Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Und das Wort ist Fleisch geworden

Der Salzburger Theologe Peter Hofrichter zu den Rätseln der Bibel und Missverständnissen beim Weihnachtsevangelium

Der Salzburger Patrologe und Kirchenhistoriker Peter Hofrichter zu den Rätseln der Bibel und Missverständnissen beim Weihnachtsevangelium

Der Salzburger Patrologe und Kirchenhistoriker Peter Hofrichter zu den Rätseln der Bibel und Missverständnissen beim Weihnachtsevangelium
Der Salzburger Patrologe und Kirchenhistoriker Peter Hofrichter zu den Rätseln der Bibel und Missverständnissen beim Weihnachtsevangelium
 (© Foto: Haab)
(© Foto: Haab)

Sie haben im November in Tainach über das „Rätsel des Johannes-Evangeliums“ gesprochen. Können Sie das „Rätsel“ ein wenig erläutern?

Hofrichter: Das hat mehrere Gründe. Da sind zum einen die Rätselreden Jesu im Johannes-Evangelium. Jesus provoziert, indem er in Rätseln spricht, die die Menschen geärgert haben. Manchmal kann er sich der Wut der Menge nur mit Mühe entziehen. Warum macht er das? Wir würden uns einen Jesus wünschen, der die Menschen dort abholt, wo sie sind, der mit allen freundlich redet. Das tut er nicht; er weckt durch die Rätselreden Neugierde, aber auch Befremden. Es gibt Menschen, die darauf so reagieren, wie es auch die drei anderen Evangelien beschreiben, und sich abwenden: „Den Weisen und Klugen hast du es verborgen“, die Kleinen sind es, denen sich Gott offenbart. Die Intelligenten haben sich sicher abgewendet, wenn Jesus gesagt hat: „Wer nicht noch einmal geboren wird, kann nicht in das Himmelreich eingehen“, oder: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt ...“. Das waren ja alles anstößige Aussagen!

Das Johannes-Evangelium beeindruckt durch ganz einfache Sprache und doch hochphilosophische Inhalte. Es ist nicht so einfach, wie es scheint. 

Hofrichter: Ja, man versteht es erst im Nachhinein. Nehmen Sie das Tempelwort: „Reißt diesen Tempel nieder, ich werde ihn in drei Tagen wieder aufbauen!“ Das konnten die Jünger erst nach der Auferstehung verstehen. Jesus reißt etwas auf, und nur die, die ihm treu bleiben, verstehen später den Sinn. Die Weisen und Klugen haben sich abgewandt. Aber wer die Spannung des Nicht-Verstehens ausgehalten hat, dem hat sich der Sinn irgendwann eröffnet. 

Wenn die Menschen Jesus nicht wegen der Worte gefolgt sind: Was hat sie dann so an ihm fasziniert?

Hofrichter: Petrus hat seine Faszination mit diesen Worten ausdrückt: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens!“ Dazu gehören auch die Wunder und Zeichen, die er getan hat, und sein persönliches Charisma. Das hat die beeindruckt, die offen waren in ihrem Herzen. Auch das ist eines der Rätsel dieses Evangeliums: Ich gehe davon aus, dass das Johannes-Evangelium viel näher am historischen Jesus ist als die anderen drei: Diese sammeln und verarbeiten Informationen aus zweiter und dritter Hand, während das Johannes-Evangelium vielleicht doch in seinem Kernbestand älter ist als die drei anderen und vielleicht viel näher am historischen Jesus, auch wenn nachträglich noch Textteile vertauscht oder eingefügt wurden.

Es verwundert immer wieder, welche Details bei Johannes erwähnt werden ...

Hofrichter: Das Johannes-Evangelium hat die besten geographischen und chronologischen Informationen. Auch die Osterchronologie des Johannes-Evangeliums ist die einzig zuverlässige: Der Rüsttag war eben Rüsttag für das Osterfest, und Jesus ist am Rüsttag hingerichtet worden, nicht am Festtag. Eine Kreuzigung oder ein Begräbnis am Festtag wäre ja eine Schändung des Festes gewesen. Die Anschlussfrage ist dann, ob das Letzte Abendmahl ein Pascha-Mahl gewesen ist, denn es war dann ja einen Tag früher. Der, der es geschrieben hat, muss jemand gewesen sein, der die griechische Sprache perfekt beherrscht hat: Es ist das Evangelium mit dem besten Griechisch. Das ist einem Fischer vom See Genesareth schwer zuzutrauen. Aber dennoch könnte seine Autorität dahinter stehen. 

Am Christtag wird als Evangelium der Prolog des Johannes-Evangeliums gelesen. Sie vertreten zu diesem Text eine eigene Theorie ... 

Hofrichter: Der sogenannte Johannes-Prolog hat den Hintergrund der hellenistischen Philosophie, der aber vom Evangelisten bewusst verlassen wird: Der „Logos“, das fleischgewordene Wort, kommt nur im Prolog vor, der am Weihnachtsfest als Evangelium gelesen wird, im übrigen Evangelium nicht mehr – dort ist das Wort das von Jesus gesprochene Offenbarungs-Wort, das er vom Vater hört und zu den Menschen spricht. Deshalb sage ich: Wenn der Text sagt „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott“, dann will der Evangelist das nicht auf Jesus als das Wort Gottes vor der Erschaffung der Welt beziehen, sondern auf den Anfang der Offenbarung des menschgewordenen Gottes, auf den Anfang seines irdischen Wirkens. So heißt es etwa in Bezug auf die Hochzeit zu Kana: „Damit machte Jesus den ‚Anfang‘ seiner Zeichen”.

Das Johannes-Evangelium ist vielleicht viel näher am historischen Jesus als die drei anderen Evangelien.

Können Sie das noch ein wenig näher erläutern?

Hofrichter: Der Gott, bei dem im Anfang das Wort war, ist eben Jesus selbst. In ihm erkennen wir den Vater. Er ist es ja auch, zu dem Thomas nach der Auferstehung sagt: „Mein Herr und mein Gott!“ Nicht irgendein göttliches Wesen, sondern Gott selbst. Jesus ist Gott selbst, der menschgewordene Gott. 

Damit sind wir mitten im Weihnachtsgeheimnis.

Hofrichter: Genau: In Jesus ist wirklich Gott Mensch geworden. Gott hat den Himmelsthron verlassen und muss wandern auf der Straßen, heißt es in einem Weihnachtslied. Und damit sind wir bei einem weiteren Rätsel des Johannes-Evangeliums: Ich bin der Meinung, dass es ursprünglich eine Antwort auf die Irrlehre der so genannten Gnostiker ist, der Esoteriker der christlichen Frühzeit, die den Prolog phantastisch ausgelegt und kräftig missbraucht haben. Um diesem Wildwuchs zu begegnen, ist vielleicht das Johannes-Evangelium geschrieben worden: als kirchliche Interpretation des ursprünglichen Bekenntnistextes. Wie es ja auch  am Schluss des Prologs heißt: „Und jener, der Gott gesehen hat, hat berichtet.“ Im griechischen Text steht nicht „berichtet“, sondern eigentlich „hat es ausgelegt“. Das ganze Johannes-Evangelium ist Auslegung des im Prolog zitierten Bekenntnisses.

Wir schreiben heute zuerst den Haupttext und am Ende das Vorwort dazu. Sie sagen: Hier war zuerst der Prolog, dann kam das Evangelium dazu?

Hofrichter: Ja. Weil das Bekenntnis von der Gnosis so missverstanden wurde, dass Jesus eben kein Mensch gewesen sei, wenn er nicht aus menschlicher Materie entstanden sei. Dass er irgendwie ein Geistwesen gewesen sei, nur scheinbar Mensch. Aber die wahre Aussage ist: Jesus ist eine neue Schöpfung. Das Lukas-Evangelium beschreibt es so, dass der Geist über Maria kommt.  Das ist der gleiche Geist, den wir aus der Schöpfungserzählung kennen. Dem entspricht bei Johannes: „Nicht aus Fleisch, nicht aus Blut, nicht aus dem Willen des Mannes geboren“: Das passt auf Jesus, das passt auf die Jungfrauengeburt. „Nicht aus Blut“: Blut ist die weibliche Zeugungsmaterie, und das stimmt mit der Tradition überein, dass Jesus von einer Jungfrau geboren wurde. Und Jungfrau hieß damals: eine junge Frau vor ihrer körperlichen Reife, vor ihrer ersten Blutung, selbst wenn sie schon verheiratet war. Die Geburt Jesu ist also ein doppeltes Wunder, denn Maria hatte nicht die biologischen Voraussetzungen, ein Kind zu empfangen.

Ihr Wunsch für unsere Leserinnen und Leser?

Hofrichter: Nach aller Feierfreude, Christmette, allen Besuchen und  Familien-Treffen gibt es vielleicht dann auch einmal eine stille Stunde. Setzen Sie sich zum Christbaum und lesen Sie das Johannesevangelim einfach vom Anfang bis zum Ende durch, wie man eben ein Buch liest. Viel Freude dabei!

 

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:

Univ.-Prof. i. R. DDr. Peter Hofrichter, geb. 1940 in Wien. Studium von klassischer Philologie, Germanistik und Geschichte sowie Theologie; 1985 Habilitation in Graz, dann Professor und später Vorstand des Instituts für Kirchengeschichte und Patrologie. Forschung zum Neuen Testament und zur Patristik und frühen Kirchengeschichte. Mitglied des Arbeitsausschusses von Pro Oriente-Salzburg.

Peter Hofrichter ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder.

Im November referierte er im Bildungshaus Tainach zum Thema „Das Rätsel des Johannes-Evangeliums“.