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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Stille Nacht: Das Weltfriedenslied

Josef Till zur Entstehungsgeschichte des berühmtesten Weihnachtsliedes

Zu Weihnachten 1818 erklang erstmals das Lied „Stille Nacht“ bei der Christmette. Es gab Hoffnung in einer Zeit der Not.

Die Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf (© Foto: Salzburger Land Tourismus)
Die Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf (© Foto: Salzburger Land Tourismus)

Als Europa nach den blutigen Kriegen, mit denen Napoleon den Kontinent überzogen hatte, neu geordnet wurde, entstand ein berührendes Weihnachtslied. Ausgerechnet in Salzburg, einem Land, das durch Napoleon in eine schwere Identitätskrise, in Not und Armut gestürzt war: Nach der Besetzung durch Bayern kam das ehemalige souveräne Fürsterzbistum zur Habsburgermonarchie. Das alles geschah im Jahr 1816.
Die Entstehung von „Stille Nacht“
Der Koadjutor Joseph Mohr (1792-1848), von 1815 bis 1817 in Maria-pfarr, schrieb den Text der Sehnsucht nach einem immerwährenden Frieden und einem Retter, der die Menschen in eine hoffnungsvolle Zeit geleiten sollte; er konnte nicht wissen, dass dieses schlichte Lied im 21. Jahrhundert zum „Immateriellen Kulturerbe Österreichs“ auserkoren werden würde. Dieses Gedicht trug er 1818, Mohr war inzwischen nach Oberndorf in den Flachgau versetzt worden, dem dort tätigen Lehrer Franz Gruber (1787-1863) vor und bat ihn, für die Mitternachtsmette eine passende Melodie zu komponieren.
Von „Stille Nacht“ gibt es zwei Dokumente, den ältesten erhaltenen Auto-grafen Joseph Mohrs von 1823, der in Salzburg 1995 entdeckt wurde und im dortigen Museum aufbewahrt wird, sowie die sog. „Authentische Veranlassung“ von Franz Gruber, aus der hervorgeht, wie „Stille Nacht“ entstand: Joseph Mohr verfasste den Text 1816 als Kaplan in Mariapfarr und bat 1818 Franz Gruber um den Entwurf einer Melodie. So wurde Joseph Mohr zum Dichter und Initiator des Liedes. Bei der Mitternachtsmette 1818 in Oberndorf sang er die Oberstimme und spielte die Gitarre, Franz Gruber sang die Unterstimme. Weshalb dieser nicht auf der Orgel spielen konnte, ist unklar und war Anlass für zahlreiche rührselige Geschichten.
Die Verbreitung von „Stille Nacht…“
Das Lied verbreitete der Zillertaler Orgelbaumeister Karl Mauracher (1789-1844). Als er die kaputte Orgel in der heute nicht mehr bestehenden St. Nikolauskirche in Oberndorf reparierte, hörte er das Lied. Schon 1819 brachte er „Stille Nacht“ bei der Mitternachtsmette in seinem Heimatort Fügen zur Aufführung.
Die Rainer-Sänger sangen es 1822 beim Besuch des Kaisers Franz I. von Österreich und des Zaren Alexander von Russland im Schloss Fügen. Das Lied gaben sie den Geschwistern Strasser weiter, die in Leipzig „Stille Nacht“ sangen, worauf es als „Tiroler Volkslied“ Eingang in die Bücher fand und Dichter Mohr sowie Komponist Gruber vollkommen vergessen wurden. Hinzu kamen zahlreiche Bauern und Handwerker aus Tirol, die als Gastarbeiter in Deutschland wirkten und werkten und dabei Volkslieder – darunter „Stille Nacht...“ – sangen. Als „Tiroler Nationalsänger“ traten sie in Europa und Nordamerika auf. Die Amerikaner nahmen an, dass das Lied „Silent Night“ ein amerikanisches Volkslied sei.
Erst das Ersuchen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) an das Stift St. Peter in Salzburg, eine Abschrift des Liedes zu bekommen, brachte Licht ins Dunkel. Er ging davon aus, dass Michael Haydn Komponist von „Stille Nacht…“ sei. Die Bitte des Königs war der Grund, warum der damals in Hallein lebende Lehrer Franz Gruber die oben genannte „Veranlassung“ zur Komposition von „Stille Nacht“ verfasste.
Die gegenwärtige „Gruber-Mohr-Gedächtniskapelle“ in Oberndorf, die das Erbe der Nikolauskirche antrat, ist heute eine Attraktion für Touristen. Die Glasfenster der Kapelle zeigen die Urheber des Liedes, in der Nische korrigiert ein Text die veralteten Angaben in den Glasfenstern.
Im Pfarrhof von Mariapfarr befindet sich das „Wallfahrts- und Stille-Nacht-Museum“ mit Dokumenten zu Joseph Mohr. Am Joseph Mohr- Platz steht seit 2011 der „Stille-Nacht-Brunnen“ mit der aus Bronze gefertigten Büste Joseph Mohrs. „Stille Nacht“ wird heute in mehr als 300 Sprachen und Dialekten gesungen. Die Originalfassung ist in D-Dur, einer besonders festlichen Tonart. Das Lied besitzt sechs Strophen; nur drei werden heute gesungen: die erste, zweite und sechste.
Das Gotteslob aus dem Jahre 2013 trägt insofern zur Verwirrung bei, weil es die sechste Strophe zur zweiten und die zweite Strophe zur dritten machte; was so der Intention Joseph Mohrs nicht entspricht. Auch wird Jesus durch Christ ersetzt.
In Oberndorf werden seit 2006 alle sechs Strophen gesungen, zunächst singen zwei Sänger die ersten zwei Strophen, dann folgen ein vierstimmiger Männerchor mit der 3. und 4. Strophe und alle Gottesdienstteilnehmer mit der 5. und 6. Strophe.
Die Nacht des Heiles
Die erste Strophe verweist auf jene, die die Geburt Jesu verschlafen und auf die Eltern, die sich um den holden Knaben im lockigen Haar kümmern. Da-rüber lacht der kleine Sohn Gottes, was als Zeichen göttlicher Liebe gedeutet wurde. Die Stille Nacht wird als Nacht des Heils bezeichnet, weil es in ihr zur Inkarnation kam. In der vierten Strophe verweist der Autor auf die Macht und die Liebe des göttlichen Vaters sowie darauf, dass Jesus zum Bruder der Menschen wurde. Die fünfte Strophe nennt Gott ein Wesen „der Schonung“ und nicht der Rache. Den Höhepunkt bildet die sechste Strophe, in der die Hirten und Engel verkünden, dass Jesus „der Retter“ gekommen ist.