Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

“Nachsitzen” für Österreichs Bildungspolitik

Der Lehrer Herbert Molzbichler rechnet mit Österreichs Bildungspolitik ab

Herbert Molzbichler ist seit mehr als 30 Jahren Lehrer. Seitdem „erleidet“ er eine Reform nach der anderen. In seinem Buch „Nachsitzen“ prangert er Österreichs Bildungspolitik an.

Herbert Molzbichlers Buch “Nachsitzen“ rüttelt auf (© Foto: privat)
Herbert Molzbichlers Buch “Nachsitzen“ rüttelt auf (© Foto: privat)


Der Spittaler Mittelschullehrer Herbert Molzbichler ist alles andere als ein Bildungstheoretiker. Seit 36 Jahren steht er im Klassenzimmer und unterrichtet – nach unterschiedlichsten Lehrplänen, Zielvorgaben, Kompetenzorientierungen und Lernzielformulierungen.
In seinem jüngsten Buch „Nachsitzen“ analysiert er messerscharf die Bildungspolitik Österreichs der vergangenen 15 Jahre. Und er nimmt sich kein Blatt vor den Mund: „Die politischen Kräfte in Österreich haben keine schlüssigen Bildungskonzepte. Es gibt bestenfalls Fragmente, die in parteipolitischen Scharmützeln ins Feld geführt werden“, stellt er gleich zu Beginn seines Buches klar, was er davon hält, mittels „Bildungsoffensiven“ politisches Kleingeld zu wechseln.
Vor allem kritisiert er die allgemeine Nivellierung im Bildungssystem. Kaum eine Reform, so der promovierte Pädagoge, erreicht „nachhaltig die Tiefenstrukturen von Schule“. Es werde „laufend an den Organisationsformen einzelner Schultypen herumexperimentiert, ohne dass dies bislang nachweislich zu einer allgemeinen Qualitätssteigerung beigetragen hätte“.
Vor diesem Hintergrund fordert Molzbichler eine bildungspolitische Neuorientierung. Allzu lange wäre Österreich auf sein Bildungswesen zu stolz gewesen, um einzusehen, dass wir langsam, aber stetig an Boden verlieren.
Dabei meint Molzbichler echte Qualität im Sinne einer Menschenbildung – und nicht etwa im Sinne von Rankings und Tests. Heute, so der Autor, scheine das wichtigste, „wenn nicht sogar einzige Bildungsziel“ zu sein: „PISA erfolgreich bestehen!“
Was ihm fehlt, ist ein klares Bekenntnis Österreichs und seiner Politik zu dem, was sie unter Bildung versteht. Ein Bildungskonzept habe sich am Menschenbild und am Wertesystem einer Gesellschaft zu orientieren. Nicht an dem, was etwa die Wirtschaft gerade für „vermittelbar“ hält. Vor diesem Hintergrund plädiert Molzbichler für eine Aufwertung der politischen Bildung und der interkulturellen Erziehung, die aufgrund „der Globalisierung und neuer Migrationsbewegungen“ ein unverzichtbarer „Beitrag zur Demokratie-, Friedens- und Menschenrechtserziehung“ sind.
Mit dem österreichischen Genetiker Markus Hengstschläger ortet Molzbichler aufgrund der österreichischen Bildungspolitik die Gefahr, in die „Durchschnittsfalle“ zu tappen. Dies geschehe dann, wenn man Kinder und Jugendliche über einen breiten Kamm schert und sie „bloß zum breiten Durchschnitt, zum bequemen Mittelmaß“ hinleitet.
Dagegen hält Molzbichler die aktuellen Debatten in Richtung einer stärkeren Differenzierung und Individualisierung für richtig: „Dadurch sollen nicht zuletzt Begabungen und Talente erkannt und gefördert werden.“ Es gehe darum, die Stärken jedes Einzelnen zu erkennen und darauf aufzubauen, anstatt immer nur Schwächen zu orten und diese auszumerzen.
Dieses Modell entspricht den skandinavischen Bildungssystemen, die auch Molzbichler im Schlusskapitel als vorbildlich für Österreich skizziert. Österreich verfüge nach wie vor über eine Vielzahl engagierter Lehrerinnen und Lehrer, über eine hervorragende Infrastruktur – aber über mangelnde Ziele und Konzepte und somit über einen Flickenteppich an Reformen. Dass dies viel Geld kostet, hat schon der Rechnungshof kritisiert.
Logisch und konsequent fordert Molzbichler daher einen sinnvollen Ressourceneinsatz, mehr Geld für die Schulen anstatt für die Zentralverwaltung und ein Überdenken, ja Über-Bord-Werfen, verkrusteter Strukturen. Denn Österreich hätte große Bildungspotenziale.

Das Buch:

„Nachsitzen“
von Herbert Molzbichler,
Verlag Braumüller, 2017
214 Seiten
Preis: € 20,-