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Kärntner Kirchenzeitung - „Sonntag”

Brücke zwischen den Kulturen

Elisabeth Steiner über ihre Erfahrungen in der Flüchtlingshilfe

Die Journalistin hat in einem Buch ihre Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit festgehalten. Im „Bärenwirt“ in Weitensfeld schlägt sie eine Brücke zwischen Einheimischen und Flüchtlingen.

Die Journalistin Elisabeth Steiner hat in einem Buch ihre Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit festgehalten. Im SONNTAG-Gespräch erzählt sie, wie sie im „Bärenwirt“ in Weitensfeld eine Brücke zwischen Einheimischen und Flüchtlingen zu schlagen versucht. (© Foto: ORF / Bearbeitung KHK)
Die Journalistin Elisabeth Steiner hat in einem Buch ihre Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit festgehalten. Im SONNTAG-Gespräch erzählt sie, wie sie im „Bärenwirt“ in Weitensfeld eine Brücke zwischen Einheimischen und Flüchtlingen zu schlagen versucht. (© Foto: ORF / Bearbeitung KHK)
Elisabeth Steiner (© Foto: privat)
Elisabeth Steiner (© Foto: privat)

Am 19. Juni wird in der Katholischen Hochschulgemeinde Ihr Buch „Fremdenzimmer“ präsentiert. Was war die Idee hinter dem Buch?
Steiner: Mir war es wichtig, meine Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit nach außen zu transportieren. Da ich Journalistin bin, lag es nahe, ein Buch zu schreiben. Ziel ist es, dass auch andere sehen, wie man mit Flüchtlingen arbeiten kann, welche Schwierigkeiten und auch Unwägbarkeiten es gibt. Insofern ist es ein sehr authentisches und ehrliches Buch geworden.

Ihr Buch lebt ja auch ganz stark von den Bildern. Wie geht man hier sensibel mit den Abgebildeten um?
Steiner: Der Fotograf Gerhard Maurer und ich haben gemeinsam diese Idee entwickelt. Die Abbildung von Menschen ist immer heikel, in diesem Fall natürlich ganz besonders. Deshalb zeigen wir auch keine Gesichter, sondern Silhouetten, Schatten oder Ausschnitte. In seinen Bildern wird diese Einsamkeit spürbar, diese Zwischenwelt, in der viele unserer Bewohner stecken. Manche von ihnen warten ja schon zwei Jahre und mehr auf ihren Asylbescheid.

Ihr Projekt im Bärenwirt in Weitensfeld ist entstanden, als die „Willkommenskultur“ einen Höhepunkt erlebt hat. Diese positive Stimmung den Flüchtlingen gegenüber hat sich dramatisch geändert. Wie haben Sie diesen Wandel erlebt?
Steiner: Als wir eröffneten, war keine Gemeinde bereit, Menschen aufzunehmen. In dieser Situation habe ich mein Haus aufgemacht. Es war ein Signal, dass es weder eine Schande noch eine Gefahr ist, Flüchtlinge aufzunehmen. Wir setzten von Anfang an auf Integration und machten sehr gute Erfahrungen, da das Gasthaus nach anfänglicher Unsicherheit eine gute Brückenfunktion erfüllte. Die Leute sind wirklich aufeinander zugegangen. Der Wandel von der Willkommenskultur zu einer Abwehr-Unkultur hat sich bei uns spürbar ausgewirkt.  

In welcher Form?
Steiner: Die Akzeptanz durch die Bevölkerung ist zurückgegangen. Es gab Attacken gegen Flüchtlinge. Auch ich bin einmal von einem Einheimischen in meinem eigenen Haus niedergeschlagen worden. Die Flüchtlinge sind mir dann zu Hilfe gekommen. Die Abwehrhaltung und die Stimmung, die auch seitens der Politik verbreitet werden, erzeugen echte Aggressionen. Das halte ich für gefährlich.

Wie funktioniert die Flüchtlingsarbeit angesichts solcher Vorfälle?
Steiner: Es ist nicht einfach. Aber wir sind sehr bemüht, das Mitei-       nander zu fördern. Mir geht es darum, Menschen aus dem islamischen Kulturkreis in unsere Kultur einzuführen und ihnen auch klar zu sagen, was wir von ihnen erwarten. Man muss schon ehrlich sagen, dass es Bruchlinien gibt.

Wo liegen in dieser Begegnung der Kulturen die größten Herausforderungen?
Steiner: Natürlich ist das diese patriarchalische Gesellschaft, in der sich Frauen vollkommen unterordnen müssen. Die jungen Leute versuchen zwar, unser europäisches Modell anzunehmen, aber sie tun sich dabei nicht immer leicht. Man kann anerzogene und erlernte Verhaltensweisen in so kurzer Zeit nicht so einfach ändern. Ich verstehe schon, dass das schwierig ist.

Wie kann man im Dialog der Religionen hier eine Änderung herbeiführen?
Steiner: Vor allem denke ich, dass sich der Islam verändern muss. Wir dürfen dabei aber nie vergessen, dass auch das Christentum unter großen Schmerzen erst lernen musste, sich den neuen Begebenheiten zu stellen. Das wird dem Islam auch nicht erspart bleiben.

Wie sind Ihre konkreten Erfahrungen mit dem Islam?
Steiner: Gerade die jungen Burschen sind unserer Kultur gegenüber sehr offen. Im Bärenwirt sind wir drei Frauen, die bestimmen. Daran müssen sich die jungen Männer erst einmal gewöhnen. Dass das nicht so einfach ist, kann man sich leicht vorstellen.

Wo muss man ansetzen, um hier Änderungen zu erreichen?
Steiner: Ich erlebe, dass es vor allem die Frauen selbst sind, die diese pa-triarchale Gesellschaft weiter tradieren. Daher plädiere ich sehr dafür, die Frauen aus den Familien herauszuholen, ihnen eine gute Ausbildung zu geben. Sie sind diejenigen, die in der Familie herrschen, die alten patriarchalen Strukturen übernehmen und weitergeben. Dem Mann wird alles zugestanden, und die Frau hat im Gehorsam gegenüber dem Mann zu leben. Wir müssen dies behutsam über die Frauen verändern. Ich bin überzeugt, erst dann kann ein gutes Zusammenleben funktionieren. Wenn es nicht gelingt, die Frauen zu integrieren, bilden sich immer wieder Parallelgesellschaften.

Wie kann Integration vor diesem Hintergrund gut gelingen? Was wären aus Ihrer Erfahrung heraus wichtige weitere Schritte?
Steiner: Ganz wesentlich ist, dass diese jungen Menschen weiter begleitet werden. Es hilft nichts, wenn sie bei uns im Gasthaus das westliche Lebensmodell kennenlernen und dann später woanders allein gelassen werden. Ganz besonders schlimm wäre es, wenn sie in Pa-rallelgesellschaften hineinkommen würden. Daher ist eine längere Begleitung notwendig. Das kostet Geld, aber es ist gut investiertes Geld. Denn die Folgekosten bei nicht funktionierender Integration sind dramatisch höher.

Kennen Sie funktionierende Beispiele?
Steiner: O ja, da gibt es viele! Bei uns waren etliche, die ihren Weg gemacht haben. Sie arbeiten heute teilweise sogar in sehr guten Jobs. Darunter sind Künstler, die sich wunderbar entfaltet haben. Davon können auch wir profitieren. Aber noch einmal: Das funktioniert nur, wenn wir sie gut begleiten.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit Frauen in der Flüchtlingsbetreuung?
Steiner: Ein Beispiel: Die meisten Frauen bei uns tragen nach wie vor Kopftücher. Allerdings sind einige dazu übergegangen, eine flotte Haube oder Kappe aufzusetzen. Damit ist der Vorschrift Genüge getan, sie zeigen aber auch, dass sie sich verändern und ein neues Leben beginnen. Ich würde mir wünschen, dass es viele spezifische Frauenprojekte gibt. Denn viele Frauen haben eine gute Ausbildung, aber hier geraten sie oft zurück in die traditionellen Rollenbilder. Das sollten wir verhindern und ihnen heraushelfen.

Wenn Sie Ihre Initiative im Bärenwirt Revue passieren lassen: Würden Sie es wieder so machen?
Steiner: Ich würde dieses Gasthaus als Brücke zwischen Orient und Okzident wieder machen. Es ist ja Sinn eines Gasthauses, Gäste zu beherbergen – egal, woher sie kommen. Die Möglichkeit, dass sich Einheimische und Fremde aus freiem Willen treffen und Gespräche führen, halte ich für wichtig. Das Schlimmste, was wir tun können, wäre, die Flüchtlinge wegzusperren und gleichzeitig Integration zu fordern. Das kann nicht funktionieren. Insofern: Ja, ich würde es auf jeden Fall wieder so machen.