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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Ostern - Fest unserer Erlösung

Jozef Niewiadomski im Gespräch mit Georg Haab

Der Innsbrucker Dogmatiker über Erlösung, Kreuz und falsche Opfermystik

Niewiadomski: Entdecken wir viel mutiger die radikale Modernität, das Geheimnis der Karwoche. (© Foto: Haab)
Niewiadomski: Entdecken wir viel mutiger die radikale Modernität, das Geheimnis der Karwoche. (© Foto: Haab)

Was ist die Botschaft der Karwoche?
Niewiadomski: Heute wären die medialen Schlagzeilen zum Palmsonntag: der kometenhafte Aufstieg eines neuen Idols, ein Mann in den besten Jahren auf dem Höhepunkt seiner Karriere, der Rausch des Aufstiegs, aus dem Nichts aufgetaucht. Das ist hochmodern, davon träumen viele. Welche Eltern sehen ihre Kinder nicht auf diesem Weg nach oben? Und die nächste Botschaft: Derjenige, der Spielball einer jubelnden Menge ist, wird im Handumdrehen zum Spielball einer hasserfüllten Meute. Die Menschen lehnen ihn ab, er stürzt ins Bodenlose.
Die Kirche feiert das Geschick Jesu Christi. Wir nehmen darin Aufstieg und Fall wahr, aber sie werden in einen Zusammenhang gestellt.

Also das Fest unserer Erlösung. Aber was ist Erlösung?
Niewiadomski: Die Kirche feiert, dass der lebendige Gott selber sich auf diesen banalen menschlichen Weg begeben hat. Beide Wege, Aufstieg und Fall, sind Sackgassen. Aber sowohl im Aufstieg als auch im Fall ist der menschgewordene Gott dabei, deshalb bin ich weder im Aufstieg noch im Fall einsam. Ich brauche meine Kraft nicht aus dem Aufstieg und auch nicht aus dem Skandal zu schöpfen, sondern aus dem Vertrauen: Ich bin immer in den Händen Gottes. Ich kann nie so tief fallen, dass ich von Gott verlassen wäre. In dem Sinn bin ich gelöst, erlöst. Ansonsten bin ich gebunden, gefesselt, festgenagelt an Karrierewege, an Aufstiegswege, oder aber auch festgenagelt an die Angst, an mein Scheitern, am Skandal.

Gott ist bei mir, wenn ich falle: Wie kann ich mir das vorstellen?
Niewiadomski: Jesus hat Anteil an unserer Angst, das ist das Geheimnis von Getsemani; er hat Anteil an der radikalen Einsamkeit eines Sterbenden: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und das christliche Glaubensgeheimnis sagt: In seinem Tod steigt Christus zu den Toten hinab. Die alte Kirche bekannte: Er steigt gar in die Hölle hinab, also in die radikale Gottlosigkeit. Das ist für mich der tiefste Inhalt der Erlösung: Es kann im Leben keine Situation geben, die gottlos ist, weil Gott selber in diese Situation hinabgestiegen ist.

Was bedeutet: Den Tod besiegen?
Niewiadomski: Das geschlossene Grab ist Symbol, dass das menschliche Leben vollendet ist. Das Christentum verkündet die Wahrheit vom offenen Grab. Gott öffnet das Grab Christi. Das heißt im Klartext: Es gibt kein Geheimnis des Todes, es gibt auch kein Geheimnis, das verschlossen wird durch das Grab. Sie kennen das Sprichwort: Er nahm seine Wahrheit mit ins Grab. Menschen, die irgendwo sich bloßgestellt fühlen, schweigen, sie nehmen das mit ins Grab, und jeder von uns hofft auch, dass das, was unversöhnt in unserem Leben ist, wozu wir unmöglich dazu stehen können, dass wir das mit ins Grab nehmen.

Ist das das Geheimnis von Tod und Auferstehung?
Niewiadomski: Der Menschgewordene fällt nicht nur so tief, wie wir selber nie fallen können, sondern er steigt sogar in den Tod hinab und sprengt das Geheimnis des Todes. Er sprengt das Geheimnis meines Grabes, aber nicht, um mich bloßzustellen, nicht, um mich zu erniedrigen, nicht, um sich zu rächen, sondern weil Gott selber im Tod anwesend ist, wird für den Christen der Tod zum Ort der Begegnung mit Gott. Die Alten hätten gesagt: In meinem Sterben falle ich in die offenen Arme Christi. Weil Christus gestorben und auferweckt worden ist, sind wir mit Christus gestorben und auferweckt worden. Vielleicht wird deshalb auch mit Böllern geschossen. Menschen zelebrieren mit Schüssen größere revolutionäre Ereignisse, und ich würde sagen, das gesprengte Grab ist wirklich die revolutionärste Tat der Weltgeschichte.

Wir sprechen vom „Kreuzesopfer Christi“. Will Gott Opfer?
Niewiadomski: Gott will das Opfer im Sinne der Victimisierung nicht. Weil Gott selber aber Hingabe ist, und das Wort Hingabe – Hingabe der liebenden Partner aneinander, Hingabe an das Kind, Hingabe auch an das kranke oder behinderte Kind –in gewissem Grad immer auch mit Verzicht zu tun hat, bleiben beide Begriffe miteinander verbunden. Dieses Opfer im Sinn von Hingabe findet sich im lateinischen Begriff „sacrificium“.
Für mich ist diese Spannung – und ihre Auflösung – sprachlich in einer Kurzgeschichte aufgefangen, die Christian de Chergé (der Abt der in Algerien ermordeten Trappistenmönche, vgl. den Kinofilm „Von Menschen und Göttern“) als Dialog mit einem Muslim ungefähr so erzählt:
Wie viele Kreuze siehst du, wenn du das Kreuz betrachtest? – Ich sehe zuerst das Kreuz der ausgebreiteten Arme, das Kreuz der Liebe. Das ist das Kreuz, das Gott geschaffen hat. Dieses Kreuz ist dazu da, Menschen zu umarmen. Das ist das ursprüngliche Kreuz, es steht hinter allem.
Nach vorn schiebt sich das Kreuz der angenagelten Arme. Das ist das Kreuz, das die Menschen geschaffen haben. Das ist die destruktive Opfergeschichte. Es ist das, was ich als Victimisierung bezeichne. Dann gibt es ein drittes Kreuz: Wenn jemand aus der Position der festgenagelten Arme in die Position der ausgebreiteten Arme zurückfindet – das, was Jesus macht. Jesus ist der menschgewordene Sohn Gottes, dessen Identität nichts anderes ist als die Beziehung des Vaters zum Sohn und des Sohnes zum Vater. Er kann, wenn er in die Position der angenagelten Arme gelangt, nicht von Gott am Kreuz festgenagelt sein, sondern nur von Menschen. Er hat sich befreit und kann all jene zur Befreiung bringen, die festgenagelt werden.
In dieser Geschichte sind für mich alle drei Aspekte drinnen: der Göttliche, nämlich die Beziehung; die Perversion, das Festnageln, der Inbegriff der Sünde; das Hinabsteigen Gottes, die Hingabe. Das heißt nicht, dass Gott seinen Sohn kreuzigt, sondern freiwilliges Hineinsteigen, um die Liebe zu bringen, um zu befreien. Das ist das, was ich mit Sacrificium benenne.

Ihr Tipp für Ostern?
Niewiadomski: Entdecken wir viel mutiger die radikale Modernität, das Geheimnis der Karwoche! Verglichen mit unserer modernen Welt, die sich in banalen Konsumgewohnheiten und Arbeitsstress erschöpft, ist das Geheimnis der Karwoche doch etwas Faszinierendes und näher am Lebensnerv als vieles, das gerne modern sein will. Der Überfluss an Hoffnung im Osterfest ist unausschöpflich.