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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Religionsunterricht: Kinder brauchen die richtigen Impulse

Der Aachener Religionspädagoge Rainer Oberthür im "Sonntag"-Interview

Der Aachener Religionspädagoge Rainer Oberthür hielt für die KPHE einen Studientag in St. Georgen/Längsee und sprach mit dem "Sonntag" über Theologie von, für und mit Kindern sowie konkrete Beispiele für den Religionsunterricht.

Der Aachener Religionspädagoge Rainer Oberthür hielt für die KPHE einen Studientag in St. Georgen/Längsee und sprach mit dem “Sonntag“ über Theologie von, für und mit Kindern sowie konkrete Beispiele für den Religionsunterricht. (© Foto: SONNTAG / Heschl)
Der Aachener Religionspädagoge Rainer Oberthür hielt für die KPHE einen Studientag in St. Georgen/Längsee und sprach mit dem “Sonntag“ über Theologie von, für und mit Kindern sowie konkrete Beispiele für den Religionsunterricht. (© Foto: SONNTAG / Heschl)
 (© Foto: Gerald Heschl)
(© Foto: Gerald Heschl)

Sie sprechen hier in St. Georgen zum Thema „So viele Fragen stellt das Leben – so viele Fragen stellen wir Gott. Theologisieren im Religionsunterricht“. Auch in Ihrem jüngsten Buch „Stell dir vor...“ stehen Fragen im Mittelpunkt. Sind Kinder überhaupt in der Lage, diese Fragestellungen zu erkennen?
Oberthür: Meine Grundüberzeugung ist, dass der Mensch die großen Fragen des Lebens von Beginn an – also schon als Kind – stellt. Kinder brauchen aber Hilfestellungen, um dieses Potenzial entwickeln zu können. Das ist anspruchsvoll. Wenn man sich als Religionslehrer darauf einlässt, ist das aber eine schöne Erfahrung. Wir hören immer wieder, dass Religion das Lieblingsfach von Kindern ist – mit der Begründung, weil sie so viel nachdenken können und selbstbewusster werden.

Mit Kindern über Gott reden ist nicht immer einfach. Wie kann das gelingen?
Oberthür: Bildlich gesprochen fühle ich mich nicht den Kindern gegenüber, sondern mit den Kindern als Fragesteller. In diesem Prozess helfe ich, die Fragen zu stellen, aber auch die Antworten zu suchen. Wir dürfen ja nicht bei den Fragen stehen bleiben, auch wenn sie einen Eigenwert an sich haben. Wir sollten den Kindern immer Antworten anbieten. Letztlich soll aber das Kind eine Antwort für sich finden. Letzten Endes stelle ich mir jede Bildung so vor. Nicht, dass die Kinder gebildet werden, sondern dass sie sich selbst bilden. Das steht schon auf einer anderen Basis als unser bisheriges Bildungsverständnis. Diese lange Tradition muss erst einmal aufbrechen.

Zu diesem Verständnis gehört auch mehr Freiraum im Unterricht. Ist das nicht eine große Herausforderung angesichts der Vorgaben für den Unterricht und die Inhaltsvermittlung?
Oberthür: Ich meine, wenn wir nicht im Religionsunterricht Zeit und Muße für diese Fragen haben, wo dann? Ich stehe für einen äußerst anspruchsvollen Religionsunterricht. Gerade deshalb müssen wir die Zeit für die großen Fragen aufbringen. Da ist es mir lieber, wir decken nicht alle Themen, die im Lehrplan stehen, ab. Dafür geht man bei den Themen, die Kinder beschäftigen, in die Tiefe. Man sollte ja an den Themen bestimmte Kompetenzen vermitteln. Das geht sicher besser, wenn ich bei einem Thema länger dranbleibe, als von einem zum anderen hetze. Ich finde, es gibt kein schrecklicheres Wort für den Unterricht, als den Ausdruck: Jetzt haben wir alles „durchgenommen“.

In Ihrem Vortrag sprechen Sie auch vom Theologisieren im Religionsunterricht. Wie kann man sich das vorstellen?
Oberthür: Grundsätzlich wird zwischen der Theologie der Kinder, der Theologie für Kinder und der Theologie mit Kindern unterschieden. Letztendlich muss man diese drei Ebenen gemeinsam sehen. Die Theologie der Kinder muss zunächst wahrgenommen werden. Dann bringe ich eine Theologie für Kinder ein. Das heißt, ich vereinfache, aber verfälsche nicht die Inhalte, um die es geht. Meine „Bibel für Kinder und alle im Haus“ bietet so eine Theologie für Kinder. Drittens treibe ich als inspirierender Gesprächspartner in diesem Prozess die Theologie mit Kindern voran. Das Ergebnis sind immer überraschende Einsichten.

Könnten Sie diesen Vorgang an einer konkreten Fragestellung darlegen?
Oberthür: Nehmen wir die Gottesfrage. Wenn ich Kinder auffordere, Gott zu malen, darf ich mich nicht wundern, wenn die Bilder nicht unserer komplexen Gottesvorstellung gerecht werden. Wenn ich ihnen Bilder zeige und sie frage: Suche dir ein Bild von Gott aus, dann ist das unzureichend, weil unter den Bildern ja kein Bild von Gott vorliegt. Wenn ich ihnen aber den Impuls gebe: Suche dir ein Bild aus, das für dich etwas von Gott zeigt und mit dem du den anderen etwas von Gott erzählen kannst, dann gehen sie ganz anders an dieses Thema heran.

Wie zum Beispiel?
Oberthür: Zum Bild einer Rose schrieb eine Schülerin: „Gott ist geschenkte Liebe. Er hat in sich Wege.“ Das war in einer zweiten Volksschulklasse. Im vierten Schuljahr geht das dann schon weiter: Zum Bild eines Fragezeichens schrieb das Kind: „Wir wissen nicht wirklich, wer Gott ist. Aber Gott weiß, wer wir sind.“ Besonders fasziniert hat mich, was ein Kind zum Bild eines Eimers mit Wasser geschrieben hat: „Gott ist ein Eimer, der die Traurigkeit aus der Glücklichkeit filtert. Er lässt nur einen Tropfen Traurigkeit durch, denn sonst wäre die Welt langweilig.“ Das ist eine sehr ungewöhnliche Perspektive auf die Theodizee-Frage. Wir können nur glücklich sein, wenn wir auch wissen, was Trauer ist. Da könnte ich noch viele Beispiele aufzeigen. Das ist für mich Theologie von, für und mit Kindern.

Das ist faszinierend. Wie kommen Kinder auf solche Antworten?
Oberthür: Ich muss gestehen, dass ich ihnen vorher einen Satz aus dem mittelalterlichen „Buch der Philosophen“ zum Nachdenken gegeben habe. Dieser lautet: „Gott ist die unendliche Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren Umfang nirgends ist.“ Die Kinder haben sich zunächst überhaupt nicht ausgekannt. Aber schließlich fanden sie ihre eigenen Auslegungen dazu. Darauf aufbauend habe ich ihnen Bilder gegeben mit der Aufforderung, sie sollten dazu einen Satz formulieren, der genauso ungewöhnlich ist. So kamen die obigen Zitate zustande.

Das war die Vorbereitung. Wie sieht die Nacharbeit aus?
Oberthür: Zunächst ist man erstaunt. Dieses Erstaunen soll man positiv rückspiegeln. Dann merkt das Kind, dass man es ernst nimmt und sein Satz nicht einfach eine Spielerei ist. Wichtig sind mir dabei Haltung, Inhalt und Methode. Letztendlich ist aber die Haltung fast das Wichtigste. Die Kinder sollen an mir erkennen, wie religiöses Lernen geht, indem ich mit ihnen lerne. Aber natürlich brauchen wir Methoden, die dem entsprechen und die eigene Vorstellung des Kindes wecken.

 

Zur Person:

Rainer Oberthür, geboren 1961, lebt mit seiner Frau in Aachen und hat zwei erwachsene Kinder. Neben seiner Tätigkeit als Dozent für Religionspädagogik und stv. Leiter des Katechetischen Instituts des Bistums Aachen arbeitet der Religionspädagoge als Grundschullehrer, um den Kontakt zu den Kindern zu halten und seine Ideen in der Praxis anzuwenden. Als Autor hat er zahlreiche erfolgreiche Bücher für Kinder und Erwachsene veröffentlicht.  
Buchtipp: Stell dir vor... Gedankenspiele über Gott und die Welt. Siehe Buchbesprechungen auf den Seiten 22/23.
Homepage: www.rainer-oberthuer.de