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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

In der Vertikale

Generalvikar Engelbert Guggenberger im SONNTAG-Gespräch

Der bergbegeisterte Generalvikar über sein jüngstes Buch, was ihm das Klettern für sein Leben bringt, einen folgenschweren Sturz und die Gotteserfahrung am Berg

Engelbert Guggenberger, Generalvikar der Diözese Gurk und begeisterter Extremkletterer, über die Berge als Schule für das Leben, seine (Gottes)erfahrungen beim Klettern und die Kraft, die er aus den Erlebnissen in den Felswänden schöpft. (© Foto: Guggenberger)
Engelbert Guggenberger, Generalvikar der Diözese Gurk und begeisterter Extremkletterer, über die Berge als Schule für das Leben, seine (Gottes)erfahrungen beim Klettern und die Kraft, die er aus den Erlebnissen in den Felswänden schöpft. (© Foto: Guggenberger)
Generalvikar Guggenberger mit seinem jüngsten Buch (© Foto: pressestelle/neumüller)
Generalvikar Guggenberger mit seinem jüngsten Buch (© Foto: pressestelle/neumüller)

In Ihrem jüngsten Buch „In der Vertikale“ schildern Sie Kletter-erlebnisse und betten diese in einen größeren Zusammenhang. Wie kam es zu Ihrer Begeisterung für das Klettern?
Guggenberger: Ich bin als Sohn des Hüttenwirtes vom Hochweißsteinhaus im Lesachtal aufgewachsen. Auf der Hütte verkehrten Kletterer, die am Abend von ihren Abenteuern erzählt haben. Wenn man dann von hohen Bergen und steilen Wänden umgeben ist, kommt schon die Faszination auf. Die Liebe zu den Bergen wurde mir sozusagen in die Wiege gelegt.

Bis zu schwierigsten Kletterrouten ist es aber noch ein weiter Weg.
Guggenberger: In meiner Jugend war ich begeisterter Kletterer. Als ich in Rom studiert habe, bin ich aus der Übung gekommen und wollte mit dem Klettern aufhören. Zum 30. Geburtstag schenkte mir meine Schwester aber die damals neuen amerikanischen Kletterpatschen. Das habe ich irgendwie als familiären Auftrag gesehen, mit dem Klettern weiterzumachen.

Was gibt Ihnen das Klettern in schwierigen Routen?
Guggenberger: Es ist ein so guter Ausgleich für mein Leben, dass ich dem einen wichtigen Stellenwert eingeräumt habe. Klettern wirkt sich rundum positiv aus, gibt mir viele Anregungen. Die Erfolge haben mich angespornt, immer schwierigere Touren zu suchen. Ich habe auch die Schönheit entdeckt, die das Klettern bringt.

Sie beschreiben in Ihrem Buch Ihr ganz besonderes Verhältnis zu den Dolomiten.
Guggenberger: Die Dolomiten sind für das alpine Klettern die idealen Berge. Sie sind von einer Steilheit, die es in diesem Maße auf der ganzen Welt nirgendwo sonst gibt. Dennoch ist der Fels griffig und kletterbar. Das macht das Faszinosum der Dolomiten aus. Es ist ja schon ein ganz eigenes Gefühl, in solchen überhängenden Wänden überhaupt stehen zu dürfen.

So ausgesetzte Touren sind ja auch gefährlich. Lieben Sie das Risiko?
Guggenberger: Nicht unbedingt. Es sollte immer ein kalkulierbares Risiko sein. Das gilt nicht nur für das Klettern. Das Risiko gehört einfach zum Leben dazu. Wenn Sie ein Unternehmen gründen, gehen Sie ein Risiko ein. Wenn Sie eine Beziehung beginnen ebenso. Entfaltung im Leben gibt es ohne Risiko nicht. Selbst das Kleinkind, wenn es gehen will, muss aufstehen und geht damit ein Risiko ein.

Kann man sagen: Je höher das Risiko, umso größer die Freude?
Guggenberger: Wenn man es geschafft hat, eine Tour zu klettern, die einen entsprechenden Einsatz benötigt, ist das Gefühl danach viel schöner, als nach einer gewöhnlichen Wanderung. Nirgendwo sonst werden die Gefühle so mächtig, wie bei einem alpinen Abenteuer. In unserer Gesellschaft gibt es ja ein notorisches Defizit an Erlebnissen. Das Leben in den Bergen gibt uns ein bisschen etwas zurück von dieser Urtümlichkeit, nach der sich der Mensch sehnt. Da spürt man das Leben so richtig pulsieren.

Spielt dabei das Überwinden von Grenzen – physisch wie psychisch – eine Rolle?
Guggenberger: Natürlich lotet man aus, wie weit man gehen kann. Das hat übrigens Auswirkungen auf andere Felder. Wenn man schwierige Situationen am Berg bewältigt hat, fühlt man sich auch schwierigen Entscheidungen etwa im Beruf eher gewachsen.

Bringen die Berge eine bestimmte Form der Selbsterkenntnis?
Guggenberger: Man entdeckt, wie stabil man selbst ist. Gleichzeitig übt man die Stabilität gerade in bedrängten Situationen ein. Es kommt in so einer Wand ja vieles auf einen zu, nämlich physisch in Form des Kraftaufwandes, den man braucht, als auch psychisch. Gerade in den überhängenden Wänden der Dolomiten erlebt man fast irrationale Situationen. Das gibt Sicherheit.

Wie viel Gottvertrauen braucht es bei solchen Touren?
Guggenberger: Da gilt es zu unterscheiden. Eine solche Tour muss man zunächst selbst verantworten und kann die Verantwortung nicht an Gott delegieren. Es braucht also in jeder Beziehung die richtige Vorbereitung – von der Planung über das Training bis zum richtigen Material. Da habe ich einen rationalen Glauben. Die Gottesbeziehung ist aber eine Hilfe. Wenn man in einer Gottesbeziehung lebt, fühlt man sich geborgen.

Bischof Stecher prägte den Satz: „Viele Wege führen zu Gott. Einer führt über die Berge.“ Gibt es am Berg eine Gotteserfahrung?
Guggenberger: Ja, und zwar in vielfältiger Weise. Zunächst, dass man in der Natur ist. Dadurch ist die Schöpfung ein Gegenüber, das von sich her den Gedanken aufkommen lässt, dass die Welt göttlichen Ursprungs ist. Neben der Schönheit der Natur erlebt man auch ihre Mächtigkeit. Ich greife so gerne den Dolomit an, diesen honiggelben Fels. Er ist nicht so hart, sondern glatt und fast ein bisschen wie Wachs. Wenn ich dann denke, dass dieses Gestein aus Muscheln besteht, die hier vor 200 Millionen Jahren lebten, fühle ich mich dieser Schöpfung besonders nahe.

Ist Klettern damit eine Art mystisches Erleben?
Guggenberger: Ja. Ganz besonders betrifft dies die Zeit. Es heißt ja: Wenn man ganz in der Zeit ist, erfährt man in der Zeit Gott. Wo ist man mehr ganz bei sich, als beim Klettern? Da vergisst man alles rundherum und ist vollkommen in der Zeit. Es ist wie ein Tor, das sich zum Schöpfer auftut. Man bekommt das Gefühl dafür, dass es mehr gibt als diese Welt.

Einen ganz besonderen Stellenwert hat die Kameradschaft. Wie ist es, wenn das Leben an einem fast seidenen Faden hängt und in der Hand eines anderen liegt?
Guggenberger: Man ist auf Gedeih und Verderben aneinander gebunden. So entsteht eine ganz tiefe Beziehung zum Kletterpartner oder zur -partnerin. Es geht auch darum, dass man die Tour gemeinsam bewältigen muss. Wenn man selbst nicht mehr weiter weiß, gibt es immer noch einen Partner, der helfen kann. Daher sind diese Kletterpartnerschaften etwas ganz Besonderes.

Sie selbst haben einen schweren Sturz erlebt, den Sie in Ihrem Buch auch beschreiben. Wie gehen Sie damit um?
Guggenberger: Ich hatte das Glück, dass ich diesen Unfall rasch bewältigt habe. Ich hatte nie das Gefühl, dass es falsch war, diese Route zu gehen. Die größten Schwierigkeiten lagen ja bereits hinter uns, was beweist, dass wir gut vorbereitet und der Tour gewachsen waren. Somit war dieser Unfall einfach Pech. Ich hatte ja noch Glück im Unglück, weil „nur“ der Fuß gebrochen war. Zwar sehr kompliziert, aber hätte es das Becken oder gar den Rücken erwischt, wären die Folgen viel schlimmer gewesen. So habe ich rasch versucht, die Heilung voranzutreiben. Ich habe ja die ganz großen Touren schon gemacht, bin jetzt 64 Jahre alt und muss nichts mehr beweisen. Für mich ist aber entscheidend, dass ich weiter klettern kann. Die Verletzung hat keine Folgen, die mich daran hindern würden. Ich werde also ganz normal weitermachen wie bisher.