihnachten und Ostern sind unsere größten Feste. Wir bereiten uns durch ein vierzigtägiges Fasten darauf vor, auf Weihnachten wie auf Ostern. Die letzten neun Tage vor Weihnachten gehen wir jeden Tag zur Messe, die eine Marienmesse ist, der Pfarrer trägt ein blaues Messgewand.
Fadel: Ein erster Höhepunkt ist das Fest der hl. Barbara am 4. Dezember. Da gibt es ein besonderes Essen aus gekochtem Mais und Weizen, schön dekoriert mit Nougat, Bonbons und bunter Schokolade.

Wir wollten nicht zur Armee
gehen, um nicht Menschen töten zu
müssen.

Wie feiern Sie Weihnachten?
Mark: Vor dem Christtag richten wir am Dorfplatz einen Christbaum her, sieben oder acht Meter hoch. Auch jedes Haus hat seinen Christbaum, der mit Lichtern geschmückt wird.
Ibrahim: Am Christtag um Mitternacht sind wir in die Kirche gegangen – früher, jetzt im Krieg ist das zu gefährlich, jetzt ist die Messe erst um 8 Uhr. Es waren immer sehr viele Menschen da, der Chor sang, die Musikkapelle spielte, und nach der Messe gingen wir in einer Prozession rund um die Kirche. Das Opfer wurde für die Armen der Pfarre gesammelt.
Fadel: Zwischen 7 bis 10 Uhr ging man wieder in die Kirche, und danach feierten wir zusammen: Zuerst besucht man seine Eltern, trinkt dort einen Kaffee, isst süßes Gebäck und feiert gemeinsam, dann geht man zu den Verwandten, und schließlich zu den Freunden und Bekannten. Auch ein Schnaps kann dazugehören. Man bleibt heute nicht mehr sehr lange, nur fünf bis zehn Minuten, um sich frohe Weihnachten zu wünschen. Früher hat man für alle Besuche schon auch mal zwei Tage gebraucht.

Pflegt man noch andere Bräuche?
Ibrahim: Zwischen Weihnachten und Neujahr geht „Papa Noel“ herum und bringt den Kindern in der Nacht Geschenke.
Fadel: Am Silvestertag nachmittags feiern wir Karneval. Zwei, drei Stunden lang gehen die Menschen verkleidet auf die Straße, es ist ein wenig wie der Karneval hier in Villach, mit Leilei und Blabla. Das gibt es noch nicht so lange, aber es wurde jedes Jahr beliebter. Ganze Gruppen gehen in der gleichen Verkleidung, z. B. als Mickey-Mouse oder als Diebe, oder sie tragen die Mütze des „Papa Noel“. Um Mitternacht fahren die Menschen mit den Autos durchs Dorf und hupen, danach sitzt man wieder zusammen und feiert.

Sie feiern Weihnachten am 25. Dezember, die orthodoxen Christen im Dorf am 6. Jänner?
Fadel: Nein, Weihnachten feiern wir mit ihnen zusammen, nur an Ostern sind wir verschieden. Durch die unterschiedliche Berechnung des Ostertermins feiern wir einmal in fünf Jahren zusammen, dazwischen kann es bis zu fünf Wochen auseinander liegen.
Ibrahim: Früher haben wir auch Weihnachten getrennt gefeiert, aber seit einiger Zeit feiern wir gemeinsam. Es wäre schön, wenn wir auch Ostern wieder zusammen feiern könnten. Aber da halten noch beide an ihrem eigenen Termin fest.

Jesus hat Aramäisch gesprochen. Gibt es in Syrien Orte, wo man diese Sprache noch heute spricht?
Fadel: Ja, einige Dörfer, und in der Kirche wird Aramäisch gesprochen und gesungen. Die Kirche lehrt die Kinder auch wieder Aramäisch.
Ibrahim: Jeden Samstag kommen die Kinder von sechs bis 18 Jahren eine Stunde in die Kirche zum Religionsunterricht. Jeden Samstag gibt es ein anderes Thema: Jesus, die Feste, der Glaube. Und auch Weihnachten feiern die Kinder in der Kirche. Am 28. Dezember, dem Fest der Unschuldigen Kinder, gibt es in der Kirche eine große Party, wo gesungen und getanzt wird, bis in die Nacht hinein, und es Geschenke gibt.

 

Das Interview wird durch den Briefträger unterbrochen. Er bringt die Asylbescheide. Während Ibrahim und Mark einen positiven Bescheid erhalten, wird der Asylantrag von Fadel abgelehnt, weil er keine persönliche Bedrohung nachgewiesen hat. Das bedeutet zwar nicht seine sofortige Abschiebung, aber er hat keine Möglichkeit mehr, seine Familie nachzuholen. Um sie wiederzufinden, muss Fadel zurück ins Kriegsgebiet.

 

Zur Person:

Fadel, Ibrahim und Mark sind drei syrische Christen, die letztes Jahr aus dem Kriegsgebiet nach Österreich geflüchtet sind, um hier Frieden und Sicherheit zu finden. Mit Stolz und Wehmut zeigen sie Fotos aus ihrer Heimat, von ihrem Haus und von der Kirche, von privaten und kirchlichen Festen, vom Besuch des Bischofs in ihrer Pfarre. In Kärnten sind sie schon pfarrlich integriert und sprechen mittlerweile so gut Deutsch, dass das Interview in deutscher Sprache geführt werden konnte.