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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Frieden säen in unruhiger Zeit

Pfarrer Johannes Staudacher im "Sonntags-Gespräch"

Ist Härte der richtige Weg zum Frieden? Besiegt Vergeltung das Böse? Der Seelsorger und Theologe über Wege zum Frieden in Bibel und Weltliteratur

Ist Härte der richtige Weg zum Frieden? Besiegt Vergeltung das Böse? Der Seelsorger und Theologe Johannes Staudacher im SONNTAG-Interview über Wege zum Frieden in Bibel und Weltliteratur. (© Foto: Fotos: Haab und KH Kronawetter / Montage KHK)
Ist Härte der richtige Weg zum Frieden? Besiegt Vergeltung das Böse? Der Seelsorger und Theologe Johannes Staudacher im SONNTAG-Interview über Wege zum Frieden in Bibel und Weltliteratur. (© Foto: Fotos: Haab und KH Kronawetter / Montage KHK)
 (© Foto: Haab)
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Die Zeiten sind hart – mit Härte und harter Sprache werden in vielen Ländern Wahlen gewonnen. Wie ist das zu erklären?
Staudacher: Während des Zweiten Weltkrieges hat man im Nachhinein bemerkt, dass in den Gedanken und in der Sprache das Böse, dann geschah, schon vorher enthalten war. So gesehen ist es sehr besorgniserregend, dass Menschen mit harter, liebloser Sprache Stimmen fangen können, Völker hinter sich vereinen, und dass die Härte sich mit der Mehrheit verbindet. Was Gedanke und Wort ist, wird in der Geschichte normalerweise auch leibhaftige Wirklichkeit. Deshalb ist für mich das Thema „Friede“ ganz aktuell: nicht nur für bestimmte Regionen der Welt, sondern auch für unser Land und für Europa.

Wenn auf den Philippinen, in Amerika, der Türkei und auch immer näher die Harten an die Macht kommen – wie ist es möglich, dem zu begegnen?
Staudacher: Die Sorge, die uns irritiert, ist: Weil das andere sich so stark zeigt, müsste man mit gleich starker Waffe dagegenhalten. Das kann und muss aber nicht unbedingt so sein. Es gibt das bekannte Wort von Konfuzius: Weich ist stärker als hart. Er hat damit sehr wohl auch Politisches gemeint. Die Frage ist nur, ob dieses Weiche, Lebensfreundliche genug Träger hat. Ob es sich geschichtlich so deutlich und verständlich machen kann, dass es auch den Weg eines Landes, einer größeren Gemeinschaft wieder zu prägen beginnt.

Sie meinen: Gerade das Weiche kann dem Harten erfolgreich widerstehen?
Staudacher: Wenn ich an die Bibel denke, das Gleichnis vom Sauerteig: Jesus war überzeugt, dass das Gute, wenn es hineingemengt wird in die Menge des Teiges, den ganzen Teig durchsäuern kann. Grundsätzlich gesehen geht es um eine Unterscheidung: Vertraust du auf die Macht der Güte oder auf die Macht des Negativen? Denn auch mit gleichen Mitteln gegen das Negative zu kämpfen, ist eine Kapitulation davor.

In Tainach setzen Sie sich dazu mit Werken der Weltliteratur auseinander. Welche Antworten finden Sie dort?
Staudacher: Es geht um das Aufgreifen dessen, was in der Welt außerhalb des Glaubensbereiches da ist. Ich war ganz überrascht von Nietzsche, der in einem Zusammenhang sagt, dass dort, wo die Tätigen, also die Starken sind, es irgendwann zur Barbarei führt. Und er empfiehlt dagegen: Hinschauen lernen, gründliches Erwägen, vorsichtiges Reden.

Also nicht hinschauen und sagen: Kenn ich eh schon ...
Staudacher: Nein, sondern erst einmal überhaupt gründlich hinschauen. Der zweite Schritt ist, sich damit wirklich über eine längere Zeit auseinanderzusetzen. Der schnelle Aufschrei sagt ja, dass ich weder nachgedacht, noch wirklich hingeschaut habe. Und das dritte ist: Sprechen und schreiben lernen. Wenn jeder, der etwas postet, es einen Tag am Computer stehen ließe und erst dann abschicken würde, wäre schon viel gewonnen.

In Tainach sprechen Sie auch über Hamlet?
Staudacher: Es ist das gleiche Thema, das mich bei Hamlet so überrascht hat. Hamlet ist das meistgespielte Theaterstück der europäischen Kulturgeschichte. Es geht um Rache; darum, dass das Unrecht aus der Welt ist, wenn es gerächt ist: „O Weh, dass ich zur Welt sie einzurichten kam“, sagt Hamlet. Und „einzurichten“ heißt hier: Etwas ist passiert, wir müssen dagegenschlagen. Es geschieht auch so, und am Ende haben alle Protagonisten sich oder einander umgebracht. Shakespeare hat das offensichtlich als symbolische Geschichte verstanden, dass die Welt über Rache nie eine Zukunft hat. In diesem Totenfeld erinnert sich Hamlet an einen Freund mit dem Namen Horatio, und er weiß: Dieser Horatio ist einer, der wäre ganz anders gewesen als er selbst.

Inwiefern?
Staudacher: Hamlet konnte nur aus dem Impuls der Rache leben und hat z. B. die Liebe, die ihn mit Orphelia verband, vernachlässigt. Es gibt nur mehr den Kampf, die Härte ... Und doch weißt er: Die Welt hätte andere Menschen gebraucht als ihn. Er hat gedacht, er kommt, die Welt einzurichten, in Wirklichkeit hat er sie zugrunde gerichtet. Horatio skizziert er so, dass dieser ein Mann ist, „der Stöß und Gaben vom Geschick mit gleichem Dank genommen“. Es sind nur vier Zeilen im ganzen Theaterstück, aber sie sind die Schlüsselstelle, an der Shakespeare sagt: Nur von solchen Menschen kann man etwas erhoffen. Das, was Glück ist, aber auch das, was schlimm ist, nimmt er an mit gleichem Dank als Teil des Lebens. Er geht damit friedvoll um und ist fähig, so den Kreislauf des Bösen zu durchbrechen. Da heißt es auch: „Du littest nicht, indem du alles littest.“ Das heißt: Du warst kein Leidender, kein Opfer, sondern hast alles ertragen können. Dadurch warst du etwas anderes als die, die aus einem Benachteiligt-Sein, aus einem Verletzt-Sein negativ handeln. Diese Fähigkeit, das, was uns an Unrecht begegnet, zu erleiden, im Innern umzuwandeln und darauf mit Frieden zu antworten, das ist das, was Jesus gesagt hat: Antwortet auf Böses mit Gutem.

Drängt uns nicht der Überlebensinstinkt in die gegenteilige Richtung?
Staudacher: Auch Shakespeare meint, das sei die einzige Chance, für diese Welt zum Segen zu werden. Der andere Weg ist breit, aber er führt ins Verderben. Man braucht nur Hamlet zu lesen. Alle sind am Schluss Opfer. Die eigentliche Kostbarkeit in dem Text ist für mich mitten im Drama der Blick auf Horatio, der in seinem Herzen Negatives umwandeln kann in Frieden. Da haben wir den Schritt zur Karwoche, wo Jesus mit dem Gebet „Vater, vergib ihnen“ sein Leben beendet.

Auch Eva Mozes Kor, eine Auschwitz-Überlebende, die Sie zitieren, spricht von der befreienden Kraft der Vergebung?
Staudacher: Was ich an ihrem Buch so interessant finde: Der Mensch, der zum Vergeben gefunden hat, findet für sich einen ganz neuen Ort des Lebens und eine neue Freiheit. Er steht nicht mehr unter dem Diktat des Unheils, das ihn verletzt hat. Aber ihre Geschichte zeigt auch, wie lang so ein Weg sein kann.

Das Unrecht erleiden, aber trotzdem nicht Unrecht zu tun, sondern es einfach auszuhalten?
Staudacher: Das ist ein Schritt weiter als Eva Mozes Kor. Ihr geht es um die Freiheit, nicht so sehr um das Gute danach. Das hängt auch damit zusammen, dass sie keinen Glaubenszugang zum Thema hat. Sie weiß, dass das noch nicht ganz das ist, was die Bibel mit „Vergeben“ meint. Jesus hat mehr im Auge gehabt.

Wie meinen Sie das: Es braucht dazu einen Glaubenszugang?
Staudacher: Ich brauche, um auf Böses mit Gutem zu antworten, die Gnade des Guten. Sonst ist es ein von außen kommendes Gebot. Die Gnade ermöglicht etwas, das im Angesicht Gottes und im Angesicht der Geschichte zum Heil werden kann. Die Gnade ermöglicht, dass ich in einer bösen Geschichte etwas Gutes sehen und säen kann. Dass ich als Sauerteig auf diesen Geschichtslauf einwirken kann. Dazu braucht es das innere Erfahren, dass Gott mir etwas aufgetragen hat. Er selbst ist das Gute. In Jesus Christus kommt das Gute in die Welt, und das ist ein Stück weit auch mir in meinem Leben geschenkt und aufgetragen. Das ist nichts, was wir in der Hand haben. Es braucht das Annehmen, das Durchleiden, um dann auch – christlich gesprochen – vergebend etwas Gutes in die Welt zu setzen.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:

Johannes Staudacher, geboren 1954, in Nötsch im Gailtal aufgewachsen. Seit 1978 Seelsorger, seit 2005 mit dem Arbeitsschwerpunkt „Trauerbegleitung“. Der Pfarrer von Klein St. Veit ist zusätzlich geistlicher Begleiter der Gemeinschaft „Glaube und Licht“ und Gehörlosenseelsorger der Diözese Gurk.

Veranstaltungshinweis:

Johannes Staudacher: Menschen des Friedens in unruhiger Zeit. Wie stiften wir Frieden in einer aufgeregten Welt? Was heißt vergeben, und wie finden wir dazu?
Zweiteilige Veranstaltung:
Montag, 12. März, 19 Uhr, und
Montag, 19. März, 19 Uhr, Bildungshaus Sodalitas/Tainach. Beitrag: jeweils € 10,-

Klicken Sie hier, um Details zur Veranstaltung zu sehen.

Buchtipp zum Vortrag:
Eva Mozes Kor, Die Macht des Vergebens.
236 Seiten, Verlag Benevento (2016), € 18,99.