Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Feinsinn und Humor statt Fundamentalismus

Bibelwissenschaftler Christoph Dohmen im Sonntags-Interview

Wörtliches Verständnis wird der Bibel nicht gerecht: Der Regensburger Bibelwissenschaftler zur revidierten Einheitsübersetzung und Rätseln und Hintergründigem in der Bibel

Der Regensburger Bibelwissenschaftler Christoph Dohmen im SONNTAG-Interview zur revidierten Einheitsübersetzung und Rätseln und Hintergründigem in der Bibel (© Foto: SONNTAG / Georg Haab)
Der Regensburger Bibelwissenschaftler Christoph Dohmen im SONNTAG-Interview zur revidierten Einheitsübersetzung und Rätseln und Hintergründigem in der Bibel (© Foto: SONNTAG / Georg Haab)
Krippendarstellung auf einem Sarkophag aus dem 4. Jahrhundert (Rom, Vatikanische Museen) (© Foto: Klaus Einspieler; Haab)
Krippendarstellung auf einem Sarkophag aus dem 4. Jahrhundert (Rom, Vatikanische Museen) (© Foto: Klaus Einspieler; Haab)

Bibel und Koran: Beides gilt Weltreligionen als Grundlage. Wo machen Sie Unterschiede fest?
Dohmen: Die Bibel ist nach jüdisch-christlichem Verständnis eine Heilige Schrift dadurch, dass sie Glaubenszeugnisse durch Menschen niederlegt. Sie ist kein Buch, das Gott geschrieben hat. Beim Koran dagegen gibt es das Verständnis, dass es davon eine Urschrift im Himmel gibt. Was beide gemeinsam haben oder haben müssten: Es sind Texte, die  immer wieder neu  ausgelegt werden müssen. Fundamentalismus bei der Auslegung führt bei beiden zu schlimmen Dingen.

Dieser Tage erscheint die revidierte Einheitsübersetzung der Bibel. Was erwartet die Leserinnen und Leser?
Dohmen: Ein Bibeltext, der gründlich überarbeitet ist. Es ist mehr als ein Tilgen von Druckfehlern oder eine kleine Überarbeitung: Es haben sich einige grundlegende Prinzipien geändert, was sich auch auf die Übersetzung ausgewirkt hat.

Zum Beispiel?
Dohmen: An der alten Einheitsübersetzung haben zahlreiche Germanisten mitgearbeitet, und man hat viele der Sprachbilder aufgelöst im Anliegen, dass die Sprache möglichst verständlich ist. Jetzt dagegen haben wir uns dazu entschieden: Die Bibel soll verständlich sein, aber sie ist ein Text aus einer fernen Zeit, und das darf und soll auch spürbar bleiben – die Texte müssen nicht leicht eingängig sein.

Wie unterscheidet ein Bibelwissenschaftler das offenbarte Wort Gottes vom Wort der Bibel, das Menschen aufgeschrieben haben?
Dohmen: Die Offenbarung Gottes schlägt sich nieder in dem, was er durch Menschen hat aufschreiben lassen. Die Heilige Schrift ist Menschenwort mit all seinen Begrenzungen. Johannes Paul II. hat das sehr deutlich gesagt: Gott lässt sich ein auf alle Begrenztheiten dieser Sprache, bis hin zu Möglichkeiten, dass das nicht angemessen ausgedrückt werden kann, was er mitteilen wollte. Das Konzil hält deshalb fest, dass man auf die Einheit und Ganzheit der Heiligen Schrift achten muss; in ihrer Gesamtheit kann sie als Wort Gottes geglaubt werden. Auf keinen Fall kann man sagen: Das ist Gottes Wort, und deshalb ist das buchstäblich so. Eine solche Bibelauslegung ist fundamentalistisch, ist eine Selbstaufgabe des Denkens.

Man hört manchmal: Das Neue Testament ist Offenbarung, aber das Alte kann das wohl nicht sein, das ist doch überholt. Wie hängen die beiden zusammen?
Dohmen: Das Neue Testament ist nie ein eigenständiges Buch gewesen. Es ist die Fortsetzung der Bibel Israels, die auch für die Christen bis zum Ende des ersten Jahrhunderts die einzige Heilige Schrift gewesen ist. Daneben gab es zwar schon erste Zeugnisse der Christusverkündigung, auch schon schriftliche. Aber auch diese bauen auf dem Alten Testament auf und erklären Christus aus der Tradition Israels heraus. Der Titel „Jesus Christus“ ist ja wie eine Gleichung, bei der die Unbekannte Jesus ist, von dem gesagt wird, dass er der Christus ist. Was das bedeutet, erklärt die Schrift Israels.

‚Sie wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott mit uns.‘ Drei Verse weiter wird das Kind jedoch Jesus genannt.

Sie haben ein Buch über die Weihnachtsgeschichte geschrieben „Damit uns ein Licht aufgeht“. Gibt es so etwas wie einen Schlüssel zum Licht, zum Verständnis der Bibel?
Dohmen: Ich habe in genanntem Buch mehrere Elemente aus der Weihnachtsgeschichte genommen, um die Einheit von Altem und Neuem Testament aufzuzeigen. Gerade die Weihnachtsgeschichte ist für mich ein besonderes Beispiel der frühchristlichen Verkündigung; sie zeigt, wie Verheißung und Erfüllung ein Stück der Geschichte Gottes mit Israel sind. In der Geburtsgeschichte bei Matthäus gibt es fünf Verweise auf das Alte Testament, jeder von ihnen ist völlig anders. Für mich ist das der große Schlüssel zum Verständnis des Matthäus-Evangeliums: Nämlich dass man verschiedene Arten des Verständnisses der Botschaft des Alten Testamentes herannimmt.

Möchten Sie das erläutern?
Dohmen: Das erste ist das Jesaja-Zitat mit der Namensgebung. „Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: Gott mit uns.“ Die Deutung des Namens Immanuel gilt Matthäus als Erfüllung des Prophetenwortes, weshalb er den Namen eigens übersetzt. Drei Verse weiter wird das Kind jedoch nicht Immanuel genannt, sondern Jesus.  

Das erinnert an den Kalauer „Ich heiße Kurt. Das U am Anfang steht für Freude“. Welchen Sinn hat das?
Dohmen: Matthäus macht das bewusst. Der Leser soll aufmerken und dieses Zitat als Frage im Kopf zu behalten, um die Antwort im letzten Satz seines Evangeliums zu finden: Wenn der Auferstandene die Jünger aussendet und sagt „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Zeiten.“ Die Verheißung ist erfüllt – in dem Sinn, dass sie bis ans Ende der Zeiten weiterbesteht. Erfüllt bedeutet also nicht erledigt, sondern bekräftigt: Der Immanuel ist Christus, der Auferstandene, der für alle Zeiten mit uns ist.

Und was bedeuten Ochs und Esel an der Krippe, die ja in keinem Evangelium genannt werden?
Dohmen: Interessanterweise zeigen die ältesten Darstellungen von Weihnachten immer nur Kind und Ochs und Esel. Dahinter steht: Lukas erwähnt sehr subtil in seiner Geburtsgeschichte dreimal das Leitwort „Krippe“. Dieses Wort verweist auf die Eröffung des Buches Jesaja: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn“ (Jes 1,3). Lukas legt uns mit der Erwähnung einer Krippe also eine Spur, um die Geburt Jesu zu verstehen: Wie Ochs und Esel sollen wir erkennen, wer uns Nahrung und Leben gibt.

Interview: Georg Haab

 

Zur Person:
Univ.-Prof. Dr. Christoph Dohmen, geb. 1957 in Deutschland, studierte Theologie, Philosophie, Semitistik und Altorientalistik in Bonn und Köln. Für seine Dissertation erhielt er den Bonner Universitätspreis. 1990 wurde Dohmen als Universitätsprofessor für Exegese des Alten Testamentes nach Osnabrück berufen, 2000 nach Regensburg. 2001-2013 war er Mitglied der Päpstlichen Bibelkommission in Rom.