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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Syrien im Elend nicht vergessen!

Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler war in Syrien - ein Lokalaugenschein

Mit einer Delegation der Caritas besuchte der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler Syrien. Im SONNTAG berichtet er über seine Erfahrungen und die Lage nach Jahren des Krieges.

Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler war mit der Caritas in Syrien. Im SONNTAG-Gespräch berichtet er über das Elend, aber auch über Hilfsprojekte in diesem geplagten Land. (© Foto: waldner)
Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler war mit der Caritas in Syrien. Im SONNTAG-Gespräch berichtet er über das Elend, aber auch über Hilfsprojekte in diesem geplagten Land. (© Foto: waldner)
Wo man hinschaut: Bombenruinen. Die Zukunft Syriens ist ungewiss. (© Foto: glettler/waldner)
Wo man hinschaut: Bombenruinen. Die Zukunft Syriens ist ungewiss. (© Foto: glettler/waldner)

Was war Ihre Motivation, nach Syrien zu reisen?
Bischof Glettler: Syrien befindet sich im 8. Kriegsjahr! Der mehrmalige Einsatz von Chemiewaffen ist leider nicht das einzige himmelschreiende Verbrechen gegen die Menschlichkeit in diesem schrecklichen Krieg. Seit 2015 hat ein Moslem aus Damaskus, der für deutschsprachige Gruppen im Nahen Osten Kulturführungen organisiert hat, in meinem Pfarrhof in Graz gelebt. Wir wurden Freunde. Er hat mir viel von seiner wunderbaren Heimat erzählt. Zugleich habe ich seine Tränen und Wut erlebt, dass dieses Land konsequent vernichtet wird. Irgendwann wollte ich dieser gefühlten Ohnmacht etwas entgegen halten. Die Einladung zu einer Projektreise mit der Caritas habe ich sofort angenommen.

Was hat Sie am meisten bewegt?
Bischof Glettler: Vielleicht der irritierende Gegensatz von Elend auf der einen Seite und Wohlstand bei denen, die es sich trotz Krieg ganz gut richten konnten. Am stärksten sind die Bilder von den menschenleeren, komplett ausgebombten und niedergeschossenen Dörfern. Apokalyptische Eindrücke! Speziell in den Städten Aleppo und Homs, wo wir uns humanitäre Projekte angeschaut haben, sind ganze Stadtteile nur mehr Trümmerfelder, geisterhafte Ruinen. Diese Bilder sind schwer verdaulich. Aber ich habe auch deutlich Menschen vor Augen, die sich trotz allem mit einer unglaublichen Leidenschaft für die am stärksten Betroffenen einsetzen. Sie betreiben große Suppenküchen, versuchen, eine einfache medizinische Versorgung aufzubauen und sammeln traumatisierte Kinder und Jugendliche, um sie auf die Schule vorzubereiten.

Wie sehen Sie die Situation der Christen vor Ort?
Bischof Glettler: Die Christen sind zahlenmäßig fast aufgerieben. In Aleppo gibt es von den 130.000 Christen vor dem Krieg nur mehr 30.000. Die Gesamtbevölkerung hat sich in dieser Stadt von viereinhalb auf zwei Millionen verringert. Aber trotzdem spielen die Christen als Minderheit in diesem größtenteils muslimischen Land eine ganz wichtige vermittelnde Rolle. Das vor dem Krieg in Syrien selbstverständliche Vertrauen zwischen verschiedenen Ethnien und Religionen ist nachhaltig zerstört worden. Es muss trotz der spürbaren Resignation wieder aufgebaut werden. Ein beeindruckendes soziales Engagement zeichnet die meisten Kirchen aus. Sie bieten ihre humanitären Dienste allen an, Christen und Muslimen. Besonders stark haben wir in dieser Hinsicht das Engagement der Jesuiten (JRS) in Aleppo erlebt. Wir haben in mindestens zwei Kirchengemeinden auch eine bemerkenswert engagierte Jugend gesehen.

Wollen die Syrer überhaupt in ihrem Land bleiben?
Bischof Glettler: Wir haben von Vertretern aller christlichen Kirchen, besonders von den Bischöfen mehrmals und intensiv die Sorge gehört, dass ihre Gemeinschaften durch die Auswanderung ihrer Mitglieder ernsthaft bedroht sind. Getrieben von dieser verständlichen Angst, versuchen sie, mit allen Mitteln die christlichen Familien zu halten. Man unterstützt sie mit Lebensmittelspenden und Hilfestellungen zum notdürftigen Sanieren der beschädigten Wohnungen. Ganz intensiv ist in dieser Hinsicht das Engagement der kleinen Gemeinschaft der Franziskaner in Aleppo.

Kann es nach einem Ende des Krieges in Syrien zu einer Versöhnung kommen?
Bischof Glettler: Ob und wann es in Syrien zu einer umfassenden Versöhnung kommen kann, lässt sich nicht sagen. Leider gibt es die vielen externen Kriegsparteien, die nicht am Wohl der syrischen Bevölkerung interessiert sind. Beinhart wird über die Verteilung von Einfluss und Macht nach dem Krieg kalkuliert. Natürlich muss man alles daran setzen und vor allem auch für das Wunder der Versöhnung beten. Aber eine annähernd funktionierende Demokratie wird es in absehbarer Zeit wohl nicht geben. Eine gewisse Stabilität und auch ein gewisser Schutz der Christen vor einem gänzlichen Aufgerieben-Werden vielleicht schon. Notgedrungener Weise setzen viele ihre Resthoffnung auf Assad, weil die Gefahr der extremistischen Gruppen auch zu einer tödlichen Bedrohung für das Land wurde.

Was ist bei dieser „dämonischen Verwirrung“ die Rolle der Kirchen?
Bischof Glettler: Durch die unterschiedlichen Konfessionen – darunter sechs verschiedene „katholische“ Kirchen, die bis in die ersten Jahrhunderte des Christentums zurückreichen – gibt es eine Praxis des Zusammenlebens in Verschiedenheit. Das ist eine überlebensnotwendige Erfahrung, die für die gesamte Gesellschaft, wenn sie sich wieder aufrichten möchte, von entscheidender Bedeutung sein könnte. Die Christen des Nahen Osten erleben in diesen Jahren scheinbar endlose Karfreitage und Karsamstage. Die Vorsehung des lebendigen Gottes wird ihnen und dem ganzen Land hoffentlich auch wieder eine Zukunft schenken!

Ihr Appell an die Verantwortlichen  in Österreich?
Bischof Glettler: Wir dürfen Syrien – auch angesichts der verstörenden Bilder, die vielen schon unerträglich sind – im Elend nicht vergessen! Gerade in dieser kritischen Phase, wo sich für Syrien entscheidet, ob die Mehrheit der verbliebenen Bevölkerung noch an eine positive Zukunft glauben soll, sind finanzielle und logistische Hilfestellungen zur Unterstützung verlässlicher humanitärer Partner vor Ort ganz entscheidend. Von Seiten der Kirche darf ich neben den schon erwähnten Ordensgemeinschaften vor allem nochmals die Caritas nennen, die vom professionellen Engagement weniger Leute getragen wird. Wenn es gelingt, die in Syrien operativ tätigen Organisationen in ihrer Arbeit zu stützen und noch effektiver zu machen, kann dem ganzen Land eine kleine, aber reale Hoffnung geschenkt werden. Wichtig ist, jetzt nicht wegzuschauen, auch wenn es weh tut!