Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Syrien: Am schwersten sind Wunden an den Seelen und Herzen

P. Tony Calleja SJ im Gespräch mit Gerald Heschl

P. Tony Calleja SJ, Direktor der Flüchtlingshilfswerks der Jesuiten, über Hoffnungslosigkeit in Flüchtlingslagern, Hilfe im Kriegsgebiet und die Lage der Christen im Nahen Osten

P. Tony Calleja SJ, Direktor der Flüchtlingshilfswerks der Jesuiten, im SONNTAG-Interview über Hoffnungslosigkeit in Flüchtlingslagern, Hilfe im Kriegsgebiet und die Lage der Christen im Nahen Osten (© Foto: SONNTAG / Gerald Heschl)
P. Tony Calleja SJ, Direktor der Flüchtlingshilfswerks der Jesuiten, im SONNTAG-Interview über Hoffnungslosigkeit in Flüchtlingslagern, Hilfe im Kriegsgebiet und die Lage der Christen im Nahen Osten (© Foto: SONNTAG / Gerald Heschl)
 (© Foto: Gerald Heschl)
(© Foto: Gerald Heschl)

Sie sind Direktor des Flüchtlingshilfswerks der Jesuiten JRS für den Mittleren Osten. In welchen Ländern liegen Ihre Schwerpunkte?
Calleja: Wir arbeiten derzeit in fünf Ländern: Syrien, Irak, Libanon, Jordanien und in der Türkei. Unser Schwerpunkt in Syrien liegt derzeit in Damaskus und Umgebung, in Homs und rund um Aleppo.

Wie sieht diese Hilfe konkret aus?
Calleja: Mit Feldküchen sorgen wir dafür, dass Menschen zu Nahrung kommen. In Aleppo betreiben wir auch eine Klinik. Wir leisten dort vor allem Erstversorgung von Wunden, betreuen aber auch chronisch kranke Menschen, für die es in Kriegszeiten besonders schwierig ist, die notwendige Versorgung zu erhalten.

Wie kann man inmitten des Krieges arbeiten?
Calleja: Wir arbeiten in der Zone, die von der Regierung kontrolliert wird. So wurden wir bislang nicht so schwer getroffen. Wir sind aber dennoch ständig Bombardements ausgesetzt. Wir versuchen einfach weiterzumachen, bis es nicht mehr geht. Grundsätzlich stellt man sich hier den Krieg aber anders vor, als er in Wirklichkeit abläuft. Er ist zwar ständig präsent, aber Sie spüren ihn einmal mehr, einmal weniger und dann wieder überhaupt nicht. Man weiß, dass er zwei Straßen weiter tobt, man hört Schüsse oder Bombeneinschläge, kann aber eigentlich ganz normal arbeiten. Doch schon in der nächsten Stunde oder Minute kann es einen selbst treffen. Dieses Wissen um die ständige Bedrohung macht das Leben in einer Stadt im Krieg eigentlich unerträglich.

Wie geht es den Menschen, die in diesen Städten ausharren?
Calleja: Viele sind verletzt. Das ist schrecklich. Aber noch viel tiefer gehen die psychischen Verwundungen. Die Zerstörung der Seelen und Herzen. Die Leute können sich oft nur noch mit Hilfe von Drogen aufrechterhalten. Sie haben das Gefühl, dass dieser Krieg niemals aufhört und werden gleichgültig. Das ist gefährlich. Mit der Hoffnung stirbt nämlich auch die Chance auf eine Zukunft.

Darf man sich da noch wundern, wenn diese Menschen in der Flucht die einzige Zukunftshoffnung sehen?
Calleja: Absolut nicht. Aber so, wie die Situation derzeit ist, finden sich die meisten in Flüchtlingslagern im Libanon oder in der Türkei wieder. Auch da gibt es keine Chance auf eine positive Zukunft. Besonders schlimm ist es, wenn die Menschen nicht arbeiten dürfen.

Es ist traurig, dass in den Städten der allerersten christlichen Gemeinden bald keine Christen mehr leben könnten.

Sie selbst leben derzeit im Libanon und arbeiten in Flüchtlingslagern. Wie ist die Lage der Flüchtlinge im Libanon?
Calleja: Die größten Lager befinden sich in der Bekaa-Ebene. Dort ist es im Sommer trocken und heiß, im Winter hat es Minusgrade und kann sogar schneien. Dort ist die Situation der Menschen besonders schlimm.

Was tun Sie dort?
Calleja: Wir haben mitten in den größten Lagern sieben Schulen errichtet. Viele Kinder kommen zu uns, und das ist ein gutes und wichtiges Signal. Denn wenn die Kinder glücklich aus der Schule nach Hause kommen, fassen auch die Eltern wieder Mut. Das größte Pro-blem ist aber der Hunger. Wir geben den Kindern täglich eine Jause. Wir haben beobachtet, dass viele nur die Hälfte essen und die andere Hälfte ihrer Familie bringen. Daher geben wir jetzt auch immer etwas mit.

Wird diese furchtbare Situation noch lange dauern?
Calleja: Niemand kann sagen, wann der Krieg aufhört. Und selbst wenn dieser Konflikt gelöst wird, wissen wir nicht, wie es weitergeht. In Wahrheit findet man derzeit keine einzige Nachricht, die Hoffnung gibt.

Besonders verworren erscheint die politische Situation ...
Calleja: Hier sind so viele ausländische Mächte im Spiel, dass man eigentlich nicht weiß, wer oder was wirklich hinter diesem Krieg steckt. Man erkennt keinen Willen zum Frieden.

Welche Hilfe kann man angesichts dieser Hoffnungslosigkeit anbieten?
Calleja: Wir haben derzeit im Libanon und Irak Psychologen, Sozialarbeiter und Seelsorger, die sich um die psychischen Traumata kümmern. Wir können uns ja gar nicht vorstellen, welche grausamen Dinge diese Menschen erlebt haben. Sie sitzen in einem Warteraum und können weder weiter noch zurück. Je länger es dauert, umso verzweifelter werden sie. Diese Hoffnungslosigkeit schmerzt auch die Helfer ganz besonders.

Wenig hört man im Moment von Christen. Wie geht es ihnen?
Calleja: Die Lage der Christen ist alles andere als einfach. Politisch sitzen sie in einer Zwickmühle. Eigentlich haben sie mit Assad keine Freude. Aber was ist die Alternative? Jeder weiß, was die Truppen des IS oder von Al-Nusra mit Christen im Irak gemacht haben.

Wie sieht dann ihre Perspektive aus?
Calleja: Natürlich wollen die meisten bleiben. Viele hatten einen guten Job oder ein eigenes Geschäft.  Aber gerade unter den Jungen gilt:  Wer flüchten kann, geht. Im Grunde sind in den Gemeinden nur noch die Alten zurückgeblieben. Ob die Jungen zurückkommen, hängt zunächst davon ab, wer den Krieg gewinnt. Es ist wirklich traurig, dass in den Städten der allerersten christlichen Gemeinden bald keine Christen mehr leben könnten.

Hier in Europa wird derzeit am heftigsten über die Integration von Flüchtlingen diskutiert. Wie kann Integration gelingen?
Calleja: Es gibt vier zentrale Zugänge dafür: einmal die Sprache, dann Bildung,  Arbeit und eine gesundheitliche Versorgung. Mit diesen vier Voraussetzungen kann man hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Nur wenn man den Menschen eine Perspektive gibt, werden sie sich integrieren. Bei den Kindern gelingt Integration in der Schule am schnellsten. Es sollte eigentlich jedes Land schon aus eigenem Interesse die Integration von Flüchtlingen massiv fördern.

Sie kennen die Menschen, die nach Europa geflohen sind oder noch fliehen möchten. Sind darunter auch sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge?
Calleja: Niemand kommt nach Europa als Wirtschaftsflüchtling. Die Menschen leben ja schon immer in Syrien oder im Irak. Von da hätten sie längst hierherkommen können, wenn sie nur ein besseres Leben wollten. Nein, sie kommen jetzt, weil in ihrer Heimat Krieg ist. Diese Leute machten sich mit ihrer ganzen Familie auf einen enorm gefährlichen Weg. Das macht man nicht als Wirtschaftsflüchtling.

In Europa haben viele Menschen Angst ...
Calleja: Wovor denn? Vor einer Handvoll Terroristen? Glauben Sie mir, die würden auch ohne Flüchtlinge kommen. Die Ängste Europas erinnern mich an die Angst der Menschen im Mittelalter. Das ist ein massiver Rückschritt. Auch wenn Angst menschlich ist, so müssen Glaube und Hoffnung stärker sein. Wichtig sind Begegnungen mit Flüchtlingen. Das baut Ängste ab. 

 

Zur Person:

P. Tony Calleja SJ, 1950 auf der Insel Malta geboren, trat 1974 in den Jesuitenorden ein. 28 Jahre verbrachte er in Chile, wo er das Priesterseminar der Jesuiten leitete, Theologie lehrte und in der Sozialarbeit (v. a. Straßenkinder) sowie Erwachsenenbildung tätig war. Seit 2000 ist P. Calleja im „Jesuit Refugee Service“ (JRS, Flüchtlingshilfe der Jesuiten) aktiv. Vier Jahre verbrachte er in Flüchtlingslagern in Tansania, wo vor allem Menschen aus Burundi lebten. Sieben Jahre lang war er Leiter von JRS für die afrikanische Seenregion (Kongo, Ruanda, Burundi) tätig und seit drei Jahren ist P. Calleja für JRS im Mittleren Osten, seit Kurzem ist er Direktor des JRS im Libanon.