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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Bücher bauen Brücken

SONNTAG-Gespräch mit der Kinder- und Jugendbuchautorin Renate Welsh

Die renommierte Kinderbuchautorin über das Schreiben, die Bedeutung des Buches in Zeiten des Internets und was man aus Büchern für´s Leben lernen kann.

Die renommierte Kinder- und Jugendbuchautorin Renate WELSH im SONNTAG-Interview über das Schreiben, die Bedeutung des Buches in Zeiten des Internets und was man aus Büchern für“s Leben lernen kann. (© Foto: rössle)
Die renommierte Kinder- und Jugendbuchautorin Renate WELSH im SONNTAG-Interview über das Schreiben, die Bedeutung des Buches in Zeiten des Internets und was man aus Büchern für“s Leben lernen kann. (© Foto: rössle)
Renate Welsh (© Foto: privat)
Renate Welsh (© Foto: privat)

Frau Welsh, was inspirierte Sie dazu, Kinderbücher zu schreiben?
Welsh: Geschrieben hatte ich schon immer, aber nicht hergezeigt, meine Sprachverliebtheit  fand in Übersetzungen Spielwiese und Herausforderung. Im legendären Jahr 1968 hatten viele das Gefühl, es gehe etwas weiter, wir können an einer Entwicklung teilhaben, Mut machen  und gegen Vorurteile aller Art anschreiben. Als ich in der Kinderliteratur begann, gab es eine berühmte Gruppe, die keinen Namen hatte, zu der Mira Lobe, Christine Nöstlinger, Käthe Recheis und ich zählten. Ich glaube, dass es so eine neidlose Auseinandersetzung heute nicht mehr gibt. Es war eine schöne Zeit. Damals entstand das sogenannte „Sprachbastelbuch“, das  immer wieder aufgelegt wird. Heute schreibe ich für Menschen aller Altersgruppen, bin oft auf Lesereisen unterwegs und leite mit besonderer Begeisterung Schreibwerkstätten.

Was vermittelt das Buch dem lesenden Kind?
Welsh: Ich glaube, es erhält das Gefühl, nicht allein zu sein, einen Freund gefunden zu haben, eine eigene Welt aufgebaut zu haben. Leserinnen und Leser machen erst den Text zum Buch, wenn sie ihn mit ihren eigenen Erfahrungen, Träumen und Ängsten und Fantasien anreichern. In diesem Sinne war das Kind schöpferisch tätig. Ihnen gehören dann die Bücher auf eine ganz eigene und besondere Weise. Wenn sie diese bestimmte Erfahrung einmal gemacht haben, werden sie immer wieder zu Büchern greifen. Es ist übrigens nicht wahr, dass  Kinder weniger lesen als Erwachsene, ganz im Gegenteil. Schließlich kommt es allerdings darauf an, dass sie die Technik des Lesens soweit beherrschen, dass Lesen nicht zur Schwerarbeit ausartet und dass sie zur richtigen Zeit das richtige Buch in die Hände bekommen.

Was kann man aus Büchern für das Leben lernen?
Welsh: Ich glaube nicht, dass Bücher Antworten auf die großen Fragen liefern können. Sie können jedoch Mut machen, sich diesen Fragen immer wieder neu zu stellen. Sie können mithelfen, dass der Fantasie Flügel wachsen. Es ist gerade diese Fantasie, die Kind immer wieder bereit macht, auch in schwierigsten Situationen Auswege zu suchen. Bücher helfen dem Leser, auch      außerhalb der unmittelbaren Umgebung Erfahrungen zu erhalten und die eigenen Kräfte anzuwenden, sprich, sich in der Gesellschaft zu wehren!

Wie soll dies in der Realität geschehen?
Welsh: Bücher ermöglichen  dem Kind, eine Strecke zu gehen und vielleicht dadurch darauf zu kommen, wer wir selbst sind. Ein langer Weg zur eigenen Persönlichkeit. Bücher sind Lebensmittel.

Was können oder könnten Eltern beitragen, dass Kinder die „richtigen“ Bücher lesen?
Welsh: Zunächst sollten Eltern einmal selbst lesen. Wer selbst Freude an Büchern hat, der kann auch die Freude an dem Buch weitervermitteln. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob Kinder lesen dürfen oder lesen müssen. In meiner Kindheit habe ich mit besonderer Begeisterung Bücher aus dem versperrten elterlichen Schrank gelesen, an dem ein paar Scheiben fehlten. Eine der schönsten Möglichkeiten, die Bücher bieten, ist für mich, dass sie ein Anstoß für Gespräche sein können.

Welchen Stellenwert hat das Buch in einer Zeit von Internet, Smartphone und Facebook?
Welsh: Ich glaube, dass das Buch nicht in Konkurrenz zu diesen anderen Medien steht. Das Buch bietet eine ganz andere Unmittelbarkeit der Erfahrung an. Es wird angefüllt mit eigenen Erfahrungen, eigenen Wünschen, Hoffnungen und Ängsten. Jeder Mensch liest in Wirklichkeit etwas anderes. Man liest aus dem Buch etwas anderes heraus, als der Nachbar herausliest. Beim Lesen entsteht etwas zutiefst Persönliches. Dieser ganz spezielle kreative Prozess ist nicht ersetzbar.

Ist das Schreiben an sich manchmal eine Art Grenzerfahrung oder eine Flucht, wie es etwa bei Franz Kafka der Fall war, der Nächte durchgeschrieben hat und tagsüber in Prag als Jurist tätig war?
Welsh: Das stimmt schon, dass das Schreiben eine Grenzerfahrung ist. Ich glaube tatsächlich, dass das Schreiben eine Flucht ist und gleichzeitig auch eine Möglichkeit, sich der Wirklichkeit zu stellen, gleichzeitig die Wirklichkeit anzunehmen und vor ihr zu flüchten (nach Martin Buber, Philosoph, 1878-1965). Beim Prozess des Schreibens ist mir etwas Seltsames passiert. Solange du darüber nachdenkst, hast du einen Zugang zu den Geschichten, die nur du erzählen willst. Wenn du                         zu schreiben beginnst, dann weißt du nichts über die Dinge, die du schreibst. Das hat mit dem Prozess des Schreibens zu tun. In den Schreibwerkstätten sagen mir immer Teilnehmer, dass Erinnerungen aufkommen, von welchen sie nicht wussten, dass sie sie haben. Das finde ich wunderschön.

Was sind Ihre derzeitigen Pläne?
Welsh: Ich habe gerade ein Buch mit Weihnachtsgeschichten geschrieben, die mir wichtig sind – ältere und neue unter dem Titel „O Du Fröhliche“ (Obelisk- Verlag) mit hinreißenden Illustrationen.

Frau Professor Welsh, Ihnen wurde im November letzten Jahres der Literatur-Preis der Stadt Wien verliehen. Wie ist Ihre persönliche Auffassung von Literaturpreisen?
Welsh: Literaturpreise sind eine Form der öffentlichen Anerkennung, worüber ich mich auch freue. Dies ist ein Ansporn beim Schreiben an sich. Das Schreiben ist dennoch eine sehr einsame Tätigkeit. Vor dem weißen Papier bist du allein. Das ist einfach so.