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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

“Helfen” ist die meistgesprochene Sprache der Welt

Franz Küberl im "Sonntags"-Interview über sein jüngstes Buch

Der ehemalige Caritas-Österreich-Präsident hat viele "Sprachen des Helfens" kennengelernt. In seinem Buch erzählt er aus seinen Erfahrungen und erklärt, wie man diese "Sprache" spricht.

Der ehemalige Caritas-Österreich-Präsident hat viele “Sprachen des Helfens“ kennengelernt. Im SONNTAG-Interview erzählt er aus seinen Erfahrungen und erklärt, wie man diese “Sprache“ spricht. (© Foto: Caritas Österreich)
Der ehemalige Caritas-Österreich-Präsident hat viele “Sprachen des Helfens“ kennengelernt. Im SONNTAG-Interview erzählt er aus seinen Erfahrungen und erklärt, wie man diese “Sprache“ spricht. (© Foto: Caritas Österreich)
 (© Foto: Furgler)
(© Foto: Furgler)

In Ihrem jüngsten Buch schreiben Sie, die meist gesprochene Sprache der Menschen ist das Helfen. Wie haben Sie das in Ihrer Zeit als Caritas-Verantwortlicher erfahren?
Küberl: Wir Menschen können ja nur miteinander leben und brauchen andere. Das beginnt bei der Geburt und endet beim Sterben. Daher ist es mir über die Jahre in der Caritas bewusst geworden, dass das Helfen die meistgesprochene Sprache der Menschheit ist, weil es in jeder Gegend der Welt Menschen gibt, die in der Lage sind, anderen beizustehen.

Wie spricht man diese Sprache? Sie ist ja wohl von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ...
Küberl: Ja, weil jeder Mensch einmalig ist und jeder Mensch eine andere Nuance des Helfens zum Ausdruck bringt. Nicht jeder hat dieselbe Kapazität. Auch wenn nicht jeder an die Hilfe gleich herangeht, ist es doch vergleichbar.

Ist das die von Ihnen erwähnte „Grammatik des Helfens“?
Küberl: Ich sehe eine „Grammatik des Helfens“, weil man gewisse Grundvoraussetzungen und Grundeigenschaften vergleichen kann. Am deutlichsten sieht man das beim Ziel des Helfens. Das Helfen dient ja dazu, dass jeder, der Hilfe braucht, diese bekommt. Auf gar keinen Fall dient es dazu, den Helfer berühmt zu machen.

Bei der Grammatik des Helfens gibt es wohl auch verschiedene Deklinationen oder Konjugationen. Was wären so die grammatikalischen Feinheiten der Sprache des Helfens?
Küberl: Die erste und wichtigste Feinheit ist, dass man nur auf gleicher Augenhöhe helfen kann. Ich kann mich nicht auf ein Stockerl stellen und als Helfender symbolisieren, dass ich etwas Besseres bin. So könnte der, dem geholfen wird, diese Hilfe gar nicht annehmen. Das ist ein Fundament. Ein zweites ist, dass es Treue zum Hilfesuchenden braucht. Drittens, dass Helfen damit zu tun hat, dass man eine bestimmte Ausdauer hat und nicht bei der ersten Schwierigkeit davoneilt. Man muss auch damit umgehen können, dass es eine Macht des Helfenden gibt. Damit muss man sehr sorgsam umgehen. Und dann habe ich in der Caritas oft erfahren, dass Helfen auch Grenzen haben kann. Die Frage, ob ich in der Lage bin, diese Grenzen dem Hilfesuchenden zu kommunizieren, ist eine wichtige Sache.

Man spricht ja auch oft vom hilflosen Helfer ...
Küberl: Ich bin sehr strikt gegen dieses Verdikt des hilflosen Helfers. Dieser wäre ja gar nicht in der Lage zu helfen. Aber wir sind nun einmal nicht vollkommen und daher ist auch das, was wir zugunsten anderer tun können, nicht vollkommen. Ich habe schon Situationen erlebt, in denen es mir sehr recht gewesen wäre, wenn ich bestimmte Schwierigkeiten von Menschen ausräumen hätte können. Etwa durch genügend Geld. Aber es geht eben nicht immer. Es gibt Grenzen des Helfens. Wir sind nur ein Teil des Bodenpersonals Gottes und nicht Gott selbst.

Ist das auch, was Sie als „Sprachlosigkeit des Helfens“ bezeichnen?
Küberl: Die Sprachlosigkeit des Helfens kann schon auch damit zu tun haben, dass es Situationen gibt, die einen überwältigen. Ich denke an Schicksale, die man erfährt und auf die man keine Antwort weiß. Denken Sie an das Gesundheitswesen. Wenn Menschen an einer sehr schweren Krankheit leiden, ist man als Helfer zunächst einmal sprachlos und weiß vorerst nicht, wo man ansetzen soll.

Sprache ist doch ein sehr komplexes, vielschichtiges Wesen. Man kann mit der Sprache sehr pragmatisch umgehen, kann aber auch Poesie, also eine Sprache des Herzens, schaffen. Gilt das für die Sprachen des Helfens genauso?
Küberl: Zum Helfen gehört zunächst dazu, dass es zwei Melodien gibt. Einmal die Melodie des Herzens, die Einfühlsamkeit. Das andere ist aber auch der sachliche Bezug. Dass ich mich schon auskennen muss, wenn ich helfe. Hilfe ohne Herz wäre mitmenschlich kalt. Hilfe ohne Sachverstand würde am Ziel vorbeigehen und den Menschen, der Hilfe braucht, womöglich in eine noch schwierigere Situation bringen.
Wird „Helfen“ heute zunehmend zur Fremdsprache? Das heißt: Haben Sie das Gefühl, dass bei uns die „Sprache des Helfens“ verlernt wird?
Küberl: Ich bin eher davon überzeugt, dass das Helfen insgesamt in einer Hochform ist. Heute gibt es mehr Freiwillige als vor 20 oder 30 Jahren. Das ist für mich ein sehr gutes Signal. Dazu muss man bedenken, dass ein großer Teil dessen, was wir unter Hilfe verstehen, bei uns staatlich organisiert ist. Die Sozialversicherung ist eine große Leistung mit einer ungeheuren Kraft an Hilfsleistungen. Das wissen wir oft zu wenig zu schätzen und ordnen es gar nicht in den Bereich des Helfens ein. Dasselbe gilt für das Gesundheitssystem, Pflegewohnhäuser etc. Ich halte das für einen zentralen Fortschritt des Helfens.

Hier sprechen wir aber von bezahlten Hilfe-Profis ...
Küberl: Auch die Leute, die dort tätig sind, sind Menschen, die anderen zur Seite stehen. Das heißt, die Sprache, die Grammatik des Helfens gilt für sie ebenso. Im bezahlten Helfen stellt sich die Frage, mache ich auch etwas, das über das normale Maß hinausgeht, um Menschen in besonderer Weise zur Seite zu stehen? Oder spule ich das nur ab? Diese Fragen sind nicht unwesentlich. Die Qualität des Helfens hängt ja vor allem davon ab, ob jene, die anderen zur Seite stehen, in diesen auch einen gleichwertigen Menschen sehen.

Sollte die „Sprache des Helfens“ lauter gesprochen werden, um andere „anzustecken“?
Küberl: Die Ansteckung erfolgt eigentlich durch das Ansprechen der Menschen. Vor kurzem fand eine Umfrage zu dem Thema statt. Dabei hat die Hälfte jener, die nicht ehrenamtlich helfen, gesagt: Sie tun es nicht, weil sie noch nicht angesprochen wurden. Das Potenzial ist also sehr hoch.

Wie und wo kann man am besten die Sprache des Helfens lernen?
Küberl: Der Ausgangspunkt ist Aufmerksamkeit. Da ist einmal das unmittelbare Helfen in der Nachbarschaft, der Familie oder dem Kollegenkreis. Der nächste Schritt ist dann, dass man sich am besten einer Gemeinschaft anschließt. Ob das nun die Caritas ist oder Amnesty, eine Entwicklungshilfe-Organisation oder das Rote Kreuz, die Feuerwehr etc. Es gibt sehr viele Möglichkeiten zu helfen. Dort kann man sich auch nötige Kenntnisse aneignen. In der Caritas Steiermark haben wir für Ehrenamtliche über 70 Betätigungsfelder definiert. Das sind ganz unterschiedliche Tätigkeiten, die auch ganz unterschiedliche Kompetenzen, Zeitaufwand etc. benötigen. Es kann ja nicht jeder jedem helfen. Aber das Mindeste sollte sein, dass jeder in der Lage sein sollte, denen, die anderen helfen, wenigstens ein Danke zu sagen.

Was möchten Sie mit Ihrem Buch erreichen?
Küberl: Ich halte es zunächst für wichtig, dass man über jene, die helfen, nachdenkt und mit anderen darüber spricht. Wenn mein Buch dazu anregt, sich über das Helfen Gedanken zu machen – und sich vielleicht dann selbst zu engagieren –, wäre das Ziel erreicht.

Interview: Gerald Heschl

 

Zum Buch:

Franz Küberl: Sprachen des Helfens. Verlag Styria/Kleine Zeitung, 160 Seiten, Preis: € 19,90
Franz Küberl kennt die Facetten und Motive des Helfens aus langjähriger persönlicher Erfahrung: Die kranke Mutter pflegen, den Nachbarn unterstützen, Asylwerbenden zur Seite stehen, strukturierte Obdachlosenarbeit leisten, Hungerhilfe im Südsudan organisieren – geholfen wird täglich, vielfältig und unmittelbar.