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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Kein Silberstreif am Horizont

Nahost-Expertin Karin Kneissl im "Sonntag"-Gespräch über den Konflikt in Gaza

Die Lage in Israel und Palästina eskaliert täglich. Nahost-Expertin Karin Kneissl über die angespannte und zunehmend unübersichtliche Situation.

Nahost-Expertin Karin Kneissl im “Sonntag“-Gespräch über die aktuellen Kämpfe im Gazastreifen und Israels Mehrfrontenkrieg.
Nahost-Expertin Karin Kneissl im “Sonntag“-Gespräch über die aktuellen Kämpfe im Gazastreifen und Israels Mehrfrontenkrieg.
Karin Kneissl, Nahostexpertin und Buchautorin (© Foto: kk)
Karin Kneissl, Nahostexpertin und Buchautorin (© Foto: kk)

Die Entführung und Ermordung israelischer Jugendlicher gilt als Grund für den momentanen Krieg in Gaza. Ist das ein Vorwand?

Kneissl: Solche Vorwände wurden schon in der Vergangenheit von Israel genutzt, um die militärische Infrastruktur im Gazastreifen zu zerstören. Dies könnte auch jetzt der Fall sein.

Welche Rolle spielt die palästinensische Hamas dabei?
Kneissl: Die Hamas hat die Verantwortung für die Ermordung der Jugendlichen stets zurückgewiesen. Dagegen hat sich eine islamistische Gruppe, die dem sogenannten Kalifat nahesteht, dazu bekannt.

Heißt das, es gibt neue Gruppierungen unter den Palästinensern?
Kneissl: Die Lage wird zunehmend unübersichtlich. Vor allem der Sinai ist eine anarchistische Brutstätte von dschihadistischen Bewegungen geworden. Die dringen sicher auch in den Gazastreifen ein. Das sind etwa versprengte ägyptische Muslimbrüder etc.

Das erinnert an den Irak oder Afghanistan. Hat Israel angesichts dessen militärisch überhaupt eine Chance?
Kneissl: Die Israelis haben bislang jeden Militärschlag mit dem Ziel durchgeführt, die Hamas zu schwächen. Das Ergebnis sieht man jetzt: Noch nie war das Waffenarsenal der Hamas größer. Auch der Angriff durch Bodentruppen ist schwierig. Was auf israelischer Seite auf jeden Fall funktioniert, ist das Raketenabwehrsystem.

Haben Friedensbemühungen im Moment eine Chance?
Kneissl: Kaum. Der diplomatische Graben zwischen Israel und den USA war noch nie so tief wie heute. Aber auch in der Region sind die bisherigen Vermittler abhanden gekommen. Ägypten muss seine eigenen Pro-bleme lösen, der König von Jordanien ist politisch geschwächt und der saudische König krank. Ich sehe im Moment keinen Silberstreif am Horizont.