Organisation

Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Brücken bauen - statt Zäune und Grenzen

Tagung und Fest zum Thema Migration und Flucht

Mit einer gemeinsamen Erklärung und einem interkulturellem Fest ist am Sonntag die internationale Tagung “Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen” zu Flucht und Integration in Europa in Kärnten zu Ende gegangen.

Von der symbolischen Brücke wurden beim “Fest der Begegnung“ Friedensbotschaften verlesen (© Foto: sonntag)
Von der symbolischen Brücke wurden beim “Fest der Begegnung“ Friedensbotschaften verlesen (© Foto: sonntag)

Auf Initiative des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), der Katholischen Aktion Österreich (KAÖ und der Solidaritätsaktion Renovabis diskutierten im österreichischen Klagenfurt Fachleute, Helfer und Flüchtlinge aus mehr als 15 europäischen Ländern unter anderem mit Menschen aus den Krisenregionen des Nahen Osten.

In der gemeinsamen Erklärung rufen KAÖ und ZdK zu "Brücken statt Grenzen" auf. Die erste dieser Brücken sei, den Menschen in den Kriegs- und Krisengebieten und in den angrenzenden Ländern, in die Millionen von Menschen geflohen sind, Hilfe zukommen zu lassen, heißt es in der von KAÖ-Präsidentin Gerda Schaffelhofer und ZdK-Vizepräsident Alois Wolf unterzeichneten Erklärung. Das Engagement der internationalen Gemeinschaft in diesem Bereich sei – verglichen etwa mit den Milliardenausgaben für Waffenlieferungen – beschämend gering. "Wir rufen unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger in Europa auf und verpflichten uns selbst dazu, die zahlreichen Hilfsorganisationen und -initiativen, die die Notleidenden in den Krisengebieten und in den Flüchtlingslagern mit dem Notwendigsten versorgen, noch viel großzügiger als bisher zu unterstützen."

In der Erklärung sprechen sich KAÖ und ZdK auch für legale Wege in die Aufnahmeländer aus. Die bisherigen Möglichkeiten dazu sein viel zu gering, täglich ließen deshalb Flüchtlinge ihr Leben auf gefährlichen Schlepperrouten. "Wir rufen dazu auf und verpflichten uns, diese legalen Wege von der Politik immer wieder einzufordern."

Eine weiterer Brücke sei die menschenwürdige Aufnahme und die Integration der Flüchtlinge in "unseren Ländern". Der Schritt von einer ersten Grundversorgung hin zu einer dauerhaften Integration sei in vielen Fällen ein schwieriger, räumt die Erklärung ein; viele Hürden und Hindernisse ließen sich allerdings beseitigen, “wenn alle Beteiligten es wollen”. Die Erklärung ruft dazu auf, "mit Mut und Kreativität die Chancen zu ergreifen, die darin liegen. Vieles ist möglich, wenn wir es tatsächlich wollen".

KAÖ und ZdK wenden sich in dem Papier auch "gegen alle Formen von Populismus, gegen das Schüren von Neid, Missgunst, Ängsten und Vorurteilen. Unser Maßstab sind Menschenwürde und Menschenrechte als Grundpfeiler unserer Demokratie. Lassen Sie uns gemeinsam dafür einstehen, dass Offenheit, Austausch, Dialog, Zusammenarbeit und Zusammenleben nicht nur Schlagworte bleiben, sondern mit Leben erfüllt werden. Wir wissen auch, viele unserer christlichen Schwestern und Brüder sind in schwerer Bedrängnis. Wir versichern ihnen allen unsere Solidarität und unser Gebet."

Papst sendet Grußbotschaft

“Mit Freude” hat auch Papst Franziskus von der gemeinsamen Tagung Kenntnis genommen. Das Leitwort der Tagung mache stets neu deutlich, "dass die Aufnahme des Anderen, vor allem der Notleidenden, innerster Kern der Botschaft Christi ist", heißt es in einem von Erzbischof Angelo Becciu unterzeichnetem Grußwort des Papstes. Es gelte, sich wie Christus in die Situationen menschlicher Not hineinzubegeben und den Leidenden den ersten Platz zu geben, Konflikte auf sich zu nehmen und von innen her zu heilen.

"Helfen wir Christen unseren Gesellschaften, dass echte Aufnahme und Integration gelingen und Vertrauen wie auch gegenseitiges Verständnis für die Kulturen beider Seiten wachsen." Der Papst fordert in dem Schreiben dazu auf, "wir dürfen die Menschen nicht vergessen, die unter schwierigsten Bedingungen ausharren und hoffen, einst in ihrer Heimat wieder eine friedvolle Existenz aufzubauen".
Das Abschlussfest der Tagung am Sonntag sollte ursprünglich bei der KZ-Gedenkstätte auf dem Loiblpass stattfinden. Aufgrund des Schlechtwetters wurde es nach Ferlach verlegt, einer Stadtgemeinde, in der Menschen aus 50 verschiedenen Nationen leben. Unter den mehr als 250 Teilnehmern waren viele Flüchtlinge und Flüchtlingsfamilien. Höhepunkt war ein interreligiöses Friedensgebet.
Experte: Flüchtlingshilfe muss sich vom Opferdenken verabschieden
Für eine "Hilfe auf Augenhöhe" gegenüber abkommenden Menschen aus den Krisenregionen sprach sich bei der Tagung der langjährige UNHCR-Mitarbeiter und nunmehrige Regierungsberater in Flüchtlingsfragen, Kilian Kleinschmidt, aus. Flüchtlinge sollten dazu ermächtigt werden, ihre Chancen selbst zu nutzen. "Wir dürfen nicht in die Falle der Arroganz verfallen, bei dem wir als Helfer alles vorgeben", so Kleinschmidt in Richtung der in der Flüchtlingshilfe tätigen Organisationen wie auch an die Politik. Anzustreben sei vielmehr ein normales Verhältnis, bei dem man dabei unterstütze, auf eigenen Beinen zu stehen. "Die Leute sollen selbst machen und entscheiden können und vom ersten Tag an selbst Verantwortung übernehmen", so Kleinschmidt. Helfer sollten sich zudem ehrlich klarmachen, "geht es nur um den anderen oder will ich mir beweisen, wie gut ich bin?"

Einen Perspektivenwechsel forderte Kleinschmidt im Zusammenhang mit den Ereignissen des Jahres 2015: Eine Million Flüchtlinge hätten durch ihr Kommen Europa einen wichtigen Dienst erwiesen, "indem sie aufzeigten, was bei uns nicht funktioniert". Europa habe etwa nicht genügend Sozialwohnungen gebaut, das Bildungssystem nicht den Erfordernissen angepasst oder sich selbst als Wirtschaftstraum statt als Friedensprojekt missverstanden, so Kleinschmidt.

Deutlich sei auch geworden, dass die bisherige Hilfe der reichen Staaten "höchstens ein Trostpflaster" gewesen sei. "Im Vorjahr war die humanitäre Hilfe der ganzen Welt nur beschämende 20 Milliarden Euro wert – was vollkommen unzureichend ist für 120 Millionen Flüchtlinge, Erdbeben- und Flutopfer, die fürs tägliche Überleben auf Nothilfe angewiesen sind", verdeutlichte der Experte. Doch selbst die zehnmal umfangreichere Entwicklungszusammenarbeit sei nichts im Vergleich zu den 900 Milliarden an Direktüberweisungen von Migranten in ihre Herkunftsländer. Kleinschmidt: "Teilen des Reichtums war bisher nur Lippenbekenntnis."

Neben einem Aufstocken der Hilfe sei vor allem ein Umdenken hin zu mehr Einbeziehung der betreffenden Personen notwendig. Kleinschmidt berichtete hier von Erfahrungen aus dem libanesischen UNHCR-Flüchtlingslager Zaatari, das er von 2013 bis 2014 leitete: Trotz Erfüllung aller humanitären Standards habe es hier zahlreiche Aufstände und Unruhen gegeben, bis man den Bewohnern mehr Möglichkeiten zugestanden habe, ihr tägliches Leben selbst und individuell zu gestalten, als Lebensraum und Stadt, nicht als Lager. "Für uns war es ein Abstellplatz, für die Menschen der Lebensraum. Das zu begreifen war der Schlüssel zur Veränderung", so Kleinschmidt.

Kritisch äußerte sich der Experte zum Flüchtlings-Begriff, der aus einem Opfer-Denken entspringe. "Gebe ich jemandem den ganzen Tag zu verstehen: 'Du bist ein Flüchtling', ist das als ob ich ihm dauernd vorhalte: ' Du hast einen Pickel auf der Nase'". Flüchtlinge hätten “menschliche DNA” und bräuchten Anerkennung als Menschen; sie verfügten über Kreativität, eigenes Denken und Können sowie Individualität und wollten Teil der vernetzten Welt sein, betonte Kleinschmidt. Sein 2014 gegründetes Startup-Unternehmen Switxboard setzt hier an und fördert Partnerschaften zwischen Unternehmen und Flüchtlingslagern bzw. -projekten. KA/KAP