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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Die Kehrseite von Olympia

Von den Segnungen der Spiele haben die Menschen nichts

Copacabana, Zuckerhut, Samba. Rio de Janeiro bietet eine traumhafte Kulisse für die Olympischen Sommerspiele im August. Doch hinter den Kulissen brodelt es. Viele Menschen leiden unter den sozialen Auswirkungen des Mega-Events. von Manuel Meyer, Rio de Janeiro

Copacabana, Zuckerhut, Samba. Rio de Janeiro bietet eine traumhafte Kulisse für die Olympischen Sommerspiele im August. Doch hinter den Kulissen brodelt es. Viele Menschen leiden unter den sozialen Auswirkungen des Mega-Events. (© Foto: meyer)
Copacabana, Zuckerhut, Samba. Rio de Janeiro bietet eine traumhafte Kulisse für die Olympischen Sommerspiele im August. Doch hinter den Kulissen brodelt es. Viele Menschen leiden unter den sozialen Auswirkungen des Mega-Events. (© Foto: meyer)
Maria da Penha wurde aus ihrem Haus vertrieben (© Foto: Meyer)
Maria da Penha wurde aus ihrem Haus vertrieben (© Foto: Meyer)

Als Rio de Janeiro den Zuschlag für die Austragung der jetzt startenden Olympiade erhielt, freute sich María da Penha eigentlich. „Ich sehe gerne Leichtathletik. Zudem hofften viele von uns, hier in den nahen Sportstätten einen Job zu bekommen. Doch dann zerstörten sie mein Leben.“
Favelas im Weg
Mit „sie“ meint María die Stadtregierung von Bürgermeister Eduardo Paes. Dem war Marías Favela „Vila Autódromo“ ein Dorn im Auge. Schon seit 23 Jahren lebt die 51-jährige Brasilianerin in diesem Armenviertel in Barra da Tijuca, 56 Kilometer außerhalb Rios.
Die Behörden störte das nicht weiter. Millionen Menschen leben in Rio in Favelas, zapfen illegal Wasser und Strom ab, bauen ihre Stein- und Wellblechhütte selber. Doch María hatte das Pech, dass ihre Favela genau da steht, wo das Olympia-Gelände und das internationale Pressezentrum entstehen sollten.  
Räumungsaktionen
Zunächst versuchten die Behörden, die Bewohner mit lächerlichen Entschädigungszahlungen zu überreden, ihre Häuser zu verlassen. Dann kamen die Bagger, begleitet von der Militärpolizei. Es handelte sich um Nacht- und Nebelaktionen. Immer wieder wehrten sich die Anwohner gegen die Räumungsaktionen. Viele wichen der Polizeigewalt. Nach und nach wurden alle Favela-Häuser einfach niedergerissen. Und das, obwohl die 540 Familien ein 99-jähriges Bleiberecht hatten.
„Hier stand mein Haus. Da vorne gab es einen Bäcker und einen Supermarkt. Hier war der Kinderspielplatz“, zeigt María auf ein riesiges Schuttfeld gleich neben dem Olympiagelände. Sie ringt mit den Tränen. Nur die kleine, im dunklen Orange gestrichene Kirche ließ man stehen. María und die anderen Übriggebliebenen haben hier zwischen Gebetsbänken und Altar ihre wenigen Habseligkeiten zwischengelagert. Die Sonntagsmesse findet deshalb im Freien statt.
Begehrtes Bauland
Was María passierte, ist kein Einzelfall. „Mit der Ausrede der Fußballweltmeisterschaft und der Olympiade wurden auch in anderen Favelas rund 80.000 Personen einfach zwangsumgesiedelt. Doch anstelle von Infrastrukturprojekten für die beiden Großereignisse wurden schicke Büros, Einkaufszen-tren, Hotels und Luxuswohnungen gebaut. Bauunternehmen, Immobilienspekulanten und Politiker nutzen die Olympiade, um Arme von begehrtem Bauland zu vertreiben“, versichert Sandra Quintela, Koordinatorin des Instituto Políticas Alternativas para o Cone Sul (Pacs). Die NGO, die von der österreichischen Dreikönigsaktion der katholischen Jungschar unterstützt wird, untersucht die sozialen Kosten von Mega-Events und versucht, den Geschädigten zu helfen.  
Bürgermeister Eduardo Paes verteidigt sich: „Die Olympiade war eine Gelegenheit, die Infrastruktur der Stadt zu verbessern. Wir haben viele zuvor heruntergekommene Stadtviertel wieder renoviert und attraktiv für Touristen und Einwohner gemacht.“ „Das stimmt. Unser Viertel ist nun schöner und sicherer geworden. Aber wir können die gestiegenen Mieten nicht mehr zahlen“, entgegnet João Neli. Der Maler wohnt im alten Hafenviertel Porto Maravilha. Die Explosion der Mieten im Olympia-aufgewerteten Viertel verjagt immer mehr arme Anwohner in die Außenbezirke.  
Ende der Vorfreude
Fast zehn Milliarden Euro pumpte Brasilien in die Sportstätten und Infrastrukturprojekte in Rio, damit die Welt im August eine tadellose Olympia-Stadt sehen kann. Dann brach vor zwei Jahren die Wirtschaft ein und damit auch die Olympia-Vorfreude vieler Einwohner Rios. Denn Rio ist plötzlich hoch verschuldet, praktisch pleite, muss Milliarden für die Olympia-Projekte zahlen. So gibt es nicht einmal mehr Geld für Lehrer und Ärzte. Auch Rentner mussten monatelang auf ihre Monatszahlungen warten.
Schon seit drei Monaten werden 70 Schulen in Rio von Schülern besetzt. Sie protestieren dafür, dass die Lehrer wieder Lohn erhalten und Unterricht geben. „Man verbaut uns unsere Zukunft, nur weil Milliarden in Sportstätten investiert werden mussten“, schimpft die 16-jährige Schülerin María Cunha, die zusammen mit Kommilitonen ihre Schule Amaro Cavalcanti besetzt hält.
Loch im Gesundheitsbudget
Die Lage im Gesundheitssektor ist nicht einfacher. „Die wegen der Olympiade fehlenden Gelder im Gesundheitswesen sind für die Einwohner Rios ein größeres Gesundheitsproblem als das Zika-Virus“, erklärt Jorge Darze, Sprecher der brasilianischen Ärztegewerkschaft. Aufgrund leerer Staatskassen mussten im vergangenen Jahr gleich mehrere Krankenhäuser schließen. Die Ausstattung der Hospitäler sei ein Graus, es fehle sogar schon an Medikamenten und Spritzen.
Unterdessen erhöhte Rio mit Blick auf die Olympiade trotz leerer Kassen noch mal die Kosten für Sicherheit. Die Stadtverwaltung wolle die Stadt für die Spiele sicherer machen, heißt es aus dem Rathaus. Das bekommen vor allem Bettler und Straßenkinder hart zu spüren.
Imagepflege zu Lasten der Kinder
„Sie werden zur Olympiade einfach weggesperrt oder aus dem Zentrum verbannt, damit die Medien und Besucher keinen schlechten Eindruck von der Stadt bekommen. Das wurde schon so zur WM gemacht“, versichert Soziologe Dário Sousa, der sich bei der katholischen Caritas um Straßenkinder kümmert. „Ich bin erschüttert, wie hier mit Kindern umgegangen wird, nur um internationale Imagepflege zu betreiben“, meint Sousa. Lasset die Spiele beginnen!