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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Lebensqualität heißt , sich geschätzt zu wissen

Behindertenanwältin Isabella Scheiflinger über Beeinträchtigung und Lebensqualität

Bei aller Verschiedenheit hängt Lebensqualität für alle Menschen von sehr ähnlichen Faktoren ab. Dies zu wissen und zu beherzigen, ist das Fundament einer zukunftsfähigen Gesellschaft.

 (© Foto: Anwaltschaft für Menschen mit Behinderung)
(© Foto: Anwaltschaft für Menschen mit Behinderung)

Was macht für Sie das Leben lebenswert?
Scheiflinger: Ich denke, diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten – übrigens ganz unabhängig von einer eventuellen Behinderung. Für mich persönlich sind es meine Begegnungen mit anderen Menschen, Gefühle, Emotionen, Erinnerungen und Visionen. Aber auch meine Unabhängigkeit und die Tatsache, dass ich selbstbestimmt leben und Entscheidungen treffen kann, bedeuten mir sehr viel. Dann natürlich meine berufliche Aufgabe als Behindertenanwältin, die Möglichkeit zu haben, Dinge zum Positiven verändern zu können. Und am Wichtigsten: meine Familie, die mir viel Kraft gibt. Ich bin seit zwei Jahren stolze Großmutter und genieße jeden Moment mit meinem Enkelkind.

Pfarrer Staudacher hat in seinem Interview gemeint, dass er sich als „Anwalt“ versteht, wenn er zu diesem Thema spricht. Sie vermutlich ebenfalls, Sie haben die „Anwältin“ ja schon im Titel ...
Scheiflinger: Titel sind nicht so wichtig. Entscheidend ist, was man daraus macht. Aber ja, natürlich bin ich auch in meiner Funktion als Anwältin der Menschen mit Behinderung tätig. Ich sehe mich aber auch als Kämpferin, als Interessensvertreterin, als Vertrauensperson ... , welche Rolle die jeweilige Situation eben gerade erfordert. Aus tiefster Überzeugung und mit viel Freude setze ich mich für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige ein.

Werte wie Familie, Gesundheit und vor allem das gleichberechtigte Leben tragen wesentlich zur Lebensqualität bei.

Was macht das Leben von Menschen mit Behinderung lebenswert?
Scheiflinger: Menschen sind verschieden, und genauso verschieden sind ihre Wünsche und Bedürfnisse. Persönlich denke ich, dass hier Werte wie Familie, Freundschaft, Beruf, Gesundheit, finanzielle Sicherheit und vor allem das selbstbestimmte und gleichberechtigte Leben wesentlich zur Lebensqualität beitragen.
Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige benötigen ausreichend Hilfen und Unterstützung, damit sie trotz Beeinträchtigungen ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben führen können. Und da gibt es sicherlich noch Handlungsbedarf. Trotz grundsätzlich positiver Entwicklung darf nicht verkannt werden, dass es noch immer Lebensbedingungen und  -situationen gibt, die Menschen mit Behinderungen und/oder deren Angehörige diskriminieren. Immer wieder berichten uns Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige, dass sie oft das Gefühl haben, um jede Leistung kämpfen zu müssen oder aber unzureichend über Hilfen informiert zu sein. Es ist sehr wichtig, den Eltern und den Menschen mit Behinderungen eine Perspektive zu geben – also frühzeitig offene Fragen (z. B. Schul- und Ausbildungsmöglichkeiten, berufliche Möglichkeiten …) zu klären und Zukunftsängste zu nehmen. Und genau da unterstützt die Anwaltschaft für Menschen mit Behinderung bzw. setzen wir uns für Verbesserungen ein.

Die Pränataldiagnostik suggeriert mehr oder weniger offen, dass nicht jedes Leben lebenswert sei ...
Scheiflinger: Nach geltendem Recht kann in Österreich ein ungeborenes behindertes Kind bis kurz vor der Geburt straffrei getötet und abgetrieben werden. In dem bekannten „OGH-Schadensfall-Urteil“ hat die Ärztin die Behinderung beim ungeborenen Kind übersehen und somit den Eltern das Recht auf eine sonst durchgeführte „Spätabtreibung“ genommen. Der Schadenersatz wurde den Eltern für Unterhalt sowie für den Mehrbedarf, der sich aus der Behinderung ergibt, zugesprochen. Meine persönliche Meinung ist: Ein Leben mit Behinderung kann meiner festen Überzeugung nach nie ein „Schadensfall“ sein. Dass es in Österreich die Möglichkeit einer Spätabtreibung gibt, ist diskriminierend und muss alleine aus menschenrechtlicher Sicht dringend geändert werden. Dass so eine „Schadenersatzklage“ nicht spurlos an einer Eltern-Kind-Beziehung vorbeigehen kann, ist für mich nachvollziehbar und auch schwer auszuhalten.

Was erwarten Sie von der Zivilgesellschaft?
Scheiflinger: Das Bild, das sich nichtbehinderte Menschen von einem Leben mit Behinderungen machen, stimmt sehr oft mit den Erfahrungen der Menschen mit Behinderungen nicht überein. Ich kenne sehr viele Menschen mit Behinderungen, die trotz ihrer Einschränkungen das Leben lieben und genießen. Ich erwarte mir, dass man ihnen mehr zutraut und ihnen auf Augenhöhe begegnet. Weiters, dass sie als „Experten in eigener Sache“ gehört und ernst genommen werden. Ganz nach dem Motto: „Nichts über uns ohne uns.“

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:

Isabella Scheiflinger, geb. 1965, Studium der Integrationspädagogik, Betriebspädagogik und Grundlagen der Psychologie und psychosozialen Praxis, ist seit 2009 Behindertenanwältin des Landes Kärnten.

Podiumsgespräch „Was macht Leben lebenswert?

Mit
·    Franz-Joseph Huainigg, Nationalratsabgeordneter im Rollstuhl
·    Matthias Mayer, Olympiasieger
·    Isabella Scheiflinger, Anwältin für Menschen mit Behinderung
·    Johannes Staudacher, Pfarrer und Trauerseelsorger
Donnerstag, 2. Juni 2016, Beginn: 17.00 Uhr
Villach, Holiday Inn, Europaplatz 2

Assistenzleistungen lt. UN-Konvention werden nach
Rücksprache angeboten: Tel. 0676/8772-2505
E-Mail: georg.haab@kath-kirche-kaernten.at