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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Melanie Wolfers über Freundschaft mit sich selbst

Die Ordensfrau und Buchautorin im Gespräch mit Matthäus Fellinger über "Ich mit mir"

Die Ordensfrau und Buchautorin im Gespräch mit Matthäus Fellinger über "Ich mit mir"

Die Ordensfrau und Buchautorin Melanie Wolfers im SONNTAG-Gespräch über “Ich mit mir“ (© Foto: Cathrine Stuckhard/Laif)
Die Ordensfrau und Buchautorin Melanie Wolfers im SONNTAG-Gespräch über “Ich mit mir“ (© Foto: Cathrine Stuckhard/Laif)
 (© Foto: Cathrine Stuckhard/Laif)
(© Foto: Cathrine Stuckhard/Laif)

Es ist schon außergewöhnlich, wenn eine Autorin mit einem spirituell-christlichen Buch in die Spiegel-Bestsellerliste kommt. Sr. Melanie Wolfers ist das mit ihrem neuen Buch „Freunde fürs Leben“ nach nur drei Monaten gelungen. Ab März begleitet die Salvatorianerin die Sonntag-Leser/innen durch die Fastenzeit – zum Thema „ICH mit MIR“. Es geht um die Kunst, mit sich selbst befreundet zu sein.

Was veranlasst Sie, über „Freundschaft mit sich selbst“ so intensiv nachzudenken?
Wolfers: In meiner seelsorgerlichen Tätigkeit mache ich die Erfahrung, dass wir Menschen uns oft im Weg stehen und uns schwertun mit uns selbst. Wir alle haben Eigenschaften, die wir nicht leiden können und gehen dann oft hart oder abwertend mit uns um. Daher habe ich mich gefragt: Wie können wir besser mit uns selbst klarkommen und Freundschaft schließen? Schließlich sind wir selbst der Mensch, mit dem wir vom ersten bis zum letzten Atemzug zusammenleben.

Ist unsere Gesellschaft beziehungshemmend für uns selbst?
Wolfers: In unserer modernen Gesellschaft herrscht ein irrsinniger Optimierungsdruck. Immer weiter, höher, schneller soll es gehen. Wir sollen „effizienter arbeiten“, zugleich „gelassener leben“, und dann auch noch: „Der Bauch muss weg“. So rufen uns Buchtitel und Werbespots ständig entgegen. Wie eine Unternehmerin oder ein Unternehmer sollen wir das eigene Leben managen und für unser Glück sorgen. Doch dieser Druck, sich ständig verbessern zu müssen, ist eine heillose Überforderung!

Klingt irgendwie herausfordernd: Begegnung mit sich selbst – oder?
Wolfers: Nicht nur die Begegnung mit anderen, sondern auch die Begegnung mit sich selbst kann ganz schön herausfordern. Etwa, wenn man sich den dunklen Kapiteln der eigenen Geschichte zuwendet, anstatt sie unter den Teppich zu kehren. Oder wenn man der Sprache der Gefühle, des Körpers, der Träume und Ängste Gehör schenkt. Vor allem aber bereichert die Begegnung mit sich selbst das eigene Leben. Erst wenn ich auf die leise Stimme des Herzens höre, werde ich wissen, worum es mir wirklich geht, und mein eigenes Leben führen.

Die Freundschaft mit sich selbst ist eine entscheidende Voraussetzung, um tragfähige Beziehungen mit anderen pflegen zu können.

Manche meinen, die Leute beschäftigten sich viel zu viel mit sich selbst, statt dass sie sich anderen zuwenden. Ist dem nicht so?

Wolfers: Denken Sie an den biblischen Satz: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Wenn ein Mensch mit sich selbst befreundet ist, wird er ganz anders beziehungsstark: Er muss dann seine Ich-Grenzen nicht krampfhaft behaupten. Dem anderen ist er dann ein Gegenüber, das „ich“ sagt. Und dann gilt es zu schauen: „Wie geht das miteinander?“ Eine solche Lebenshaltung hat viel damit zu tun, dass ich dem anderen und mir den Heiligen Geist zutraue.

Kann aus einer Selbstliebe eine Selbstverliebtheit werden, die von sich nicht mehr absieht – im Egoismus oder Narzissmus?
Wolfers: Narzissten leiden an einem grundlegenden Mangel an Selbstfreundschaft. Es wird zwar gesagt, dass sie sich nur für sich selbst interessieren, aber es handelt sich um ein Pseudointeresse. Narzissten müssen sich ständig idealisieren und bewundern. Oberflächlich betrachtet scheinen sie selbstverliebt, doch in Wirklichkeit können sie sich nicht leiden.

Was braucht eine gute Beziehung zu sich selbst?
Wolfers: Freundschaft lebt davon, dass man sich Zeit nimmt miteinander. So wie eine Freundschaft Zweisamkeit braucht, lebt eine Freundschaft mit sich selbst von der regelmäßigen Verabredung mit sich selbst. Ich nehme mir Zeit für das, was mir wichtig ist. Und ich versuche, die Sprache meines Körpers und meiner Seele wahrzunehmen.

Was gewinnen wir dabei?
Wolfers: Die Freundschaft mit sich selbst bewirkt, dass wir unsere Stärken und Schwächen, unsere Größe und Unsicherheit realistischer wahrnehmen. So können wir uns immer mehr annehmen, wie wir sind. Eine solche Haltung sich selbst gegenüber ist eine entscheidende Voraussetzung, um tragfähige Beziehungen mit anderen pflegen zu können. Sie ermöglicht uns, dass wir unsere Stärken ins Spiel bringen und unsere Grenzen anerkennen. Wir gewinnen inneren Frieden, Lebensfreude und Liebesfähigkeit. Erst wenn ich mich mehr kennenlerne, kann ich aus meiner inneren Mitte leben und werde heimisch in mir.

Sie sprechen von Grenzen. Worin bestehen sie?
Wolfers: Der Gott der Moderne lautet: „Alles ist möglich“. Aber das stimmt nicht! Es ist nicht alles möglich. Unsere Lebenszeit, unsere Kräfte, auch die natürlichen Ressourcen haben Grenzen. Wir brauchen eine tiefe Einsicht in unsere Begrenztheit. Für mich war es wirklich eine Erkenntnis, als ich entdeckte: Meine Grenzen sind nicht nur dafür da, dass ich sie ausweite, sondern manche Grenzen sind dafür da, dass ich in ihnen in Frieden leben lerne. Das alte Wort für Grenze ist mir lieb geworden: „Umfriedung“. Eine Grenze markiert einen Lebensraum, innerhalb dessen ich in Frieden leben kann. Als Christen glauben wir an einen Gott, der Mensch wird. Im Konkreten, Endlichen und Begrenzten kommt uns Gott entgegen.

 

Zur Person:

Sr. Melanie Wolfers SDS gehört der Gemeinschaft der Salvatorianerinnen in Österreich an. Sie stammt aus Flensburg in Norddeutschland. Die Theologin und Philosophin promovierte in theologischer Ethik. Sie war Dozentin für Philosophie und als Studierenden-Seelsorgerin in München tätig, ehe sie 2004 in den Orden in Wien eintrat. Melanie Wolfers leitet IMpulsLEBEN, das Angebote zu Spiritualität und Lebensorientierung macht. Sie ist inzwischen eine der renommiertesten Autorinnen geistlicher Bücher im deutschsprachigen Raum.   
http://www.impulsleben.at