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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Mit Humor, Kreativität und Hartnäckigkeit

Franz-Joseph Huainigg, scheidender Nationalratsabgeordneter, im "Sonntag"-Gespräch

Nach 15 Jahren scheidet der gebürtige Spittaler Franz-Joseph Huainigg aus der Politik. Ein Gespräch über den Sinn von Engagement und die selektive Wahrnehmung von Menschenwürde.

Nach 15 Jahren scheidet der gebürtige Spittaler Franz-Joseph Huainigg aus der Politik. Ein SONNTAG-Gespräch über den Sinn von Engagement und die selektive Wahrnehmung von Menschenwürde. (© Foto: Öaab - Berger)
Nach 15 Jahren scheidet der gebürtige Spittaler Franz-Joseph Huainigg aus der Politik. Ein SONNTAG-Gespräch über den Sinn von Engagement und die selektive Wahrnehmung von Menschenwürde. (© Foto: Öaab - Berger)
 (© Foto: haab)
(© Foto: haab)

Vor 15 Jahren sind Sie mit Ihrem Rollstuhl ins Bundesparlament gerollt. Welchen Reaktionen sind Sie damals begegnet?
Huainigg: Vor allem viel Unsicherheit. Ein Politiker, der nicht die Hände schüttelt und mit leiser Stimme spricht, war für meine Kolleginnen und Kollegen etwas ganz Ungewöhnliches. Aber bald lernten sie, dass mir durch mein Beatmungsgerät die Luft nie ausgeht; und wenn sie mir ausging, etwa durch die verstopfte Atemkanüle, dann wurden bei schwierigen Verhandlungen rasch gute Lösungen gefunden. Aber ganz ehrlich gesprochen, auch bei mir gab es viel Unsicherheit, ob ich den Anforderungen auch gerecht werden kann.
In der Behindertenbewegung heißt es: „Nichts über uns oder ohne uns.“ Leider gibt es noch immer Parteien mit nicht behinderten Behindertensprecherinnen oder -sprechern. Ich war im Parlament nicht immer für alle angenehm, aber mit Humor kann man auch Türen öffnen. Bundeskanzler Schüssel, der mich damals ins Parlament geholt hat, gab mir den Auftrag: „Franz-Joseph, bleib uns auf den Fersen!“ Und diesen Auftrag habe ich als befreiend und ermutigend erlebt.

Was hat sich dadurch geändert, dass Sie im Parlament waren?
Huainigg: Ich brachte die Lebensrealität von Menschen mit Behinderungen ins Parlament. Wenn ich persönlichen Assistentinnen eine Mail diktierte oder sie meine Atemkanüle absaugten, damit ich wieder frei atmen konnte, lebte ich vor, was wir politisch umsetzten. So gelang es mir, die persönliche Assistenz am Arbeitsplatz einzuführen. Oder dass persönliche Assistentinnen und Assistenten Pflegetätigkeiten, für die sie eingeschult worden sind, durchführen dürfen. Das wurde beschlossen, obwohl die Pflegegewerkschaft mit Totensärgen vor dem Parlament protestierte. Das Behindertengleichstellungsgesetz, die verfassungsrechtliche Anerkennung der Gebärdensprache, die integrative Berufsausbildung unter Einbeziehung der Berufsschule oder die Enquête-Kommission „Würde am Ende des Lebens“ zähle ich zu meinen größten Erfolgen in den letzten 15 Jahren.

Diese Enquête-Kommission hat im März 2015 auf breiter Basis, über alle Parteigrenzen hinweg, dem Parlament bemerkenswerte Empfehlungen gegeben. Was ist daraus geworden?
Huainigg: Der Beschluss aller Parteien, ein Leben bis zuletzt in Würde durch Sterbebegleitung zu sichern, ist ein Meilenstein. Der österreichische Weg – Sterben an der Hand, nicht durch die Hand –, den Kardinal König vorgegeben hat, wurde damit wesentlich gestärkt.
Am 15. Dezember 2015 wurde durch Beschluss des Ministerrates das Hospiz- und Palliativforum unter Einbeziehung aller Stakeholder eingerichtet, das alle an einen Tisch bringt.

Wie schaut es aus mit der konkreten Umsetzung des Stufenplanes zum Ausbau von Palliativ- und Hospizmedizin?
Huainigg: Im Finanzausgleich 2017-2021 ist es gelungen, dass 90 Millionen zweckgebunden für den Ausbau von Hospiz- und Palliativmedizin zur Verfügung stehen. Das ist eine wichtige Anschubfinanzierung, durch die prioritär die Hospizversorgung für Kinder und Jugendliche sichergestellt werden soll. Meiner Meinung nach braucht es auch dringend Maßnahmen in Alten- und Pflegeheimen.
Nachdem die Geldmittel aus drei verschiedenen Quellen gespeist werden, nämlich Sozialversicherung, Bundesländer und Pflegefonds, braucht die Umsetzung ein neues Denken. Ich hoffe, es wird eine Lösung gefunden, die für die Träger nicht zu verwaltungsaufwendig wird. Derzeit gibt es 322 Hospiz- und Palliativeinrichtungen für Erwachsene und 22 für Kinder und Jugendliche. Der Dachverband Hospiz wird im Herbst den Datenbericht zum Jahr 2016 veröffentlichen, der auch im Parlament diskutiert und behandelt wird.

Neue Wege öffnen heißt vor allem: nicht die Defizite, sondern die Potenziale zu erkennen und zu stärken.

Stichwort „neues Denken“: Wo sollte das Ihrer Meinung nach ansetzen?
Huainigg: Die unantastbare Menschenwürde muss Grundprinzip unseres politischen Handelns werden. In Deutschland steht sie in Artikel 1 des Grundgesetzes, in Österreich muss sie in der Verfassung verankert werden. Ich habe das am Ende jeder meiner Reden im Plenum eingefordert, und einen Monat habe ich noch Zeit. Da plane ich noch etwas.

Welchen Platz haben Menschen mit Behinderungen in einer leistungsorientierten Gesellschaft?
Huainigg: Leistung ist wichtig, aber nicht das Einzige, was uns Menschen ausmacht. Das Pro-blem bei Menschen mit Behinderungen ist oft, dass ihnen nichts zugetraut wird. Man muss sie etwas leisten lassen. Wir brauchen eine bessere und inklusivere Ausbildung und innovative Beschäftigungsprojekte. So habe ich beim Kurier die inklusive Lehrredaktion initiiert, wo Menschen mit Lernschwierigkeiten Nachrichten in leicht verständlicher Sprache schreiben. Neue Wege eröffnen heißt vor allem: nicht die Defizite, sondern die Potenziale zu erkennen und zu stärken. Für mich ist es auch eine Leistung, wenn jemand durch seine Lebensfreude andere Menschen ansteckt. Mit dem Literaturpreis Ohrenschmaus versuche ich, auf das literarische Talent von Menschen mit Lernbehinderung aufmerksam zu machen.

Gleich- und Lebensberechtigung: Was haben wir, wo ist noch Bedarf?
Huainigg: Wer von einer inklusiven Gesellschaft spricht, muss behinderte Menschen erst auf die Welt kommen lassen. Es ist absurd und unerträglich, dass es im Rahmen der eugenischen Indikation bei Verdacht auf eine Behinderung möglich ist, ein Kind bis zur Geburt abzutreiben. Dies passiert durch einen Fetozid, einem Herzstich, bei dem das Kind im Mutterleib getötet wird. Die Geburt eines behinderten Kindes darf kein Schadensfall sein! Es braucht neben der Abschaffung dieser Diskriminierung auch eine bessere Beratung der werdenden Eltern und eine Bedenkfrist zwischen Diagnose und möglicher Abtreibung. Außerdem habe ich mit dem Sozial- und Medizinrechtler Wolfgang Mazal einen Vorschlag ausgearbeitet, um die Haftungsproblematik bei Ärztinnen und Ärzten zu lösen und Eltern bei der Geburt eines behinderten Kindes besser zu unterstützen.

Woran denken Sie mit Dankbarkeit zurück?
Huainigg: Ich bin dankbar, dass ich von der ÖVP die Chance bekommen habe, nicht ganz unwesentlich an einem Paradigmenwechsel in der österreichischen Politik, weg von Almosen und Fürsorge, hin zu Gleichberechtigung, Inklusion und selbstbestimmten Leben, beteiligt gewesen zu sein.  Wenn ich im Parlament nicht mehr weiter wusste, fiel mir immer das Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ von Dietrich Bonhoeffer ein. Er hat es in schwersten Stunden im KZ geschrieben; es verströmt viel Kraft und Mut. In diesem Urvertrauen gestärkt konnte ich auch über die größten Hürden rollen.

Sie werden Ihre Hände sicher nicht in den Schoß legen: Was sind Ihre Zukunftspläne?
Huainigg: Ich kann zwar meine Hände nicht bewegen. Aber man sagt mir nach: „Desto weniger du dich bewegen kannst, desto mehr setzt du in Bewegung.“ Es ist viel zu tun. Ich will mich für eine bessere und gerechtere Welt im Sinne der SDGs – die neuen Nachhaltigkeitsziele der UNO – einsetzen. Hier kann Österreich, aber vor allem auch Europa in der Welt viel bewegen. Dazu braucht es Bewusstseinsbildung, gute Ideen und Hartnäckigkeit. Und da bin ich ja Profi.

 

Zur Person:

Dr. Franz-Joseph Huainigg, geboren 1966 in Paternion, ist seit früher Kindheit an beiden Beinen gelähmt. Der promovierte Germanist ist bekannt als Autor und Medienpädagoge. 2002 - 2008 und seit 2010 Abgeordneter zum Nationalrat, Behindertensprecher der ÖVP, Mitglied der parlamentarischen Enquête-Kommission „Würde am Ende des Lebens“. Am 27. 7. 2017 erklärte Huainigg, bei der kommenden Nationalratswahl nicht mehr zu kandidieren.

Literaturpreis "Ohrenschmaus": www.ohrenschmaus.at