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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

In schwierigen Zeiten zusammenstehen!

WKÖ-Präsident Christoph Leitl im "Sonntag"-Gespräch

Der WKÖ-Präsident über Politik-Frust, die Lage am Arbeitsmarkt, die Flüchtlinge und die EU und warum er Papst Franziskus bewundert

WKÖ-Präsident Christoph Leitl im SONNTAG-Interview über Politik-Frust, die Lage am Arbeitsmarkt, die Flüchtlingssituation in Österreich, die EU und warum er Papst Franziskus bewundert
WKÖ-Präsident Christoph Leitl im SONNTAG-Interview über Politik-Frust, die Lage am Arbeitsmarkt, die Flüchtlingssituation in Österreich, die EU und warum er Papst Franziskus bewundert
WKÖ-Präsident Christoph Leitl (© Foto: sva)
WKÖ-Präsident Christoph Leitl (© Foto: sva)

Ihr ehemaliger Generalsekretär Reinhold Mitterlehner hat kürzlich die Sozialpartner heftig kritisiert. Hat Sie die Kritik überrascht?
Leitl: Wir stehen vor großen Umbrüchen – Globalisierung, Digitalisierung, Migration, um nur ein paar Stichworte zu nennen. Diese He-rausforderungen müssen wir proaktiv managen. Natürlich gibt es da und dort die Notwendigkeit einer Veränderung von Strukturen und Gewohnheiten. Aber das gilt nicht nur für die Sozialpartner, sondern auch für viele andere. Auch für die Regierung. Wir sitzen alle in einem Boot und haben nur eine Chance: gemeinsam zu rudern.

Nach der Stichwahl zum Bundespräsidenten sprechen viele Beobachter von einem Bruch durch die Gesellschaft. Wie sehen Sie die Situation in Österreich?
Leitl: Ich sehe nicht ein gespaltenes, sondern ein frustriertes Land. Was angesichts der Wirtschaftskrise, des Flüchtlingszustroms, der vielen militärischen Konflikte in der Welt, aber auch des bisherigen politischen Stillstandes – Stichwort: fehlende Reformen – niemanden wundern kann. Wichtiger als Fehler der Vergangenheit zu beklagen, ist es aber, daraus die richtigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Das Gezanke der letzten Jahre haben die Menschen jedenfalls satt. So wie ich auch.

Was müsste getan werden, um diese Frustration zu überwinden? Und welche Rolle könnten gerade die Sozialpartner dabei spielen?
Leitl: Die Menschen verlangen zu Recht Antworten darauf, wie es weitergeht: beim Wachstum, bei der Reduktion der Arbeitslosigkeit, der Bewältigung der Flüchtlingskrise, in der Bildung etc. Die Sozialpartner haben zu vielen dieser Themen zukunftsorientierte Reformvorschläge eingebracht. Die müssten die Verantwortlichen nur aus den Schubladen holen. Und ich kann zusagen, dass wir weiter gemeinsam im Sinne des Standortes und der Menschen in unserem Land handeln werden. Die jüngste Einigung der Sozialpartner zur Arbeitszeitflexibilisierung in der Metall- und Maschinenindustrie zeigt, dass wir trotz mancher Differenzen und Fehler – die gibt es natürlich auch – gemeinsam gute Lösungen zustande bringen können.

Ihr Sager, dass Österreich „abgesandelt“ sei, ging durch die Medien. Nun ist das Wirtschaftswachstum wieder besser: Ist Österreich im Steigflug-Modus angelangt?
Leitl: Von Steigflug kann keine Rede sein, wenn wir nach vier Jahren der Beinahe-Stagnation heuer erstmals wieder ein BIP-Wachstum haben, das mehr oder weniger deutlich über einem Prozent liegen wird. Damit liegen wir in der EU auf den hintersten Plätzen. Zugleich wird die Arbeitslosigkeit in Österreich – entgegen dem EU-Trend – weiter zulegen. Das ist kein Grund für Jubelstimmung. Mein Anspruch ist, dass Österreich innerhalb der EU wieder in die Gruppe der Vorreiter aufrückt.

Für den Arbeitsmarkt ist das Wirtschaftswachstum natürlich immer noch viel zu wenig. Was müsste geschehen, dass sich Österreichs Arbeitsmarkt erholt?
Leitl: Die triste Arbeitsmarktlage ist zu einem guten Teil der anhaltenden Investitionsschwäche geschuldet. Da müssen wir mit gezielten Anreizen gegensteuern – etwa durch die Einführung einer vorzeitigen Abschreibung oder eines Beteiligungsfreibetrages für private Investoren. Und für die Unternehmerinnen und Unternehmer wäre es ein Motivationsschub, kämen wir beim Langzeitthema Bürokratieabbau endlich vom Reden ins Tun.

Bundeskanzler Kern forderte in seinen ersten Reden eine Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber. Wie stehen Sie zu diesem Thema?
Leitl: So wie in der Schweiz sollte auch in Österreich jeder ab dem Zeitpunkt, ab dem er Grundversorgung bezieht, etwas dafür tun. Bei den Gemeinden gibt es viel Arbeit im gemeinnützigen Bereich – da hätten Flüchtlinge eine sinnvolle Beschäftigung und könnten obendrein Deutsch praktizieren und unsere Werte kennenlernen. Es ist doch viel besser, die Menschen einzubinden, anstatt sie untätig in ihrem Kreis sitzen zu lassen, wo manche dann auf blöde Gedanken kommen. Wer dann Asylstatus hat, steht dem Arbeitsmarkt ohnehin zur Verfügung. Zudem läuft derzeit ein Pilotprojekt von WKÖ und AMS, bei dem jungen Flüchtlingen eine Lehre ermöglicht wird.

Gerade Österreichs Wirtschaft lebt vom Export. Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Pläne zur Schließung der Grenzen?
Leitl: Es ist keine Frage, dass wir als exportorientiertes Land und beliebte Tourismusdestination besonders unter Grenzschließungen leiden. Nach WKÖ-internen Schätzungen würden ein Aus für den grenzenlosen Reiseverkehr im Schengen-Raum und die damit einhergehenden Verzögerungen im grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr allein für Österreichs Wirtschaft Zusatzkosten von ca. 1,2 Mrd. Euro pro Jahr verursachen. Ich wünsche mir, dass Schengen möglichst bald wieder voll funktionsfähig ist. Dafür brauchen wir aber funktionierende EU-Außengrenzen.

In dieser Frage hat die gesamte EU keine vernünftige Antwort. Fürchten Sie eine Schwächung, vielleicht sogar den Bruch der EU?
Leitl: In schwierigen Zeiten muss Europa zusammenstehen. Das gilt umso mehr angesichts der extremen Herausforderungen wegen der Flüchtlingsfrage. Ich vertraue nach wie vor darauf, dass Europa aus jeder Krise lernt und auch jetzt zu konstruktiven und dem europäischen Geist verpflichteten Lösungsansätzen willens und fähig ist. Nationale Alleingänge wären am Ende zum Schaden aller.

Papst Franziskus äußert sich oft sehr pointiert zum Thema Wirtschaft. Wie beurteilen Sie solche Äußerungen der Kirche zu Wirtschaftsfragen?
Leitl: Ich bin ein Bewunderer von Papst Franziskus. Er spricht auch bei vielen weltlichen Themen – sei es die Wirtschaft, seien es die Entwicklungen in Europa – jene Probleme an, die den Menschen unter den Nägeln brennen. So wie er halte auch ich es für Besorgnis erregend, dass es die Politik noch nicht geschafft hat, Phänomenen wie der Spekulation im internationalen Finanzwesen oder der globalen Steuervermeidung mit wirksamen Regeln und Kontrollen zu begegnen. Das sollte in einer sozialen Marktwirtschaft, der ich mich verpflichtet fühle, selbstverständlich sein. Ich glaube aber auch, dass denjenigen Respekt und Anerkennung zu zollen ist, die etwas leisten und damit Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen.

Sie sind bekennender Katholik. Was erwarten Sie sich von der Kirche? Nicht nur in Wirtschaftsfragen, sondern generell in gesellschaftsrelevanten Fragen?
Leitl: Kirche und Wirtschaft haben gerade in turbulenten Zeiten, wie wir sie derzeit erleben, gemeinsam eine wichtige Aufgabe zu erfüllen: den Menschen Halt und Orientierung, Entfaltungsmöglichkeiten und Sinnhaftigkeit zu vermitteln und zugleich die materielle Basis für die Erfüllung ihrer Lebensvorstellungen zu geben. Und natürlich hat die Kirche – so wie die Wirtschaft – darüber hinaus auch die Aufgabe, die Stimme zu erheben und Notwendigkeiten für eine positive Entwicklung aufzuzeigen.