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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Naher Osten: Genozid an Christen

Der syrisch-orthodoxe Erzbischof George Saliba im Sonntag.Gespräch

Im Gespräch mit dem "Sonntag" appelliert der Erzbischof von Mossul, der vor dem IS fliehen musste: "Bringen Sie meine warnende Stimme anderen zu Gehör!"

Der syrisch-orthodoxe Erzbischof George Saliba im SONNTAG-Gespräch über seine Flucht aus dem Irak, Genozid gegen die ältesten Christengemeinden und die Blauäugigkeit Europas (© Foto: kk)
Der syrisch-orthodoxe Erzbischof George Saliba im SONNTAG-Gespräch über seine Flucht aus dem Irak, Genozid gegen die ältesten Christengemeinden und die Blauäugigkeit Europas (© Foto: kk)
Erzbischof George Saliba (© Foto: kk)
Erzbischof George Saliba (© Foto: kk)

Anlässlich der jüngst abgehaltenen internationalen Generalversammlung der ökumenischen Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit in Noordweijkerhout/Niederlande richtete Erzbischof Theophilus George Saliba einen verzweifelten Appell an die etwa 120 Teilnehmer aus rund 40 Ländern, den Ernst der Situation zu erkennen.
Die 2.000 Jahre alten christlichen Gemeinden in Syrien und im Irak zählen ungefähr zwei Millionen Mitglieder. Nach den ägyptischen Kopten bilden sie die größte Kirche im Nahen Osten.
Die bitteren Erfahrungen der letzten Jahre sind Erzbischof Saliba, der nur unter großen körperlichen Mühen alle Anstrengungen auf sich nimmt, um auf die verzweifelte Lage seiner Gemeinde aufmerksam zu machen, ins Gesicht geschrieben. Helmut Berg von Oikocredit Österreich führte mit dem Erzbischof das folgende Gespräch:

Sie haben selbst unermessliches Leid erlebt. Wollen Sie darüber sprechen?
Saliba: Ich muss und ich will darüber sprechen, damit die Menschen in Österreich erfahren, was an uns geschieht. Der Terror begann 2014 in der nordiraki-schen Stadt Mossul. Ich war dabei, als die IS Guerilla über uns hergefallen ist. Alle Nicht-Muslime mussten ihre Häuser verlassen und durften nichts mitnehmen. Nicht einmal die Ringe an ihren Fingern. Mütter wurden gehindert, ihren Babys Milch zu geben. Manchen nahmen sie die Kinder weg und …


Ich kann verstehen, wenn Sie Unaussprechliches nicht näher ausführen wollen.
Saliba: Ich will es aber sagen, weil die Medien das Leid der Christen verschweigen. Ich bin nicht sicher, ob Ihre Zeitung druckt, was ich sage, weil es eine seltsame Rangordnung der Leidberichterstattung zu geben scheint. Es geht stets immer um Muslime, manchmal auch um Jesiden, aber wenige wissen, dass uns Christen im Irak und Syrien alles geraubt wurde und vielen nur das nackte Leben geblieben ist. Zuerst haben die IS Truppen alle Grundstücke der Christen an sich genommen, dann fingen sie an, die Kirchen und kirchlichen Organisationen zu zerstören. Was auch immer sie gesehen haben, zerstörten sie. Unser Kloster wurde ausgeraubt und zerstört. Wer nicht getötet wurde, musste fliehen. Frauen wurden vergewaltigt und verkauft.

Wohin konnten Christen fliehen?
Saliba: In den Norden, in kurdische Gebiete, in die Türkei oder in den Libanon. Auch ich lebe in Beirut. Die Kurden waren hilfsbereit. In manchen Dörfern haben die Behörden Wohnwagen angeschafft, um den geflohenen Christen Obdach zu geben. Aber das sind alles keine langfristigen Lösungen. Wir im Libanon sind auch nicht in der Lage, alle Bedürfnisse abzudecken und sind obendrein mit einer neuen Art der Verfolgung konfrontiert. Wir stellen fest, dass wir Menschen zweiter Klasse sind.


Wie kann man Christen, die in den Libanon geflüchtet sind, helfen? Wären finanzielle Anschubhilfen sinnvoll, um den Menschen einen Existenzaufbau zu ermöglichen?
Saliba: Geflohene Christen erhalten im Libanon kaum die Erlaubnis zu arbeiten. Es ist sehr schwer, im Libanon zu leben. Obwohl der Präsident Christ ist, ist die Regierung noch nicht bereit, es den christlichen Flüchtlingen zu ermöglichen, eine wirtschaftliche Basis zu bilden.   

Was müsste geschehen, damit die Christen wieder zurück nach Syrien können?
Saliba: Alle wollen zurück. Auch ich. Aber ich bin ein gutes Beispiel. Mein Haus ist zerstört, mein Eigentum gestohlen, zwei Familienmitglieder ermordet. Wann gehe ich zurück? Das weiß Gott alleine. Wir brauchen Frieden in der gesamten Region. Aber das liegt in den Händen von Amerika und Russland. Mein Eindruck ist, man will den Konflikt am Kochen halten.

Sie vertreten die Auffassung, wir Europäer seien naiv und unterschätzten die Gefahr des Islams, der nach Europa kommt.
Saliba: Wenn alles so weitergeht wie bisher, werdet ihr in zehn Jahren sehr schwierigen Tagen gegenüber stehen. Heute schon sehen wir in Frankreich und Belgien, aber auch in Deutschland, welche Zukunft ganz Europa erwartet. Ich weiß nicht, wann sie Amerika erreicht. Ich werfe europäischen Politikern soziale wie politische Blauäugigkeit im Umgang mit Migranten aus muslimischen Ländern vor. Man übersieht, hoffentlich aus Unwissenheit und nicht willentlich, die sozio-religiöse Sprengkraft dieser Migrationsbewegung nach Europa. Ihr habt keine Ahnung von der Kultur und Entschlossenheit der Menschen.

Das sind schwere Anschuldigungen. Sehen Sie die Zukunft für Europa und den Westen insgesamt so pessimistisch?
Saliba: Ich bin kein Prophet, aber ich sage voraus, dass Europa Gefahr läuft, den gleichen Terror gegen Christen zu erleben, wie wir im Nahen und Mittleren Osten. Wo aber Unrecht geschieht, sollte man couragiert Stellung beziehen und auch Botschaften hören, die man vielleicht lieber nicht hören möchte.

Was können wir tun, um Ihnen und Ihren Gemeinden zu helfen?
Saliba: Ich bitte Sie inständig darum, meine warnende Stimme anderen zu Gehör zu bringen.