Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Fundamentalisten haben keinen Humor

Paul Chaim Eisenberg im SONNTAG-Gespräch über sein jüngstes Buch

In seinem Buch "Auf das Leben!" erzählt der langjährige Oberrabbiner über "Witz und Weisheit eines Oberrabbiners". Im Interview spricht er über den jüdischen Witz, den Dialog zwischen Christen und Juden und religiösen Fundamentalismus

Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg im SONNTAG-Gespräch über jüdischen Witz und Weisheit, über den christlich-jüdischen Dialog und Fundamentalismus (© Foto: Verlag Brandstätter)
Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg im SONNTAG-Gespräch über jüdischen Witz und Weisheit, über den christlich-jüdischen Dialog und Fundamentalismus (© Foto: Verlag Brandstätter)
Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg (© Foto: ikg)
Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg (© Foto: ikg)

Sie stellen am 1. Februar in Tainach ihr neues Buch „Auf das Leben!“ vor. Worum geht es in diesem Buch?
Eisenberg: Das Buch ist keine Biographie, es ist die Geografie meiner Standpunkte. Wo ich stehe und wo ich glaube, dass auch das Judentum gegenwärtig steht. Ich vertrete eine Mittelposition. Ich habe eine sehr große Liebe zur goldenen Mitte.

Der Untertitel lautet „Witz und Weisheit eines Oberrabbiners“. Welche Form von Witz kann man sich erwarten?
Eisenberg: Ich habe mich viele Jahre lang mit dem jüdischen Humor sehr intensiv beschäftigt. Und selbstverständlich noch viel mehr mit Thora und Talmud. Dabei habe ich verstanden, wie dies alles zusammenhängt. Auf den Punkt gebracht: Humorlos zu sein, ist nicht jüdisch. Aber nur nette Witze zu erzählen, ist zu wenig. So habe ich diese Verbindung gefunden.

Also die Verbindung von „Witz und Weisheit“ ...
Eisenberg: Ja, genau. Ich spreche auch nicht von „Witzen“, sondern vom „Witz“. Wer „gewitzt“ ist, ist ja auch weise. Oder im Englischen heißt es „wit“, was auch mit „Verstand“ übersetzt werden kann. Vor allem habe ich solche Weisheiten gewählt, aus denen die Menschlichkeit des Judentums hervorgeht. Dazu finden sich immer wieder wunderschöne Geschichten.

Haben Sie ein Beispiel?
Eisenberg: Eine Geschichte, die aber nicht im Buch steht, geht so: Ein reicher Jude verlor seinen Geldbeutel. Er hat daraufhin versprochen, dass er dem Finder zehn Prozent Finderlohn gibt. Ein armer Mann findet den Beutel und gibt ihn beim Reichen ab. Im Beutel befinden sich 900 Taler. Der Reiche sagt daraufhin: „Ja, das ist mein Beutel. Aber es waren 1000 Taler drin. Du hast dir deinen Finderlohn schon genommen.“ Der Arme bestreitet das und will seine zehn Prozent. Daraufhin gehen beide zum Rabbiner. Dieser sagt: „Der Beutel gehört dem armen Mann, der ihn gefunden hat. Denn im Beutel des Reichen waren ja 1000 Taler, aber der Arme hat einen Beutel mit 900 gefunden. Also kann es nicht der Beutel des reichen Mannes sein.“ Der Reiche musste seinen Betrug am Armen zugeben, erhielt seinen Beutel und der arme Mann seine Belohnung. Das ist also kein Witz im eigentlichen Sinne, sondern eine witzige, aber sehr weise Geschichte.

Aber Oberrabbiner ist ja nun doch ein hochwürdiges Amt. Wie passen dazu Witz und Humor?
Eisenberg: Schauen Sie, als Oberrabbiner muss ich mit vielen Leuten auskommen, die sehr gesetzestreu sind und auch mit solchen, die es überhaupt nicht sind. Wenn ich nun gefragt werde: Was ist der Unterschied zwischen einem Rabbiner und einem Oberrabbiner? So sage ich: Der Rabbiner muss die Regeln kennen, aber der Oberrabbiner auch die Ausnahmen. Das ist zwar ein Witz, aber mit sehr viel Wahrheit und Weisheit dahinter.

Der jüdische Witz ist ein ganz eigenes Genre ...
Eisenberg: Das ist schon etwas ganz Eigenes, und es gibt verschiedene Arten des jüdischen Witzes. Leider gibt es aber auch sehr viele antisemitische Witze, die unter diesem Deckmantel verbreitet werden und die Juden heruntermachen. Ich bin gegen jeden Witz, der auf Kosten von anderen ist. Ich bin auch gegen jede Art von Schadenfreude, wie man sie in jüngster Zeit immer wieder im Fernsehen findet. Man muss sehr sensibel sein, was geht und was nicht.

Wenn man sich die Jahrhunderte währende Verfolgung der Juden – bis hin zur geplanten Ausrottung in der Shoah – ansieht, so wundert man sich, dass den Juden der Humor noch nicht vergangen ist. Ist das auch eine Strategie eines verfolgten Volkes?
Eisenberg: Dazu erzähle ich noch eine Geschichte, die in den Dreißiger Jahren spielt: Ein Jude sieht in der Straßenbahn, wie ein anderer Jude den „Völkischen Beobachter“, die Zeitung der Nazis, liest. Er spricht ihn an und sagt: „Wie kannst du das lesen?“ Der Zeitungsleser antwortet: „Wenn ich die jüdischen Zeitungen lese, dann steht dort, dass wir verfolgt, deportiert und gefoltert werden. Das gefällt mir nicht. Aber in dieser Zeitung steht, die Juden sind so reich, sie sind so mächtig, den Juden gehört die ganze Welt. Das gefällt mir.“

Das klingt fast nach Galgenhumor ...
Eisenberg: Mein Vater war in Ungarn mit einigen Brüdern versteckt. So hat er den Holocaust, die Shoah, überlebt. Sie waren eng beisammen, konnten nichts machen, mussten meistens leise sein. Sie waren ständig in Gefahr, entdeckt und anschließend ermordet zu werden. Er hat mir erzählt, dass er vorher und nachher in seinem Leben nie so viel gelacht hat, wie in dieser Zeit. Da ist schon auch eine Art Galgenhumor dabei.

Immer wieder hört man vom neuen Antisemitismus in Europa. Wie beurteilen Sie die Situation?
Eisenberg: Der Antisemitismus hat sich in jüngster Zeit gewandelt in Richtung einer Ablehnung des Staates Israel. Daraus folgen auch die Terroranschläge, die in ganz Europa gegen jüdische Einrichtungen verübt werden. Die Religion als Ausrede dafür zu verwenden, halte ich für ganz schlimm. Da wird die Religion missbraucht. Ich glaube ja, dass Fundamentalisten keinen Humor haben. Sie nehmen sich überernst. Sie haben ein Sendungsbewusstsein, obwohl sie niemand gesandt hat. Sie schauen immer grimmig drein. Die positive Seite des Humors ist, dass man den Glauben ernst nimmt – aber nicht todernst.

Seit dem II. Vatikanischen Konzil gibt es einen intensiven Dialog zwischen Christentum und Judentum. Wie wichtig ist dieses religionsübergreifende Gespräch?
Eisenberg: Das Konzil war ein Wendepunkt. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass es für das christlich-jüdische Gespräch entscheidend ist, dass der jüdische Vertreter standfest im Judentum ist und der christliche Vertreter im Christentum. Wenn man eine Brücke baut, dann muss man auf beiden Seiten starke Fundamente haben. Wenn man einen Juden und einen Christen hat, die beide sehr säkular sind, dann ist es vielleicht ein nettes Plaudern, aber kein christlich-jüdisches Gespräch. Sie müssen dem anderen zuhören, von ihm lernen – aber nicht missionieren. Das hat sich durch das II. Vatikanische Konzil verändert. Heute sprechen wir auf Augenhöhe miteinander.